Weitere Kommentare zur Bundestagswahl

Weitere Kommentare aus der Redaktion zur Bundestagswahl

David Rischke:

Die Bundesrepublik hat ein neues Stadium erreicht. Die beiden Schwergewichte CDU/CSU und SPD wurden so weit eingedampft, dass sie nur noch mit Mühe und Not über 50% liegen. Die selbstbewussten Töne können – zurecht – die FDP und Grünen spucken. Nur folgerichtig sind es diese beiden ehemaligen Kleinen, die mit den Vorab-Sondierungen gemeinsamen den Aufschlag machen: Denn ohne FDP und Grüne ist aller Voraussicht nach keine Regierung zu machen. Die beiden Parteien mit der geringsten inhaltlichen Schnittmenge loten eine Zusammenarbeit aus. Ein erfrischend neuer Politikansatz, der aus der Vernunft heraus geboren ist. Robert Habeck bringt seine Erfahrung aus den erfolgreichen Jamaika-Gesprächen in Schleswig Holstein mit. Und FDP-Generalsekretär Volker Wissing hat in Rheinland-Pfalz sogar zwei Ampel-Koalitionen mit ausgehandelt. Auf der anderen Seite irritieren die Aussagen von Armin Laschet nach der Wahl. Der Spitzenkandidat der stolzen CDU/CSU war nicht mal in seinem eigenen Wahlkreis angetreten, er wurde also von den Wählerinnen und Wählern nicht mal direkt gewählt. Seine eigene Partei hat eine historische Bruchlandung hingelegt. Jede Forderung nach einer Regierungsführung verbietet sich hier, angesichts eines Wähler-Swings von mehr als 13 Prozent zugunsten der SPD und dem Verlust von Dutzenden Direktmandaten. Man kann das Wahlergebnis wie folgt lesen: Nach 16 Jahren an der Macht täte die Union gut daran, auf der Oppositionsbank Platz zu nehmen und die Partei wieder in Ruhe zusammen zu führen.
Michael Otto:

Es war Willy Brandt, der die SPD die Partei des „donnernden Sowohl-als-Auch“ genannt hat. Selten hat ein Sozialdemokrat dieses Prinzip so verinnerlicht wie Olaf Scholz. Ihm ist es von allen Kandidaten am besten gelungen, die Sehnsucht nach Veränderung genauso zu verkörpern wie den Wunsch, alles möge bleiben wie es ist. Man kann bezweifeln, ob diese Fähigkeit reicht, um eine Koalition mit Grünen und FDP zu führen und dabei die eigene Partei im Zaum zu halten. Denn was das Land nicht braucht, ist eine moderierte Regierung, die an einigen Schräubchen dreht, damit alle Parteien etwas für die Stimmung an der Basis haben und die auf große Fragen wie die des Klimaschutzes oder der Armutsbekämpfung nur kleine Antworten gibt. Und doch birgt eine Ampelkoalition die größere Chance für einen Aufbruch als es eine Jamaica-Koalition unter Führung der Union wäre, der in der Stunde ihrer größten Niederlage nichts anderes einfällt, als aus dieser Niederlage einen Führungsanspruch abzuleiten. Die Peinlichkeit, den Wahlverlierer Laschet ins Kanzleramt zu bugsieren, sollten sich FDP und Grüne ersparen. Die Bundestagswahl wird die Politik in Deutschland verändern. Aber wie schnell Neues zur Normalität werden kann, hat der gestrige Abend auch gezeigt. Dass sich eine in großen Teilen faschistische Partei dauerhaft etabliert und sogar in zwei Ländern stärkste Kraft wird, nahmen die Mitbewerber nur noch mit Schulterzucken zur Kenntnis. Es wäre nicht verkehrt, diese Entwicklung bei allem Koalitionspoker nicht aus dem Auge zu verlieren.
Carsten Praeg:

Die Sache scheint am Tag 1 nach der Ära Merkel bereits klar: Nur eine Dreierkoalition kommt auf die nötige Mehrheit, lässt man die ausgediente große Koalition mal außen vor. Und da die SPD die Nase beim Foto-Finish vorn hat und sich ein angeschlagener Unionskandidat Armin Laschet heute deutlich defensiver gibt, scheint eine Ampelkoalition schon ausgemachte Sache. Noch bevor überhaupt Sondierungsgespräche stattgefunden haben. Und selbst wenn eine Jamaika-Koalition ebenso möglich ist, dürfen sich Bündnisgrüne und FDP schon jetzt als Königsmacher fühlen. Ohne sie geht es nicht. Deshalb wollen die designierten Juniorpartner als Erste miteinander reden. Um tunlichst ein Debakel wie vor vier Jahren zu vermeiden, als man nach monatelangen Verhandlungen doch mit leeren Händen dastand. Für die Liberalen wollen Parteichef Lindner und Generalsekretär Wissing „zeitnah“ in die Gespräche gehen. Volker Wissing, bis vor kurzem rheinland-pfälzischer Wirtschaftsminister einer rot-grün-gelben Koalition, dürfte durchaus Fantasie für Gemeinsamkeiten mitbringen. Genau diese fehlt Christian Linder aber nach eigenem Bekunden. Zu groß scheinen die Unterschiede etwa in der Steuerpolitik oder beim Klimaschutz. Themen, auf die sich auch die SPD im Wahlkampf gestürzt hat. Es bedarf keiner großen Fantasie, um den Wohlfühlfaktor der FDP in einer Unionsgeführten Koalition deutlich höher einzuschätzen. Und eine ähnlich langwierige Regierungsbildung wie vor vier Jahren zu befürchten.