Was bringt das neue Bürgergeld?

Seit dem 1. Januar gibt es statt Hartz IV das neue Bürgergeld. Damit erhalten die rund 5,4 Millionen Empfangsberechtigten in Deutschland jetzt gut 50 Euro mehr im Monat. Der eigentliche Kern der Sozialreform der Bundes-Regierung ist aber ein anderer: weg vom Fordern, hin zum Fördern. Heißt konkret: Bürgergeld-Empfängern drohen künftig weniger Sanktionen. Sie sollen stattdessen besser bei der Jobsuche unterstützt werden. Wie wichtig die passende Unterstützung bei dem Weg raus aus der Arbeitslosigkeit sein kann, zeigt ein Beispiel aus Frankfurt.

Tessa Hemzal und Sarina Aslamyar haben geschafft, wovon andere nur träumen: Raus aus Hartz IV – rein in den ersten Arbeitsmarkt. Ihre Geschichte ist ähnlich. Schon im Teenageralter schwanger, alleinerziehend, arbeitslos. Doch beiden war schnell klar: So wollen wir nicht für immer leben.
Tessa Hemzal
„Es gibt natürlich auch Leute die sagen: ‚Nein. Warum soll ich arbeiten gehen, wenn ich das Geld bekomme?‘. Aber zu sehen – okay, später hin auf die Rente oder selbst Vorbild für sein Kind zu sein. Zu sagen: ‚Guck mal, ich gehe arbeiten‘. Ich gebe das nicht weiter an die nächste Generation. Ich sitze nur zu Hause und mein Kind sieht das. ‚Ah, okay. Meine Mama arbeitet auch nicht. Dann muss ich auch nicht arbeiten gehen‘.“
Sarina Aslamyar
„Ich dachte mir: ‚Okay, ich bekomme Geld vom Amt, das war’s‘. Beziehungsweise noch Kindergeld, weil ich noch unter 25 war und arbeitssuchend. Aber wenn man es so betrachtet: Es war nicht viel. Und auch unsere Ausbildung, die wir dann gemacht haben, war auch nicht gerade viel, was wir da bekommen haben. Aber wir haben es geschafft. Wir haben die Hürden hinter uns.“
Geklappt hat es letztlich mit viel Fleiß, etwas Glück und dank der Unterstützung durch den Frankfurter Verein zur beruflichen Förderung von Frauen. Der hat Tessa und Sarina eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement ermöglicht und sie danach sogar fest eingestellt. Beides in Teilzeit.
Tatjana Leichsering, Verein zur beruflichen Förderung von Frauen
„Für junge Mütter ist es häufig sehr schwierig aufgrund der Familiensorge und der Kinderbetreuung in den Arbeitsmarkt zu gelangen oder überhaupt eine Berufsausbildung zu machen. Daher ist eine Teilzeit-Berufsausbildung für diese jungen Frauen häufig das einzige Instrument, dass sie in dem Alter und dieser Lebenssituation auch eine Berufsausbildung bis zum Abschluss führen können.“
Gezielte Förderung mit einem starken Fokus auf Aus-, Fort- und Weiterbildung: Für Tatjana Leichsering sind das die Zutaten, die es braucht, um Arbeitslose wieder in die Berufswelt zu integrieren. Dazu kommt die Hilfe bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz und bei den Prüfungsvorbereitungen. Nicht zuletzt brauchten Arbeitslose oft aber auch einfach nur ein offenes Ohr – und einen kleinen Motivationsschub.
Tessa Hemzal
„Man muss halt wirklich auf Dauer sehen: Ok, möchte ich mein Leben lang von Hartz IV leben oder möchte ich was tun? Und es gibt Möglichkeiten.“
Sarina Aslamyar
„Ich kenne viele, die arbeitslos sind. Wo ich auch versuche, sie ein bisschen zu motivieren. Zu sagen: ‚Hör mal zu, guck mal – ich hab’s geschafft. Mit einem Kind. Und du, du bist noch nicht verheiratet, hast noch kein Kind. Du kannst es auch schaffen. Wenn ich das geschafft habe, schaffst Du es auch‘.“
Das Gefühl, alles schaffen zu können, wenn man nur will und sich anstrengt, hat Tessa und Sarina inzwischen sogar zum nächsten Schritt ermutigt: Neben ihrer Arbeit im Büro haben die beiden vor kurzem auch noch angefangen, Betriebswirtschaft zu studieren.
