Weiter Diskussion um Sicherheitslage nach Solingen-Anschlag

Der IS Terror ist in Deutschland zurück. Zum ersten Mal seit dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt bekennt sich der Islamische Staat zu Terror in Deutschland. Die Messerattacke von Solingen mit drei Toten bewegt das Land und wirft immer wieder die Frage auf, was tut die Politik, um die innere Sicherheit zu stärken. CDU-Chef Friedrich Merz wirft Bundeskanzler Olaf Scholz heute Kontrollverlust vor und hat ihn zu harten Gesetzesänderungen aufgefordert – notfalls an den Ampelpartnern Grüne und FDP vorbei, allein mit den Stimmen der SPD und der Union. Wir sprechen heute mit den Ministerpräsidenten von Hessen und Rheinland-Pfalz – welche Folgen ziehen sie aus dem Attentat von Solingen?

650 Jahre Solingen werden gerade gefeiert, als ein Mann am späten Freitagabend auf dem Marktplatz offenbar willkürlich mit einem Messer um sich sticht. Er tötet drei Menschen, acht weitere werden verletzt. Der mutmaßliche Täter sitzt mittlerweile in Untersuchungshaft, der Generalbundesanwalt ermittelt wegen Terrorverdachts.
Bei dem Tatverdächtigen handelt es sich um einen 26 Jahre alten Syrer, mutmaßlich Mitglied der Terrorvereinigung Islamischer Staat, der vor Monaten abgeschoben werden sollte.
Laut Bundespolizei hat die Zahl der Messerangriffe an Bahnhöfen, Flughäfen und Landesgrenzen mit 853 Delikten einen neuen Höchststand erreicht.
Ein Blick in die polizeiliche Kriminalstatistik zeigt zudem: 34% aller tatverdächtigen Straftäter sind Ausländer. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung beträgt hingegen nur 15%.
Die Union fordert deshalb das Ende der, wie sie sagt „naiven Einwanderungspolitik“, konsequentere Abschiebungen sowie einen Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien und Afghanistan.
Boris Rhein (CDU), Ministerpräsident Hessen
„Wir erleben, dass wir bei der Migration ein ernsthaftes Terrorproblem haben und spätestens seit Solingen muss man sagen, es kann bei der Migration, bei der ungezügelten Zuwanderung in unser Land kein ‚weiter so‘ geben. Ich erwarte jetzt vom Bundeskanzler, dass er das Thema Bekämpfung des islamistischen Terrors und natürlich auch das Thema Migration zur Chefsache macht.“
Die SPD erteilt den Forderungen der Union bislang eine Absage. Zudem sorgt Partei-Chefin Saskia Esken mit einer Aussage in einer ARD-Talkshow am Sonntag für Diskussionen. Aus dem Anschlag von Solingen lasse sich nicht viel lernen, da der Täter bislang nicht auffällig oder polizeibekannt gewesen sei, so Esken.
Wie beurteilt der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer diese Aussage?
Alexander Schweitzer (SPD), Ministerpräsident Rheinland-Pfalz
„Wir lernen sehr stark, dass wir dieses Thema Flucht und Migration als Thema, das die Menschen umtreibt, das sie emotionalisiert, ernst nehmen müssen. Wir können an diesen Gefühlen nicht einfach vorbeigehen, aber man darf die Menschen jetzt nicht aufhetzen, emotionalisieren und schon gar nicht darf man Dinge in Aussicht stellen, die niemand in der deutschen Politik wird erfüllen können. Darum geht es darum, Regierungshandeln Schritt für Schritt so zu entwickeln, dass Humanität möglich ist, aber Ordnung auch weiterhin Einkehr erhält.“
Kurzfristig wollen die Ministerpräsidenten die Sichtbarkeit von Polizisten in den Innenstädten in Hessen und Rheinland-Pfalz erhöhen. Boris Rhein fordert zudem die Ausweitung von Waffenverbotszonen und Waffenkontrollen in Erstaufnahmeeinrichtungen. Alexander Schweitzer kündigt an, die Kommunen besser zu den rechtlichen Rahmenbedingungen von Abschiebungen zu beraten, um Verfahren zu beschleunigen.
Solingen hat einmal mehr gezeigt, es gibt großen Handlungsbedarf beim Thema Migration.
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Markus Appelmann, Moderator:
Da gibt es noch einiges zu besprechen. Und das tun wir jetzt mit dem hessischen Landesvorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Dirk Peglow. Ich grüße Sie.
Dirk Peglow, Vorsitzender Bund Deutscher Kriminalbeamter:
Guten Tag!
Appelmann:
Lassen Sie uns ein bisschen ausholen. Sie haben damals bei dem Messerattentat auf einen Polizeibeamten in Mannheim dem Bundeskanzler Olaf Scholz einen Brief geschrieben. Was steht da drin in dem Brief und was hat er Ihnen geantwortet?
Peglow:
Ja, zunächst einmal habe ich diese Tat, diese schreckliche Tat zum Anlass genommen, mich an Herrn Scholz zu wenden, um auf das Problem Messergewalt als solches, unabhängig von der Sache, die in Mannheim geschehen ist, aufmerksam zu machen und ihn darum zu bitten, darüber nachzudenken oder bzw. als Bundeskanzler seine Rolle zu nutzen, um eben über ein generelles Messerverbot in Deutschland nachzudenken und hier entsprechende Ressorts zu beauftragen der Bundesregierung in seinem Kabinett hier möglicherweise Vorschläge zu formulieren. Eine Antwort habe ich leider bis heute noch nicht von ihm bekommen.
