Wie sicher ist unsere Energieversorgung, Herr Al-Wazir?

Am 24. Februar hat Russland den Krieg gegen die Ukraine begonnen. Seitdem sind viele tausend Menschen gestorben, Millionen sind geflüchtet. Auch in Hessen und Rheinland-Pfalz sind die Folgen des Krieges deutlich spürbar. Benzin, Erdgas, Lebensmittel. Fast alles ist in den vergangenen Wochen deutlich teurer geworden. Was die Politik jetzt tun kann, darüber sprechen wir gleich hier im Studio mit dem hessischen Wirtschafts- und Energieminister Tarek Al-Wazir. Doch zunächst blicken wir auf die aktuelle Lage.

Der Blick auf die Zapfsäule lässt viele Menschen gerade verzweifeln. Auch in Mainz ist der Preis für einen Liter Benzin deutlich über zwei Euro gestiegen. Das Statistische Bundesamt hat ermittelt, dass Kraftstoffe im März fast 50% teurer waren als vor einem Jahr.
Diese hohe Belastung will die Bundesregierung mit dem Entlastungspaket abfedern. So hat der Bundestag letzte Woche beschlossen: Ab Juni soll das Benzin billiger werden und es soll ein Neun-Euro-Monatsticket für den öffentlichen Nahverkehr geben. Drei Monate sollen die Bürger unterstützt werden. Wie lange die Energiepreise wegen des Ukraine-Kriegs so hoch bleiben, ist aber unklar.
Das größte Problem: Deutschland ist von russischer Energie abhängig. Der Anteil russischer Gaslieferungen nach Deutschland liegt bei über einem Drittel. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hofft, diesen Anteil in den nächsten zwei Jahren auf 10% senken zu können. Bei Öl aus Russland sieht es besser aus. Die Importe sind in den letzten Wochen stark gesunken. Die EU plant sogar ein Öl-Embargo.
Dass Deutschland von russischem Gas und Öl  unabhängig wird, liegt aber noch in weiter Ferne. So ruft Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck heute zum Energiesparen auf. Denn was passiert, wenn Russland den Gashahn irgendwann einfach zudreht?
Dann würden die Privathaushalte grundsätzlich bevorzugt. Das hat heute der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, klargestellt. Bei einem Lieferstopp würde die Gasversorgung der Unternehmen nach bestimmten Kriterien nach und nach abgeschaltet. Auch wenn dann zum Beispiel beim Chemiekonzern BASF in Ludwigshafen gewaltige Schäden drohen.
Aktuell scheint Putins Gas Alternativlos. Doch dieses Gas spült weiter Geld in seine Kriegskasse. Es ist ein schmaler Grat zwischen sicherer Energieversorgung und dem Wunsch, dass der Krieg in der Ukraine möglichst bald endet.
Eva Dieterle, Moderatorin:  „Und jetzt begrüße ich den hessischen Wirtschafts- und Energieminister Tarek Al-Wazir live bei mir im Studio. Tarek. Guten Abend. Schön, dass Sie hier sind.“
Tarek Al-Wazir (Bündnis 90 / Die Grünen), Wirtschafts- und Energieminister Hessen: „Guten Abend.“
Dieterle: „Herr Al Wazir, der saudische Ölgiganten Aramco gilt seit vergangener Woche als das wertvollste Unternehmen Europas. Bislang war das Apple. Was sagt uns das? Ist das so was wie ein später Triumph der fossilen Energie-Giganten? Und das in einer Welt, die eigentlich immer regenerativer werden will.
