Was tun gegen Fachkräftemangel?

Einen Handwerker zu bekommen, der irgendwelche dringenden Reparaturen angeht, dauert oft Monate. Aber nicht nur Handwerker fehlen, sondern auch Pflegekräfte, auf dem Land die Ärzte und in den Schulen die Lehrer – der Fachkräftemangel ist überall präsent. Woran liegt das eigentlich? Und wie groß wird das Problem? Diese generellen Fragen gehen wir heute an – und wir starten im Einzelhandel, wo Chefs kreativ sein müssen, wenn sie neue Mitarbeiter suchen.

Dicke Jacken, Winterschuhe, Ski-Ausrüstung – Sachen, die man in Marokko, der Heimat von Abdelilah Feteh, wohl eher selten braucht. Jetzt sind sie Teil seiner Arbeit im Mainzer Sportgeschäft WildWechsel: Der 26-Jährige macht seit zwei Monaten eine Ausbildung im Einzelhandel. Bis hierher war es kein einfacher Weg.
Abdelilah Feteh, Azubi
„Es war sehr schwierig. Nicht leicht, von Marokko nach Deutschland eine Ausbildung. Es gibt viele Dinge zu tun vorher.Es bleibt eine neue Erfahrung für mich und ich war begeistert, diese neue Erfahrungen zu beginnen und viele Sachen zu lernen.“
Eine neue Erfahrung auch für die Geschäftsführung. Bevor Abdelilah mit der Arbeit anfangen konnte, gab es erst mal viel Arbeit mit bürokratischen Hindernissen. Die Entscheidung für Abdelilah sei trotzdem richtig gewesen.
Volker Thomann, Geschäftsführer WildWechsel
„Weil wir hier niemanden gefunden haben. Wir haben keinerlei Bewerbungen aus dem lokalen Raum reinbekommen. Letztendlich sind wir froh, dass wir jemanden haben und der Herr Feteh ist auch lernwillig; natürlich merken wir schon, dass wir ihn an die Hand nehmen müssen, dass man langsam mit ihm sprechen muss.“
Die Alternative wäre gewesen: kein Azubi, keine Arbeitskraft, vielleicht weniger Umsatz. Ein Problem, dass sich verschärfen wird, wenn immer mehr Menschen in Rente gehen. Dabei trifft der Fachkräftemangel im Augenblick die Wirtschaft und den Sozialstaat noch gar nicht so schwer. In Deutschland arbeiten trotz Corona und Energiekrise so viele Menschen arbeiten wie nie zuvor: fast 46 Millionen.
1. Für das Rentensystem ist das gut, denn es ist umlagefinanziert – bedeutet: Die heutigen Arbeitnehmer finanzieren den heutigen Rentnern den Ruhestand. In den 1960ern haben so noch sechs Arbeitnehmer einen Rentner finanziert.
2. Im Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg kamen viele Kinder zur Welt – die Generationen ab den 1970er Jahren fielen zahlenmäßig kleiner aus.
3. Das Problem: Ab Mitte der 2020er Jahre gehen die geburtenstarken Jahrgänge in Rente. 15 Millionen Menschen werden von Arbeitskräften zu Ruheständlern – die geburtenwachen Jahrgänge nach ihnen können sie zahlenmäßig nicht ersetzen.
Auch in Rheinland-Pfalz gehen bis 2030 eine weitere Million Menschen in Rente. Weil viele junge Menschen in die Ballungsräume ziehen, treffe der Fachkräftemangel das ländliche Rheinland-Pfalz besonders hart, sagt Professor Stefan Sell, Arbeitsmarktexperte von der Hochschule Koblenz. Die Folgen seien kaum vorstellbar für eine Wohlstandsgesellschaft.
Stefan Sell, Arbeitsmarktexperte Hochschule Koblenz
„Wenn wir keine Zuwanderung hätten, dann muss man den Menschen sagen, dann werden wir hier – besonders bei personalintensiven Bereichen – nicht mehr alles aufrechterhalten können. Sie werden sich in den nächsten Jahren an vielen Ecken, an die sie gar nicht denken, auf eine zunehmende Mangelwirtschaft einstellen müssen. Handwerk, Pflege, aber auch kommunale öffentliche Dienste.“
Zuwanderung alleine könne das Problem nicht lösen, denn Hunderttausende Zuwanderer pro Jahr schaffe neue Herausforderungen: Wohnraum und Kinderbetreuung für Einwanderer, Integration und mehr Arbeit für Behörden. Sell sagt: Auch im Land sei Potential vorhanden. So gibt es in Rheinland-Pfalz 100.000 Arbeitslose – durch Qualifikation könnten viele in Arbeit kommen. Auch müsse geprüft werden, ob die 600.000 Teilzeitbeschäftigten – vor allem Frauen – in Vollzeit wechseln könnten.
Auch in den Älteren selbst sieht Sell Potential.
Stefan Sell, Arbeitsmarktexperte Hochschule Koblenz
„Werben um die Älteren. Sagen: ‚Komm, wir machen euch das angenehm. Wir schaffen euch gute Arbeitsbedingungen, sodass ihr eben auch freiwillig länger bleibt und sei es halbtags‘. Das wäre viel besser, viel wichtiger.“
Menschen wie Abdelilah Feteh sind heute schon Teil der Lösung. Der Job macht ihm Spaß, seine Kollegen seien nett und er kann sich vorstellen, zu bleiben.