———————
Eva Dieterle, Moderatorin: Am 1. Januar hat das Bürgergeld Hartz IV abgelöst und darüber spreche ich jetzt mit Dr. Stefan Hoehl von der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände. Guten Abend.
Dr. Stefan Hoehl, Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände: Guten Abend!
Dieterle: Aus Sicht der Unternehmen: Wie bewerten Sie die Umstellung von Hartz IV auf das neue Bürgergeld?
Hoehl: Die Reform ist eine, die der Arbeitsmarkt nicht gebraucht hat, weil das Bürgergeld falsche Anreize setzt, um im Leistungsbezug zu verharren. Insbesondere weil zum Beispiel der Vermittlungsvorrang jetzt nicht mehr gelten soll.
Dieterle: Mit dem Bürgergeld bekommen Arbeitssuchende mehr Geld als noch mit Hartz IV und müssen weniger bürokratische Schritte durchgehen. Haben Sie die Befürchtung, dass das Bürgergeld attraktiver ist, als zur Arbeit zu gehen?
Hoehl: Die Gefahr besteht bei allen Sozialleistungen, vor allen Dingen, wenn auf eine Sozialleistung eine weitere noch draufgepackt wird und dann noch eine weitere kommt und wir so in eine Alimentationsspirale mit der Zeit geraten. Und in der Tat, beim Bürgergeld ist es so, dass es leichter zu erlangen ist und die Anreize, aus Bürgergeld Arbeit aufzunehmen, geschwächt worden sind. Und das sind genau die Signale, die wir nicht brauchen.
Wir haben nämlich jetzt schon einen akuten Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel und wir brauchen alle Kräfte hinter der Verkaufstheke, in der Werkhalle, aber nicht im Jobcenter.
Dieterle: Bei Hartz IV gab es Förderprogramme, um Arbeitssuchende weiterzubilden. Werden diese Menschen durch das Bürgergeld jetzt noch besser gefördert oder hat sich da nichts geändert?
Hoehl: Die Qualifizierungsmaßnahmen mit dem Bürgergeld sind in der Tat etwas verbessert worden. Das ist durchaus auch eines der wenigen positiven Elemente dieser Reform. Aber man muss sehen, dass viele der Leistungsbezieher, die früher Arbeitslosengeld II oder jetzt Bürgergeld beziehen, zu weit weg sind von der Möglichkeit, sich zu qualifizieren. Sie können nicht oder sie wollen nicht sich in Qualifizierungsmaßnahmen begeben, sondern lieber Geld verdienen vom ersten Tag an, und deshalb haben die Jobcenter hier eine ganz wichtige Aufgabe, nämlich diejenigen zu identifizieren und zu motivieren, auch die Qualifizierungsmaßnahmen dann aufzunehmen.
Dieterle: Mit der Förderung im Rahmen des Bürgergeldes sollen Fachkräfte ausgebildet werden. Was fordern die Unternehmerverbände, um mehr Fachkräfte zu bekommen?
Hoehl: Unsere wichtigste Forderung, die wir seit vielen Jahren schon erheben, ist die abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren endlich zu beenden. Denn 2 Millionen Fachkräfte, die hoch bezahlt sind, sind auf diese Weise in Frührente in Deutschland gegangen, zulasten der jungen Generation im Übrigen, die das Ganze finanzieren müssen, und zulasten der Unternehmen, die immer schwieriger Fachkräfte finden. Das muss beendet werden und im Übrigen muss der Staat dafür sorgen, dass die Bindungsfähigkeit von jungen Leuten besser wird und nicht schlechter. Also das heißt, die Schulleistungen sollten wieder besser werden, damit der Übertritt von Schule in Ausbildung und Arbeit besser gelingt.
Dieterle: Herr Hoehl, vielen Dank für das Interview.
Hoehl: Sehr gerne.