Wie ist der Zivilschutz für die Bevölkerung aufgestellt?

Der russische Angriff auf die Ukraine, er beunruhigt nicht nur viele Menschen in Deutschland, er wirft auch ein Schlaglicht auf die Verteidigung des Landes. 100 Milliarden Euro sollen in die Bundeswehr fließen, doch wie steht es um den Zivilschutz? Um Schutzbunker, Warnsysteme, Sirenen und um den Schutz vor Cyberangriffen? Wie gut wären wir im Falle eines Angriffes geschützt?

Es sind die Überreste aus längst vergangenen Tagen: In diesem Luftschutzbunker, mitten in Ludwigshafen, fanden zur Zeit des Zweiten Weltkrieges bis zu 800 Menschen Platz. Während eines Bombenangriffes drängten sie sich hier dicht an dicht. Allein in Ludwigshafen gibt es heute noch 46 solcher Anlagen – die meisten davon sind Privateigentum oder verfallen. Der Arbeitskreis Bunkermuseum Ludwigshafen setzt sich dafür ein, die Bunker zu erhalten.
Klaus-Jürgen Becker, Arbeitskreis Bunkermuseum Ludwigshafen e.V.
„Uns ging es wirklich darum, dass auch diese Form unserer deutschen Geschichte in irgendeiner Form überliefert werden muss, um über diese Schrecken des Krieges aufzuklären. Und die Schrecken des Krieges sehen wir jetzt in der Ukraine.“
Dem Zivilschutz stellt Klaus Becker ein mangelhaftes Zeugnis aus.
Klaus-Jürgen Becker, Arbeitskreis Bunkermuseum Ludwigshafen e.V.
„Wir könnten auch in Ludwigshafen nicht die Schutzmöglichkeiten für die Bevölkerung anbieten, wie die Stadt Kiew zum Beispiel ihrer Bevölkerung anbieten kann, was schrecklich genug ist. Aber wir wären im Moment in einer solchen Konfliktsituation völlig schutzlos.“
Für den Zivilschutz ist im Kriegsfall der Bund zuständig. Zu seinen Aufgaben zählen beispielsweise die Warnung der Bevölkerung und der Schutzbau. Von diesen öffentlichen Schutzbauten gab es zur Zeit des Kalten Krieges noch etwa 2.000. Von ihnen sind jedoch nicht mehr viele übrig.
Auf seiner Internetseite schreibt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe:
„Öffentliche Schutzräume wie  z.B.  Luftschutzbunker gibt es nicht mehr. Im Jahr 2007 beschlossen Bund und Länder gemeinsam, öffentliche Schutzräume nicht weiter zu erhalten. Mit dem Fall der Mauer und der Beendigung des Ost-West-Konflikts schien das Szenario eines konventionellen Krieges mit großflächigen Bombardierungen und dem Einsatz chemischer und nuklearer Waffen nicht mehr zeitgemäß.“
Der rheinland-pfälzische Innenminister hält einen Angriff auf Deutschland für sehr unwahrscheinlich. Dennoch müsse man in Sachen Zivilschutz umdenken.
Roger Lewentz, SPD, Innenminister Rheinland-Pfalz
„Aus heutiger Sicht könnte man zu vielen Entscheidungen der letzten 30 Jahre sagen, die waren ein bisschen sehr naiv, weil man glaubte, man habe eine ewige Friedensdividende. Das hat sich leider völlig umgekehrt. Und daraus werden wir natürlich auch in Zukunft – Stichwort zivile Verteidigung – Schlüsse ziehen müssen.“
2016 wurde das Zivilschutzkonzept des Bundes zuletzt aktualisiert. Der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maiziere riet den Bürgern, einen Lebensmittelvorrat für zehn Tage anzulegen. Von der Opposition erntete er für diesen Rat vor allem Kritik, er verunsichere unnötig die Bevölkerung.
Getan hat sich seither offenbar wenig. Der letzte bundesweite Warntag 2020 fiel ernüchternd aus. Viele Bürger bekamen eine Probewarnung über das Handy entweder viel zu spät oder gar nicht. 2021 wurde der Warntag dann komplett abgesagt.
Spätestens die Flutkatastrophe im Ahrtal im vergangenen Sommer machte schmerzhaft deutlich, was passieren kann, wenn Warnsysteme nicht funktionieren. Nachdem Jahr für Jahr Sirenen abgebaut wurden, soll das Sirenensystem jetzt wieder erweitert werden.
