Was bedeutet die Impfpflicht für Krankenhäuser und Pflege?

Markus Appelmann spricht mit Prof. Norbert Paul von der Universitätsmedizin Mainz über die einrichtungsbezogene Impfpflicht.

Markus Appelmann, Moderator: Guten Tag, Herr Paul!
Prof. Norbert Paul, Medizinethiker Universitätsmedizin Mainz: Ja, schönen guten Tag, Herr Appelmann.
Appelmann: Welche Auswirkungen hat die Impfpflicht im medizinischen Bereich auf die größte Klinik in Rheinland-Pfalz?Wie viel Personal bei Ihnen ist noch ungeimpft?
Paul: Ja, es ist in der Tat so, dass wir das jetzt schon erhoben haben, weil wir natürlich gesetzestreu sind. Wir haben etwa 300 Personen in der ersten Runde identifiziert, die nicht geimpft sind. Einige werden sich sicherlich mit Novavax auch nachimpfen lassen. Wir haben etliche, die echte Impf-Hindernisse haben, also zum Beispiel nach der Erstimpfung wirkliche Nebenwirkungen erlebt haben, sodass wir davon ausgehen, dass am Ende des Tages etwa 150 nicht geimpften Personen haben werden. Immer noch eine Schätzung. Davon sind nicht ganz 100 Personen im pflegerischen Bereich und einige im ärztlichen Bereich.
Appelmann: Jetzt impfen Sie das Klinikpersonal mit einem Impfstoff, der nicht optimal gegen die neue Corona-Variante greift. Können Sie diese überhaupt vertreten?
Paul: Ja, das kann man nicht nur vertreten, sondern das muss man sogar eigentlich bestärken. Wir sehen auf unseren Stationen, dass Patientinnen und Patienten, die schwer erkranken, in der Regel geimpft sind oder erhebliche Risikofaktoren haben. Davon gehen wir mal nicht aus bei Menschen, die noch berufstätig sind und ein gewisses Alter noch nicht überschritten haben. Das heißt, die Impfung verhindert nicht die Infektion, aber sie verhindert schwere Erkrankungen. Und wir sind natürlich als Arbeitgeber auch verpflichtet, unsere Mitarbeitenden zu schützen und auch vor Infektionen zu schützen. Deswegen ist die Impfung wirklich dringend angeraten.
Appelmann: Das Bundesverfassungsgericht hat heute grünes Licht für die Impfpflicht im medizinischen Bereich gegeben. Die Impfpflicht für alle ist weiterhin stark in der Diskussion. Halten Sie die Impfpflicht für alle überhaupt noch für möglich?
Paul: Ja, ich will die Frage vielleicht mal so beantworten: Aus ethischer Sicht, aber auch aus Sicht der der Vorsorge ist sie sicherlich geboten. Ob sie noch möglich ist, ist eine andere Frage, die abhängig ist von sehr vielen pragmatischen, organisatorischen und politischen Erwägungen, was ein bisschen bedauerlich ist. Es steht schon zu befürchten, dass wir im nächsten Herbst noch einmal eine Welle erleben, eine Herausforderung erleben und uns dann die Frage stellen, warum wir sie im Sommer nicht umgesetzt haben. Deswegen wäre ich auch als Ethiker sehr froh, es käme hier zu einer mutigen Entscheidung und vielleicht auch dazu, dass wir uns alle untereinander wieder ein bisschen mehr solidarisch verhalten.
Appelmann: Während lang und breit diskutiert wird, schreitet die Durchseuchung der Gesellschaft weiter voran. Ist das ein Problem oder sehen Sie dies als Chance?
Paul: Ja, auch das kann man wie so oft nicht ganz klar und eindeutig beantworten. Sicherlich ist es so, dass Omikron dafür sorgt, dass wir mit relativ geringer Krankheitslast eine Grundimmunität ausbilden und entwickeln in unserer Gesellschaft. Es gibt ein Problem: Die Omikronwelle hat noch nicht alle vulnerablen Gruppen, insbesondere betagte Menschen und auch solche ohne Impfung, erreicht. Das heißt, wir gehen im klinischen Bereich davon aus, dass wir diese Patienten voraussichtlich in ca. drei Wochen, vielleicht vier Wochen erst sehen und dann erst in fünf Wochen sagen können, ob Omikron mit geringen Lasten zu einer Durchseuchung geführt hat oder ob wir doch noch einmal ganz erhebliche Herausforderungen gestellt werden.
Appelmann: Danke, Professor Norbert Paul von der Universitätsmedizin in Mainz.
Paul: Ich danke Ihnen sehr.