Al-Wazir: „ Es zeigt, dass es Sorge gibt, dass wir nicht mehr genügend Lieferungen bekommen. Wegen des Russland-Ukraine-Krieges. Und das treibt natürlich die Preise nach oben. Und gleichzeitig muss man natürlich sehen Es macht noch mal deutlicher, wie dringend nötig die Energiewende ist. Sonne und Wind, die kann uns Putin nicht abstellen. Die stellen auch keine Rechnung. Und wir müssen jetzt investieren. Wir müssen Energie einsparen. Ganz wichtig Wir müssen Energie effizienz nutzen. Und wir müssen die erneuerbaren Energien ausbauen. Wenn wir unsere Sicherheit gewährleisten wollen. Aber auch wenn wir runter wollen, von diesem drastischen Preisexplosion, die wir ja gerade sehen.“
Dieterle: „Ihr Parteifreund und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat gerade gesagt: Aktuell fließt noch ausreichend Gas. Haben Sie Erkenntnisse darüber, wie lange das noch so sein wird?“
Al-Wazir: „Das weiß niemand. Wir sind natürlich aufgrund der Entscheidungen der letzten Jahrzehnte gerade beim Gas ganz besonders abhängig. Das ist bei Öl und Kohle anders. Da kann man sich andere Lieferanten suchen. Aber wenn nun mal eine feste Pipeline gebaut ist, ist es sehr schwierig, sich da von einem auf den anderen Tag davon unabhängig zu machen. Aber zu Beginn waren wir noch bei ungefähr 55% Erdgas aus Russland. Inzwischen sind wir bei 35% und Stand heute sind die Speicher erstmals wieder über 40% gefüllt. Da haben wir ja in Windeseile ein Gesetz gemacht, das jeweils zum November die Speicher voll sein müssen. Das alles wird jetzt nachgeholt. Man muss aber der Ehrlichkeit halber dazu sagen – natürlich zu einem hohen Preis. Das heißt, die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen werden das spüren in hohen Energiepreisen. Und umso dringender ist es, dass wir Energie sparen und mit Energie effizient umgehen.“
Dieterle: „Ich wollte gerade fragen. Haben Sie als hessischer Energieminister in dieser Zeit einer Energiekrise denn überhaupt operative Möglichkeiten zu handeln, einzugreifen, das Eingreifen irgendwie zu bestimmen?“
Al-Wazir: „Na ja, wir haben bei der Kohle erst mal uns einen Überblick verschafft, wo eigentlich die Kohle bisher herkam. Das kannten wir nicht. Es gibt aus der Vergangenheit eine Mindestmenge an Mineralöl, die immer da sein muss. Das ist übrigens nach der Ölkrise 1973 eingeführt worden. Dieses System und ein ähnliches System ist jetzt für Gas gemacht worden, damit man in Zukunft einfach weiß, wie viel haben wir. Und eine bestimmte Mindestmenge muss eingespeichert werden. Aber am Ende ist es so, dass wir es mit Weltmärkten zu tun haben. Und was wir machen können, ist, dazu aufzurufen und den Leuten zu helfen, Energie einzusparen. Das bedeutet am Ende bis hin zu Tipps, die wir jetzt von unserer Landesenergieagentur geben, weil Handwerker sind ja gerade auch Mangelware, was man eigentlich kurzfristig selbst tun kann, um dazu beizutragen, dass wir weniger Energie verbrauchen, weil jede eingesparte Kilowattstunde ärgert Putin.“
Dieterle: „Ich will auf die Tipps ganz zum Schluss noch mal zu sprechen kommen. Dann bleiben wir auch besser in den Köpfen. Noch haben wir ja Sommer. Aber der nächste Winter kommt ganz bestimmt. Wie ist das bei Ihnen? Rechnen Sie da auch mit einem Worst Case Szenario für den Winter 22/23.
Al-Wazir: „Wir müssen uns zumindest auf alles vorbereiten. Und die Bundesnetzagentur – Klaus Müller ist ja gerade gezeigt worden – tut das auch. Es gibt natürlich Szenarien für den schlimmsten Fall, dass nämlich von einem auf den anderen Tag keine Erdgaslieferungen aus Russland mehr kommen. Wir versuchen, das Schritt für Schritt zu reduzieren. Aber es kann natürlich auch sein, dass quasi auf der anderen Seite der Pipeline von einem auf den anderen Tag abgestellt wird. Das wird natürlich Verwerfungen hervorrufen, das geht ja gar nicht anders. Und gleichzeitig wollen wir natürlich alles dafür tun, auch Schaden abzuhalten. Das wird ja auch in der Industrieproduktion genutzt, nicht nur bei der BASF, auch im Industriepark Höchst und in anderen großen Bereichen. Und deswegen will ich nur sagen, ich hoffe, dass dieser Fall nicht eintritt und dass wir uns jetzt Schritt für Schritt soweit unabhängig machen können, dass wir eine solche Situation beherrschen können. Der Bund hat ja jetzt auch schwimmende Flüssiggas Terminals auf den Weg gebracht, damit man zur Not sehr schnell auch Flüssiggas als Ersatz haben kann. Zur Wahrheit gehört aber auch Das ist teurer, weil es einfach aufwendiger zu transportieren ist, auch ein bisschen schlechter für die Klimabilanz und deswegen kann ich Stichwort Klimabilanz auch nur sagen Wir müssen ja die Energiewende sowieso machen. Dieses Land will und muss 2045 klimaneutral werden. Wir sehen, dass wir dem Klimawandel etwas entgegensetzen müssen. Und im Prinzip ist die jetzige Energiekrise nur noch ein weiterer Grund, das zu tun, was wir sowieso tun müssen.
