Wenn die Beziehung toxisch wird – Kampf gegen häusliche Gewalt

Jeden zweiten bis dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Häusliche Gewalt – nicht nur, aber vor allem an Frauen – kommt häufiger vor, als viele denken. Für Betroffene ist der Weg hinaus aus der Gewalt kein leichter. Gleich begrüßen wir Svenja Beck aus dem südhessischen Otzberg im Studio, der genau dieser Weg geglückt ist. Zunächst aber ihre Geschichte.

Svenja Beck, war von häuslicher Gewalt betroffen
„Man geht ja immer von sich selber aus, man kann das einfach auch nicht glauben, dass jemand auch so bösartig ist, den man eigentlich liebt oder geliebt hat.“
2012 lernt Svenja Beck ihren späteren Partner kennen. Anfangs fühlt sie sich wie im siebten Himmel, kann sich vor Aufmerksamkeiten und Liebesbekundungen kaum retten.
Doch als sie sich eines Tages Schuhe kauft, die ihm nicht gefallen, schlägt er zum ersten Mal zu.
Svenja Beck, war von häuslicher Gewalt betroffen
„Da wusste ich dann schon, hier stimmt was gewaltig nicht. Aber ich habe es immer auf mich gemünzt. Ich dachte immer, ich bin die Schuldige daran.
2013 hat mein Ex-Partner versucht, mich mit dem Auto zu überfahren und 2016 – als mein kleiner Sohn acht Wochen alt war – hat er versucht, mich zu erwürgen und hat mir auch in der Schwangerschaft Gewalt angetan.“
Der gemeinsame Sohn ist heute 6 Jahre alt.
Zu Ihrem Ex-Partner hat Svenja Beck keinen Kontakt mehr. Für die Gewalt gegen sie wurde er zu einer Geldstrafe und einem Jahr und einem Monat Haft auf Bewährung verurteilt.
Einige Fotos hat sie aufgehoben, auch Liebesbriefe – und ein Büschel Haare, das er ihr bei dem Versuch, sie zu erwürgen ausgerissen hat.
Für den Dreh mit uns, greift sie noch mal in ihre Erinnerungsbox. Eigentlich steht sie in der Abstellkammer, aber ganz entsorgen, kann sie die Sachen nicht.
Svenja Beck, Vereinsgründerin „Toxische Beziehungen überwinden“
„Oftmals sind diese Situationen, die da passiert sind, so schlimm gewesen, dass sie auch viel aus meinem Kopf draußen sind. Und da sind sie einfach niedergeschrieben, da kann ich es greifen. Und natürlich auch irgendwann mal für mein Kind. Um zu zeigen: Das ist damals wirklich passiert, als ich mit dem Papa noch zusammen war. Das ist mir schon auch wichtig.“
Svenja Beck hat es geschafft, sich aus ihrer Beziehung zu befreien. Jetzt hilft sie anderen. Mit ihrem Verein „Toxische Beziehungen überwinden“, über den sie auch Selbsthilfegruppen anbietet.
Viele, die hierher kommen, konnten ihre Beziehung noch nicht überwinden und wollen deshalb nicht gefilmt werden. Auch Namen nennen wir nicht.
Die meisten kommen regelmäßig, haben hier Ansprechpartner und Freunde gefunden.
Betroffene
„Es ist auch belastend, es auch von anderen Leuten zu hören und man vergleicht das auch immer mit sich selbst. Aber ich denke, man dadurch sich selbst auch besser reflektieren und kennenlernen.“
Betroffener
„Ich habe wirklich damals gezittert, ich hab gestottert, ich habe psychosomatische Probleme gehabt ohne Ende. Und hier habe ich wirklich Leute gefunden, die genau dasselbe gehabt haben. Die genau dasselbe Problem gehabt haben und ich habe gemerkt: Oh, die verstehen einen endlich. Die wissen genau, wie es einem geht.“
Auch eine virtuelle Selbsthilfegruppe bietet der Verein an. Hier ist rund um die Uhr jemand erreichbar.
Fast jede freie Minute investiert Svenja Beck in ihr Ehrenamt. Obwohl die 37-Jährige drei Kinder hat und berufstätig ist. Aber:
Svenja Beck, Vereinsgründerin „Toxische Beziehungen überwinden“
„Ich möchte weiter, dass der Weg daraus so bedeutsam ist, weil einfach so ein wundervolles Leben da auf einen wartet. Der Weg daraus ist sehr schwer und das ist auch der schwerste Weg, den ich jemals gegangen bin, aber er lohnt sich.“
Doch nur wer sich selbst auch mal eine Pause gönnt, kann anderen eine Hilfe sein. Hier an einem ihrer Lieblingsplätze kann Svenja Beck zur Ruhe kommen. Und stolz zurückblicken, auf alles, was sie geschafft hat.
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Eva Dieterle, Moderatorin: Zu diesem wichtigen Thema wollen wir jetzt weitere Informationen liefern. Deshalb ist Svenja Beck jetzt bei mir im Studio. Guten Abend
Svenja Beck, Gründerin Verein “Toxische Beziehungen überwinden”: Guten Abend.
Dieterle: Frau Beck, Sie haben ganz viel mit Betroffenen zu tun. Wer sind diese Menschen? Wer ist von häuslicher Gewalt betroffen?