Appelmann:
Zumindest war Bundeskanzler Scholz gestern in Solingen und hat ein verschärftes Waffenrecht in Umlauf gebracht, hat es auch zum Gespräch gebracht. Ist das die Lösung?
Peglow:
Also wir werden die Diskussion, die jetzt momentan geführt wird, zum Thema genereller Messerverbote oder der Einrichtung von Waffenverbotszonen – muss man differenziert führen. Man muss sie vor allen Dingen losgelöst von den Ereignissen in Solingen führen. Wir werden durch Messerverbotszonen oder eine gesetzliche Regelung Attentäter wie den in Solingen nicht von solchen Taten abhalten. Das muss klar sein. Hier geht es um eine andere Diskussionsrichtung. Das, was in Solingen passiert ist, ist so nach dem, was wir bislang wissen, eine terroristische Handlung, dschihadistische Terrorismus …
Appelmann:
Sie können ja auch andere Waffen nehmen, zum Beispiel Autos oder Lkw. haben wir auch schon erlebt.
Peglow:
Natürlich. Wobei LKWs und Autos für so was zu verwenden natürlich ein bisschen mehr Vorbereitung bedarf. Ein Messer kann man jederzeit und überall besorgen, mitführen, verdeckt mitführen und dann auch zum Einsatz bringen. Aber wir müssen noch mal die Diskussion über Solingen und das, was daraus zu folgern ist, müssen wir gesondert führen von der Diskussion über die Einrichtung von Messerverbotszonen oder über ein generelles Messerverbot in Deutschland.
Appelmann:
Wir haben gerade eben im Beitrag Zahlen gehört ,Ausländer machen etwa 15 % der Wohnbevölkerung aus, bestreiten aber unter den erfassten Tatverdächtigen über 34 %. Hat Deutschland ein Problem mit kriminellen Ausländern?
Peglow:
Ich würde sagen, wir müssen da genau hinschauen. Erstens geht es auf Zahlen zurück, die aus der Polizeilichen Kriminalstatistik resultieren. Das sind angezeigte, der Polizei bekannt gewordenen Fälle. Das sind relevante Zahlen. Wir müssen aber auch sehen, dass wir bei ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ja nicht nur auch Menschen erfassen, die hier in Deutschland ihren Wohnsitz haben und nicht deutsch sind, sondern hier sind auch natürlich eine ganze Reihe von Personen, Touristen zum Beispiel, Menschen, die sich aus anderen Gründen kurzzeitig in Deutschland aufhalten. Und es sind auch Personen dabei, die natürlich extra einreisen, um in Deutschland Taten zu begehen. Ich will das Problem als solches damit nicht herunterspielen …
Appelmann:
Ich wollte gerade sagen – es wird zu oft vielleicht relativiert, man muss da auch Klartext sprechen.
Peglow:
Wir müssen uns damit befassen. Wir haben eine überproportionale Beteiligung gemessen an der Wohnbevölkerung in Deutschland von ausländischen Tatverdächtigen. Das heißt, wir müssen uns hier mit den Ursachen beschäftigen. Die Ursachen, die sind natürlich auch in Teilen eben damit verbunden, dass es sich bei den in Deutschland befindlichen Ausländerinnen und Ausländern eben auch häufig um Menschen handelt, die eine, sage ich mal, schwere soziale Prognose haben, die aus einfachen Verhältnissen kommen. Und das sind alles Faktoren, die auch bei Deutschen Kriminalität begründen können. Also Kriminalität oder die Neigung dazu, Straftaten zu begehen, ist keine Frage der Nationalität, sondern eine Frage der Herkunft, der Sozialisation, des sozialen Standards und der Bildung. Das sind die entscheidenden Faktoren dafür.
Appelmann:
Wir haben heute auch über die Folgen für Hessen und Rheinland-Pfalz gesprochen, und der hessische Ministerpräsident Boris Rhein hat sich auch in die Diskussion eingeschaltet. Er fordert jetzt Waffenkontrollen in Flüchtlingsunterkünften und er fordert mehr Polizeipräsenz bei Festen. Was halten Sie davon?
Peglow:
Wir haben eine ganze Menge Personal, aber unser Personal, was wir aktuell zur Verfügung haben in Hessen, wird dazu nicht ausreichen. Das heißt, das ist eine gute Forderung, die aber umgesetzt werden muss, die natürlich auch dazu beitragen wird, die subjektive oder auch die objektive Sicherheit zu erhöhen. Wir brauchen aber auch, um die Detektion im Vorfeld zu machen von anstehenden Anschlagsszenarien oder Ähnlichem, die notwendigen Analyse- und Auswertekompetenzen, das heißt Ermittlung – Ermittlung, Auswertung, Analyse plus Präsenz der …
Appelmann:
Also Daten, die da sind, müssen nur dann vernetzt werden. Das fordern Sie, mehr Personal und ein generelles Messerverbot. Danke, dass Sie heute im Studio waren. Dirk Peglow.
Peglow:
Danke.