Dieterle: „Ich möchte noch mal bei dem Fall der eventuellen Gas Knappheit bleiben. Einige Stimmen aus der Wirtschaft sagen, dann müsste die Wirtschaft Priorität haben, auch um den Erhalt von Arbeitsplätzen zu sichern. Jetzt haben wir den Chef der Bundesnetzagentur gehört, der sagt, Haushalte würden dann priorisiert werden. Wie stehen Sie dazu?“
Al-Wazir: „Also zuallererst mal gilt das Gesetz. Und im Gesetz ist ausdrücklich festgelegt, dass Haushalte und die Wärmeversorgung von Haushalten Priorität haben. Gleichzeitig kann natürlich jeder und jede was dazu beitragen, indem man einfach auch im Haushalt versucht, möglichst wenig zu verbrauchen. Das ist natürlich im Sommer einfacher als im Winter. Aber sich Gedanken zu machen, über die Frage, wie man auch im Haushalt Energie sparen kann, das ist immer richtig. Und danach muss man im Falle eines Falles Prioritäten bei der Industrie setzen. Was ist ganz besonders wichtig, was ist weniger wichtig? Das ist natürlich eine Situation, da könnten Sie nur alles falsch machen, das ist völlig klar. Deswegen hoffe ich, dass uns diese Lage erspart bleibt.“
Dieterle: „Robert Habeck sagt, einen sofortigen Ausstieg aus dem russischen Gas könnten wir aktuell nicht durchstehen. Aber diese Gefahr ist ja quasi doch immer da. Denn am Ende ist es ja Putin, der entscheidet, ob und wann er die Leitungen zu uns kappt oder nicht.“
Al-Wazir: „Ja, wir könnten sie durchstehen. Das glaube ich schon. Die Lage wäre dann mit großen Anstrengungen auch beherrschbar, aber natürlich zu hohen Kosten erst mal, was wir dann auch ausgeben müssten. Und natürlich wäre es verbunden auch mit Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit, wenn das so kurzfristig passieren würde. Deswegen ist es ja umso wichtig, dass wir diesen langfristigen Weg der Unabhängigkeit jetzt gehen.
Dieterle: „Wir haben ja schon über die Tipps gesprochen, also über das ganz Praktische, was jeder tun kann. Was bedeutet das? Wie sieht das konkret aus? Gas sparen: Whatever it takes?
Al-Wazir: „Ja, es soll jetzt niemand irgendwie mit gefrorenen Fensterscheiben drinnen sitzen im nächsten Winter. Darum geht es nicht. Aber zum Beispiel, sich mal Gedanken zu machen. Habe ich eigentlich noch ungedämmte Heizungsrohre im Keller. Sich die Frage zu stellen, wann eigentlich eine Sanierung angebracht ist. Da muss man ja nicht alles sofort und gleichzeitig machen, gerade angesichts der Handwerker Knappheit. Aber wir haben die Energieagentur Hessen beispielsweise. Die arbeitet jetzt an solchen Tutorials, damit auch der Hobbyheimwerker vernünftige Sachen machen kann, um Energie zu sparen, ohne dass man jetzt der Fachbetrieb kommen muss. Und das können alle tun. Und angesichts der Preise hilft das nicht nur dann am Ende der Energiesicherheit in Deutschland, sondern natürlich auch dem eigenen Geldbeutel.“
Dieterle: „Wir kommen jetzt vom Thema Energie zum Thema Wirtschaft, denn da hat sich heute eine wichtige Stimme der hessischen Wirtschaft zu Wort gemeldet. Die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände hat ihre Forderungen an die nächste Landesregierung vorgestellt, und zwar zu einem ungewöhnlich ein Zeitpunkt eineinhalb Jahre vor der nächsten Landtagswahl.“

 

Es ist kein Papier zum schnellen Durchblättern. Auf ganzen 100 Seiten haben die hessischen Unternehmerverbände festgehalten, was sie von der Landesregierung ab 2024 erwarten. Wichtigste Forderung: Keine neuen Schulden, stattdessen eine Ausgabenbremse.
