Umstrittene documenta beendet

Gestern ging sie zu Ende, die documenta fifteen in Kassel. 100 Tage lang lag in Nordhessen das Epizentrum der internationalen Kunstwelt. Gleichzeitig erschütterte ein Antisemitismusskandal die Ausstellung und sorgte für ein Beben der Entrüstung. Wie fällt also das Fazit aus? Ein Blick zurück auf Kunst, Kritik und Kollektive.

Die wichtigste Kunstschau der Welt stand von Anfang bis Ende unter keinem guten Stern. Antisemitismusvorwürfe schon vor der Eröffnung. Die künstlerisch Verantwortlichen, das indonesische Kuratorenkollektiv ruangrupa stehen der antiisraelischen BDS-Kampagne nahe. Direkt nach der Eröffnung taucht ein Banner mit plump antisemitischer Bildsprache auf, das kurz darauf entfernt wird. Danach sorgen weitere Werke für scharfe Kritik bis hin zur Forderung zum Abbruch der Ausstellung. Die documenta wird zum Politikum, ist Thema im Bundestag. Der öffentliche Druck zwingt schließlich die Generaldirektorin Sabine Schormann zum Rücktritt. Ihr Nachfolger bedauert, dass die Kunst vom Skandal überschattet wurde. Wie blickt er heute auf die documenta fifteen zurück?
Alexander Farenholtz, Interims-Geschäftsführer documenta fifteen
„Wehmütig, weil natürlich diese Tage, wenn man sie hier auf dem Gelände verbringt, ein großes Glück waren und erleichtert zugegebenermaßen auch, denn das war schon eine Zeit, in der jeden Tag irgendwie eine neue, nicht immer nur erfreuliche Überraschung auf dem Schreibtisch lag.“
Statt um einzelne Künstler und ihre Werke ging es bei der documenta fifteen um den gemeinsamen Schaffensprozess. Das ist neu und ungewöhnlich. Der wenig beachtete globale Süden sollte in den Fokus gerückt werden. Bei den Kuratoren steht das Kollektiv im Vordergrund. „Teilen, Solidarität, Kooperation“, so beschreiben sie ihr Konzept. Das Teilen der Verantwortung sorgt jedoch für Probleme. Ruangrupa selbst fühlen sich missverstanden und sehen sich selbst als Opfer von Rufmord und Rassismus.
Reza Afisina, Kuratorenkollektiv ruangrupa
„Ich denke, wir haben auch Fehler gemacht. Das ist ein wichtiges Zeichen, das wir anerkennen müssen, vor allem, weil wir uns bewusst machen müssen, dass viele von uns auch einen anderen Hintergrund haben. Mit ‚uns‘ sind nicht nur wir als ruangrupa gemeint, sondern auch wir alle hier zusammen. Wir erkennen auch die Fehler an, denn sie sind Teil unserer Vorstellungen davon, wie wir voneinander lernen müssen, wie wir zuhören müssen und auch wie wir diese Unterschiede erforschen müssen.“
Nach Ansicht des hessischen Antisemitismusbeauftragten müssen aus dem Skandal Lehren gezogen werden. Es sei aber kein Grund, die Kunstschau selbst in Frage zu stellen.
Uwe Becker, CDU, Antisemitismusbeauftragter Hessen
„Man muss rote Linien ziehen und wird sich sicherlich anschauen müssen, was im Bereich der Vorbereitung, was in der Durchführung anders gemacht werden muss. Künftig. Aber dafür ist die Zeit jetzt noch nicht reif, sondern man muss den Dingen jetzt wirklich nachgehen. