Virologe Plachter zur aktuellen Corona-Situation

Wo stehen wir derzeit? Eine Frage, die wir Prof. Bodo Plachter stellen. Er ist kommissarischer Direktor des Instituts für Virologie an der Universitätsmedizin in Mainz.

Markus Appelmann, Moderator: Guten Tag!
Prof. Bodo Plachter, kommissarischer Direktor des Instituts für Virologie an der Universitätsmedizin Mainz: Schönen guten Tag!
Appelmann: 33.949 Corona-Neuinfektionen an einem Tag – ein Rekordwert. Kurze Einschätzung: Wie würden Sie die aktuelle Lage beschreiben?
Plachter: Die Lage ist natürlich ein bisschen anders als zum Beispiel vor einem Jahr, wo wir auch so hohe Werte erreicht haben. Wir haben halt jetzt die Impfung. Wir sehen viele, die sich infizieren, geimpft und auch geschützt, sodass die Zahlen … man muss sie beobachten. Aber viel wichtiger ist natürlich im Augenblick auch, dass man schaut, was passiert in Krankenhäusern, welche Auswirkungen haben diese hohen Zahlen auch auf die Intensivstationen beispielsweise? Das heißt nicht Entspannung, aber man sollte doch zunächst mal die Sache erst mal beobachten und dann vielleicht reagieren.
Appelmann: Herr Plachter, lassen Sie uns genau da bleiben: Haben Sie noch freie Betten? Wie sieht es auf den Intensivstationen aus?
Plachter: Ja, was man so hört, natürlich sind einzelne Intensivstationen überlastet. Natürlich in den Bereichen auch, wo Hotspots entstehen, hörte man schon, dass die Intensivstationen an der Grenze sind. Problem im Augenblick ist eher, dass wir auch nicht mehr so viele Intensivbetten offensichtlich haben, das sagen uns die Intensivmediziner, wie vor einem Jahr, weil das Personal fehlt. Das heißt, man muss es schon sehr eng beobachten, wie es weiterläuft und dann eben nicht großflächig die Intensivstationen zu überlasten.
Appelmann: Und trotzdem wird weiter gelockert. Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat diese Woche eine neue Corona-Bekämpfungsverordnung vorgestellt. Im Außenbereich können nun ohne Maske, Test und Abstand Martinszüge und Weihnachtsmärkte stattfinden. Sie, Herr Plachter, sind im Corona-Experten Team Rheinland-Pfalz. Stehen Sie hinter dieser Entscheidung?
Plachter: Wir haben im Prinzip jetzt in der Vergangenheit eher gesehen, dass im Außenbereich eher weniger Probleme auftreten. Das heißt aber natürlich nicht, dass wir jetzt alles fallen lassen sollten. Natürlich kann man entsprechende Aktivitäten auch wieder durchführen. Aber jeder sollte natürlich für sich selber überlegen, wie nah ich an jemand anders rangehe und im Zweifelsfall dann doch noch die Hygiene hochhalten. Meinetwegen auch mal wieder die Maske aufziehen, wenn man sich unsicher ist. Wir haben ja viel gelernt und ich glaube, man kann die Hygiene dann schon oder die Situation dann schon selbst beurteilen und die Hygiene eventuell etwas anpassen.
Appelmann: Großes Thema derzeit: Die Impfflicht für Pflegepersonal, um Senioren besser zu schützen. „Kein Ungeimpfter darf Kontakt zu einer derart vulnerablen Gruppe haben“, sagt Hausärzte-Chef Ulrich Weigeldt. Wie sehen Sie das?
Plachter: Ja, wir haben natürlich jetzt in der Vergangenheit auch immer wieder gesehen, dass auch gerade durch Pflegepersonal Einträge, zum Beispiel in Altenheimen, stattgefunden haben. Insofern ist es natürlich durchaus sinnvoll zu sagen Das darf nicht passieren. Und das heißt in der Konsequenz, dass alle diejenigen, die sehr nahe an die vulnerablen Personen und die Bevölkerung heran müssen – also vor allen Dingen natürlich ältere Menschen -, dass die dann auch sich selber schützen müssen, beziehungsweise eben auch natürlich ihre Patienten oder ihre Pflegebedürftigen auch mit schützen müssen.
Appelmann: Nachfrage dazu: Es gibt seit letztem Jahr eine Impfpflicht für Mitarbeiter im Pflegeberuf gegen Masern. Warum geht das bei Masern und bei Corona nicht?
Plachter: Naja, der Punkt ist, gegen Corona wird es ja offensichtlich entwickelt, bei den Masern hat es auch relativ lange gedauert, bis man das entsprechend durchgesetzt hat. Insofern … es ist ja auf dem Weg und ich glaube, das wird dann auch entsprechend umgesetzt werden.
Appelmann: Lassen Sie uns zum Ende noch über die Booster-Impfung kommen. Der Noch-Kanzleramtsminister Helge Braun sagt: Wenn die zweite Impfung länger als sechs Monate zurückliegt, ist man nicht mehr vollständig geimpft. Das heißt doch aber: Wir müssen uns alle boostern lassen? Nicht nur die Senioren?
Appelmann: Zunächst einmal sagen die Daten, die man im Augenblick hat, dass ein Mensch, der 25, 35 Jahre alt ist, gesund ist, sich zweimal hat impfen lassen, immer noch ein sehr, sehr geringes Risiko hat, schwer zu erkranken oder gar zu versterben. Das heißt also, natürlich wird die Immunität mit der Zeit nachlassen, aber die Jüngeren haben immer noch einen sehr guten Impfschutz. Ich glaube, der Fokus muss jetzt auf die Älteren gelegt werden, dass hier die Booster-Impfungen zeitnah umgesetzt werden, insbesondere bei den alten und sehr alten Menschen und in Pflege- und Altenheimen. Und dann wird man sehen, ob dann in ein, zwei, drei Monaten möglicherweise dann auch Booster-Impfungen für Jüngere notwendig werden.
Appelmann: … sagt Prof. Bodo Plachter, kommissarischer Direktor des Instituts für Virologie an der Universitätsmedizin in Mainz. Danke Ihnen.
Plachter: Dankeschön!