Wolf Matthias Mang, Präsident Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände: „Langfristig sinnvolle, gute und richtige Politik bedeutet auch, den Menschen zu sagen, dass die nächsten Jahre schwer werden können. Dass es kein Wünsch-dir-was gibt. Dass wir nicht unbeschränkte Ausgaben haben können. Sondern, dass es jetzt darum geht, diesen Haushalt wieder in Ordnung zu bringen, damit wir nicht die Lasten von heute auf die Zukunft, auf die junge Generation, weiter verlagern.“
In den letzten Jahren seien bedingt durch viele Krisen immer neue Schulden angehäuft worden bis zu einer Schuldensumme von über 52 Milliarden Euro. Künftig müsse die Landesregierung mehr Vorsorge treffen, bevor sie neue Ausgaben beschließt. Die VhU fordert eine schnellere und verbindliche Schuldentilgung. Alle Ausgaben müssten auf den Prüfstand, von einem „Jahrzehnt des Verzichts“ ist die Rede. Das bedeute zum Beispiel, dass freiwerdende Stellen, etwa von Lehrern und Polizisten, eine Zeit lang nicht nachbesetzt werden können. Viele Wähler seien zu diesen Einschränkungen bereit …
Wolf Matthias Mang, Präsident Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände: „… weil ihnen bewusst ist und sie spüren das, dass es richtig ist, jetzt auch mal eine Periode des Verzichtes zu akzeptieren, wenn wir dadurch langfristig unsere Haushaltsfinanzen in  Schuss halten können.“
Statt Wahlkampfgeschenke zu verteilen müsse die neue Regierung den Gürtel also enger schnallen. Ob die Forderungen des Papiers auch viele Wählerstimmen einbringen, das steht gewiss auf einem anderen Blatt.
Dieterle: „Und auch darüber möchte ich mit Ihnen sprechen über die Forderungen der VhU. Weniger Haushaltsausgaben und einen Schuldenabbau, selbst wenn das zulasten von Bildung und Sicherheit gehen würde. Was halten Sie davon?“
Al-Wazir: „Ich gebe zu, ich habe mich ein wenig gewundert, als ich diesen Forderungskatalog heute gesehen habe. Wo die VhU natürlich Recht hat, ist: Man kann nicht alles endlos immer mit neuem Geld aus der Staatskasse zuschütten, wenn es irgendwo ein Problem gibt. Das ist sicherlich richtig. Aber es wird da ein Bild gezeichnet, das mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat. Hessen hat 2016 nach zwei Jahren schwarz-grün das erste Mal seit 1969 den Haushalt ausgeglichen und wir haben in den letzten fünf Jahren nur ein Mal wirklich deutliche Schulden gemacht. Und da war ja die Corona-Krise dabei. Und die Corona-Krise ist ein schönes Beispiel. Wir haben natürlich sehr viel Geld ausgegeben, um Unternehmen zu retten, um Gastronomen zu retten, um Selbständigen zu helfen. Es war erfolgreich. Es war so erfolgreich, dass wir jetzt ungefähr wieder auf der Arbeitslosenzahl sind wie vor der Krise. Und hohe Steuereinnahmen haben, mit denen wir dann die Schulden auch tilgen können. Und das tun wir übrigens auch. Und insofern habe ich mich ein wenig gewundert über diesen Forderungen-Katalog. Und ich glaube, gerade die Wirtschaft selbst hat ja auch ein Interesse daran, dass investiert wird, dass das Bildungssystem gut ist. Wir reden über Fachkräftemangel, der vor der Tür steht. Also auch die Wirtschaft braucht gut ausgebildete Schulabgänger, und dazu muss man halt Geld ausgeben.“
Dieterle: „Sie haben es gerade gesagt: Immer nur neue Schulden machen. Das geht nicht. Es kann ja nicht sein, dass man zulasten der jüngeren Generationen Schuldenberge in Milliardenhöhe anhäuft. Was wäre denn dann Ihr Plan zum Sparen? Oder auch zum Schuldenabbau?“
Al-Wazir: „Wir haben Schulden abgebaut. Wir haben Steuermehreinnahmen beispielsweise letztes Jahr gehabt, deutlich über Plan, und haben dieses Geld genutzt, um am Ende keine neuen Schulden zu machen. Und deswegen ist die Grundaussage der WHO, die so das Bild zeichnet, dass da ständig neue Schuldenberge aufgetürmt würden. Das stimmt so einfach nicht. Es gibt einen Zukunfts und in der Zukunft muss es natürlich darum gehen, gerade angesichts des demografischen Wandels, dass wir unsere sozialen Sicherungssysteme, dass wir das Rentensystem, dass wir das natürlich zukunftsfest machen. Natürlich ist klar, Geld ist nicht unbegrenzt vorhanden, das ist ja ausdrücklich richtig. Aber dass wir gerade angesichts des gesellschaftlichen Zusammenhalts, der ja durchaus gefährdet ist, in Sicherheit investieren, dass wir ein sicheres Land bleiben wollen, dass wir in Bildung investieren, das hat mich doch sehr gewundert, dass da solche Vorschläge kamen. Und wir müssen den Haushalt ausgleichen, und wir werden den Haushalt ausgleichen, das ist ganz sicher. Aber wir werden sicherlich nicht keine Polizisten und keine Lehrer mehr einstellen.“
Dieterle: „Der Wirtschaftsminister zu den Forderungen der hessischen Unternehmen Herr Alpha, sehr vielen Dank für das Interview.“
Al-Wazir: „Gerne.“