Beck: Betroffen von häuslicher Gewalt kann jeder sein. Also es geht wirklich durch alle Gesellschaftsschichten durch. Wir haben aktuell prozentual etwa 70 % Frauen, 30 % Männer. Also es gibt nicht eine gewisse Kategorie, die betroffen ist, sondern es geht wirklich von einem ganz normalen Haushalt bis über Schauspieler, Fußballer. Also wir haben wirklich alles in unserer Gruppe vertreten. Es geht wirklich durch alle Schichten durch und deswegen ist es auch so wichtig, dass man sich darüber unterhält und dass man das Thema nicht totschweigt.
Dieterle: Um welche Art von Gewalt geht es denn da? Um psychische und physische, um beides?
Beck: Genau, es geht um beides. Aber primär liegt die Aufklärung und auch die Arbeit auf der psychischen Gewalt. Es ist auch leider so, dass die psychische Gewalt ja nicht strafbar ist. Wobei ich persönlich auch sage, die Gewalt ist noch um ein Vielfaches zerstörender als das Körperliche. Das Körperliche verheilt irgendwann, zwar auch mit Narben, aber die seelischen Narben, die bleiben wirklich ein Leben lang. Und das ist so schwierig, da wirklich dann auch wieder Fuß zu fassen und sich auch zu regenerieren.
Dieterle: Für Außenstehende ist das unheimlich schwer zu verstehen. Warum geht man nicht, warum löst man sich nicht? Was macht das so schwer?
Beck: Es ist einfach so, dass man einer Gehirnwäsche unterzogen wird zu Beginn der Beziehung. Das fängt von Anfang an. Da findet eine Manipulation statt und man schafft es dann kraftmäßig nicht mehr aus der Beziehung, aber auch, weil man einfach emotional abhängig geworden ist von dem Partner. Ich war auch immer diejenige, die gesagt hat: “Wenn mich mal jemand anfasst, gehe ich”, aber letzten Endes habe ich es dann auch nicht geschafft, weil ich emotional so abhängig gewesen bin. Aber auch gleichzeitig so eine starke Gehirnwäsche erhalten habe, wo ich gedacht habe, ich finde nie wieder jemanden, weil ich es einfach nicht wert bin.
Dieterle: Und man will natürlich auch eine Familie zum Beispiel nicht zerstören.
Beck: Richtig. Es ist aber ganz wichtig zu sagen, dass Kinder viel mehr darunter leiden, wenn die Elternteile zusammenbleiben und dass da eine Gewaltform gibt, anstatt dass sich jemand trennt und dann die Kinder auch zumindest eine Seite haben, bei der sie Konstante erleben und wo eben keine Gewalt eine Rolle spielt.
Dieterle: Leider kommt es auch immer wieder zu tödlicher Gewalt gegen Frauen. Das sind dann die Femizide. Das passiert alle zwei bis drei Tage in Deutschland. Warum kann das nicht verhindert werden?
Beck: Weil die Gesellschaft das Thema gar noch nicht so ernst nimmt. Wir kriegen ganz häufig die Information, dass die Polizei nicht ernst nimmt, dass die Opferschutzbeauftragten da sehr fahrlässig mit umgehen. Das ist natürlich nicht überall in Deutschland so, aber es ist eben auch gleichzeitig so, dass kein 24 Stunden-Schutz da ist und dadurch eben auch nicht komplett geschützt werden kann. Und das wissen die Täter auch und meistens ist es so, dass nach den Trennungen, wenn sie dann praktisch diesen Bezug verlieren, dann auch diese ganzen Femizide stattfinden.
Dieterle: Sie haben diesen Verein gegründet, ehrenamtlich, um zu helfen. Wie ist es denn ansonsten um den Opferschutz in Deutschland so bestellt?
Beck: Ja, der Opferschutz ist erst mal eigentlich relativ gut aufgestellt. Es muss einfach noch viel mehr passieren. Dafür gibt es ja die Istanbul-Konvention. Das ist praktisch schon gesetzlich verankert, dass die Prävention weiterlaufen muss, dass die Opfer besser geschützt werden. Jetzt liegt es nur noch da dran, die wirklich auch umzusetzen. Das ist ganz wichtig für Deutschland, dass wir endlich weiterkommen, auch in dieser Entwicklung. Andere europäische Länder sind da schon viel weiter wie wir.
Dieterle: Letzte Frage und damit vielleicht auch die wichtigste: Wenn ich betroffen bin von häuslicher Gewalt, wo kriege ich Hilfe her? An wen kann ich mich wenden? Was soll ich tun?
Beck: Ja, ganz wichtig natürlich die Polizei. Sich immer an die Polizei wenden, natürlich auch jederzeit zu uns an den Verein, wir vermitteln auch weiter. Einen Rechtsanwalt nehmen, wirklich die Grenzen klar machen, aber auch der Weiße Ring und “Frauen helfen Frauen”, also alle wirkliche Opferschutzstellen aufsuchen und sich alle Hilfe suchen, die man braucht. Also wirklich offen mit dem Thema umgehen, auch beim Jugendamt. Ich weiß, dass es oft sehr schwerwiegend ist, da auch Gehör zu finden, aber umso offener man damit umgeht, umso leichter wird es dann im Nachgang auch.
Dieterle: Frau Beck, vielen Dank für Ihr Engagement und für das Interview heute.
Beck: Danke schön, vielen lieben Dank!