Roger Lewentz, SPD, Innenminister Rheinland-Pfalz
„Wir haben das neue Sirenenprogramm des Bundes runtergebrochen, das für Rheinland-Pfalz eine Stärke von vier Millionen hat, verdoppelt, weil wir sehr schnell die Lücken im Sirenensystem mit modernen Sirenen füllen wollen.“
Dass auch intakte Bunker im Ernstfall nur einen Bruchteil der Bevölkerung schützen könnten, sei ihm klar, sagt Klaus Becker. Dass das Land mögliche Schutzräume verfallen lasst, kann er aber nicht verstehen.
Klaus-Jürgen Becker, Arbeitskreis Bunkermuseum Ludwigshafen e.V.
„Ich bin aufgrund familiärer Strukturen selber tatsächlich von dem Ukrainekrieg betroffen. Ich wäre froh, meine Familie in Mariopol wäre in so einem Bunker und nicht zuhause.“
Die alten Bunker zu modernisieren sei enorm teuer und aufwendig. Jetzt müsse sich das Land überlegen, was ihm der Zivilschutz wert sei – und zwar auch in Friedenszeiten.

 

Eva Dieterle, Moderatorin: Ja, wir wollen das Thema jetzt vertiefen und das machen wir mit dem innenpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Manuel Höferlin. Guten Abend.
Manuel Höferlin, FDP, Bundestagsabgeordneter aus Harxheim: Guten Abend.
Dieterle: Herr Höferlin, der Bund hat vor kurzem beschlossen, 100 Milliarden Euro zusätzlich in die Bundeswehr zu investieren. Müssen wir nicht genauso intensiv auch in den Zivilschutz investieren?
Höferlin: Ja, im Prinzip sind wir vor einer veränderten Lage. Wir haben vor 30 Jahren, am Ende des Kalten Krieges, gedacht, dass ist Geld, das man besser an anderen Stellen verwenden kann, Friedensdividende oder wie immer man das nennen möchte, und deswegen wurden viele Dinge in den letzten 30 Jahren vernachlässigt, auch bei der Ausstattung der Bundeswehr, aber natürlich auch beim Zivilschutz. Beim Katastrophenschutz haben wir es ja leider gerade in Rheinland Pfalz gespürt, wenn es zum Beispiel um die Frage geht: Wie warnen wir unsere Bevölkerung? Und deswegen ist es, glaube ich, unerlässlich, dass wir da neu drüber nachdenken, dass wir sehr genau schauen, was kann man in welcher Zeit sinnvoll wiederaufbauen, welche Sachen muss man neu aufbauen und in welche neuen Dinge – die Welt hat sich gedreht in 30 Jahren – muss man ganz neu investieren.
Dieterle: Würden Sie sagen, dass die Lage beim Zivilschutz genauso desaströs ist wie die bei der Bundeswehr?
Höferlin: Dann würde ich mir zu eigen machen, dass sie desaströs ist bei der Bundeswehr. Ich glaube, die Bundeswehr ist schon kampftauglich, allerdings hat sie große Defizite, und so würde ich es vielleicht auch beim Zivilschutz beschreiben. Wir haben einen Zivilschutz, der in vielen Dingen ja auch funktioniert, aber in vielen Dingen auch gar nicht funktioniert. Und wenn man zum Beispiel allein das Thema Sirenen, Warnung der Bevölkerung, ansieht, dann ist es wahrscheinlich notwendig, dass man mal genau draufguckt, was kann man aus dem Katastrophenschutz – was wir jetzt ja schon begonnen haben, in vielen Kommunen werden Sirenen neu aufgebaut oder neu geplant oder geschaut, welche Serien gibt es noch? – wie kann man das auch auf den Zivilschutz in Verteidigungsfällen, in Kriegsfällen – auch wenn man sie nicht herhoffen wollen, aber man muss ja vorbereitet sein – welche Dinge kann man da verwenden, welche Dinge kann man nicht verwenden und wie kann man auch ausfallsicher zum Beispiel in verschiedenen Situationen Menschen in ganz Deutschland, in ganz Rheinland Pfalz warnen? Und das sind unterschiedliche Technologien, nicht nur Sirenen.
Dieterle: Jetzt sind sie ja selbst IT-Experte und gerade ist ganz viel die Rede von Cyberangriffen. Das ist erst mal sehr abstrakt. Was bedeutet das konkret? Was ist denn da bei uns genau in Gefahr?
