Untersuchungsausschuss Lübcke befragt Ex-Verfassungsschutzchef

Hätte der Mord am ehemaligen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke 2019 verhindert werden können, wenn die Behörden ihre Arbeit richtig gemacht hätten? Das ist die zentrale Frage im Lübcke-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags. Dort stand heute der ehemalige Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz den Ausschussmitgliedern Rede und Antwort.

Eines kann der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Roland Desch dem Untersuchungsausschuss heute bestätigen: Sowohl Stephan E. als auch Markus H. waren in seiner Behörde keine Unbekannten. Der Mörder von Walter Lübcke und sein mutmaßlicher Komplize standen sogar auf einer Liste mit den sechs gefährlichsten Rechtsextremisten Nordhessens. Ihm selbst seien die beiden Namen während seiner Amtszeit von 2010 bis 2015 aber nicht bekannt gewesen. Und das, obwohl sein Vorgänger Alexander Eisvogel in der Akte über Stephan E. handschriftlich vermerkt hatte: „Brandgefährlich“.
Stefan Müller, FDP, Abgeordneter, stellv. Fraktionsvorsitzender
„Die heutige Befragung des Zeugen hat das bestätigt, was wir in den letzten Sitzungen auch schon erfahren haben: Dass der Verfassungsschutz über Jahre hinweg nicht gut aufgestellt war. Weder personell noch qualitativ. Es ist definitiv möglich, über sechs Rechtsextremisten, die in einem Vermerk extra hervorgehoben wurden, auch bei einer Übergabe zu sprechen.“
Torsten Felstenhausen, Die Linke, Abgeordneter Landtag Hessen
„Herr Eisvogel hat es richtig interpretiert: Brandgefährlich. Dass im Rahmen einer Übergabe so etwas nicht weiter besprochen wird, dass auch die nachgeordneten Abteilungen nicht darauf hinweisen, dass hier ein Leiter nicht auf die besondere Gefährlichkeit hingewiesen hat, lässt uns ziemlich fassungslos zurück.“
Roland Desch muss heute im Ausschuss zugeben, dass seine Behörde Stephan E. zwar auf dem Schirm gehabt habe, dieser aber „unter dem Radar geblieben sei“. Vom Verfassungsschutz sei Ernst als „abgekühlt“ eingestuft worden, weil jahrelang er nicht mehr auffällig geworden sei.
Roland Desch, Verfassungsschutzpräsident Hessen 2010-2015
„Es wird immer nur die Hälfte dieses Zitates gebracht. Er sei ein brandgefährlicher Mann. Mein Vorgänger hat auch die Frage gestellt: Wie militant ist er heute noch?“
Zudem habe das Hauptaugenmerk der Verfassungsschützer im Jahr 2010 noch auf der Islamisten-Szene gelegen. Erst nach dem Bekanntwerden der NSU-Mordserie im Jahr 2011 sei die Bedrohung durch den Rechtsextremismus verstärkt in den Fokus gerückt.
Günter Rudolph, SPD, Fraktionsvorsitzender Hessen
„Spätestens nach der Aufdeckung NSU hätte man die nordhessische Szene auf den Kopf stellen müssen. Alle Personen, die da irgendwie unterwegs waren, überprüfen müssen. Das ist nicht passiert – mit fatalen Folgen.“
Das sieht der ehemalige Verfassungsschutzpräsident anders.
Roland Desch, Verfassungsschutzpräsident Hessen 2010-2015
„Wir haben natürlich nach Bekanntwerden des NSU auch nochmal alle Anstrengungen unternommen, die hessische Szene, die ja nicht nur in Nordhessen, sondern auch in Südhessen, Frankfurt und so weiter bestand, zu durchforsten“.
Hier steht also Aussage gegen Aussage – weil zahlreiche Akten über die nordhessische Neonazi-Szene schon vor Jahren vernichtet wurden, werden manche Wahrheiten vielleicht nie ans Licht kommen. Auch nach der inzwischen 33. Sitzung des Lübcke-Untersuchungsausschusses bleiben weiterhin viele Fragen offen.