Höferlin: Also, Cyberangriffe sind in der vollen Breite in solchen Verteidigungsfällen möglich. Wir sehen das jetzt in der Ukraine. Da werden Einrichtungen wie Versorgungen angegriffen, Wasserversorgung Stromversorgung, Banken – all das wäre angreifbar. Es ist aber auch staatliche Institutionen wie Regierungsorganisationen, wie das Parlament, angreifbar. Und es sind natürlich auch private Unternehmen, die vielleicht in der öffentlichen Versorgung eine Rolle spielen, angreifbar. Wir müssen uns natürlich auch in Friedenszeiten dagegen wehren, gegen solche Angriffe, weil die werden ja auch von Straftätern genutzt. Aber in solchen Krisenfällen ist das besonders wichtig und deswegen brauchen wir eine krisenfeste Abwehr. Das heißt, wir müssen da viel mehr Geld investieren. Die Unternehmen müssen wahrscheinlich auch mehr Geld investieren. Wir brauchen auch „aktive Verteidigungseinheiten“, nenne ich das mal, vielleicht so eine Art „digitales THW“, könnte man sagen, ein technisches Hilfswerk, das eben auch in dem Bereich arbeitet. Und wir müssen auch in der Lage sein, Dinge zu sichern. Also, früher hat man Stollen in einen Berg geschlagen, um sich zu verstecken oder um Dinge in Sicherheit zu bringen, und heute muss man vielleicht auch mit Bunkern für digitale Rechenzentren arbeiten. Ich denke zum Beispiel daran, dass man mal prüft, ob in Rheinland Pfalz der sogenannte Cyberbunker in Traben-Trarbach ertüchtigungsfähig wäre, wenn er in staatlicher Hand kommt nach Abschluss des Prozesses, ob man dort eben auch digitale Güter sichern kann, auch Funktionsfähigkeit herstellen kann für den Notfall.
Dieterle: Und das halten Sie für wahrscheinlich?
Höferlin: Das halte ich für dringend möglich. Für möglich, dass es passiert und dann auch dringend erforderlich, dass man das prüft, ob man so eine Institution, solch eine Anlage dafür wiederherstellt oder ob man eine andere Lösung findet. Also, ich das aber auf jeden Fall notwendig, dass man eine Möglichkeit findet, seine digitale Welt, die wir heute um uns herum haben, auch in Kriegsfällen, in Verteidigungsfällen zu sichern und betriebsbereit zu halten.
Dieterle: Ich möchte gerne noch von Ihnen wissen, wie akut schätzen Sie denn die Gefahr eines Cyberangriffes jetzt in diesem Krieg auch für Deutschland ein?
Höferlin: Wir haben ja dauernd Cyberangriffe in Deutschland. Meistens sind es Straftäter und Betrüger, aber es gibt schon seit Jahren – und das wissen wir auch – Angriffe oder zumindest Ausforschungsaktivitäten auch der Russen, aber auch andere Teile der Welt, die in Deutschland, in Europa stattfinden. Das sind Vorbereitungshandlungen, vielleicht Wissen sammeln für den Krisenfall. Das gibt es die ganze Zeit schon. Und deswegen halte ich es für durchaus möglich, dass, sollte ein Krisenfall eintreten in Deutschland – ich halte es nicht für möglich, ich gehe fest davon aus, dass der nächste Konflikt dann auch auf der Cyberwelt ausgetragen wird, weil wir so eng mit dem Digitalen vernetzt sind und so abhängig sind von unserem gesellschaftlichen, unserem wirtschaftlichen und dann nachher auch im militärischen Handeln, was die Cyberwelt angeht, da müssen wir darauf vorbereitet sein. Das wird zusammenkommen.
Dieterle: Und darauf ist unsere Cyberabwehr aktuell nicht ausgerüstet?
Höferlin: Wir haben eine Cyberabwehr, die quasi für die Friedenszeiten ganz gut ausgerüstet ist. Da würde ich jetzt als ITler immer sagen: Ja, da muss man mehr machen, auch private Unternehmen müssen mehr machen. Die Bundeswehr hat sehr gute Cyberfähigkeiten für den Kriegsfall, aber, wie gesagt, wir brauchen auch einen Zivilschutz in der digitalen Welt und da müssen wir ganz neu nachdenken, wie die Institution in solchen Fällen aktiv sein können. Und wir müssen vielleicht auch eine Art Reserve haben für solche Fälle, also eine Art „digitaler Reservist“, der nicht unbedingt bei der Bundeswehr sein muss, aber auch dort sein kann, um im Notfall auch Hilfe leisten zu können, wenn solche Abwehrmaßnahmen erforderlich sind.
Dieterle: Also es wird deutlich, da muss noch ganz viel passieren. Es sind angespannte Zeiten. Herr Höferlin, vielen Dank.
Höferlin: Herzlichen Dank.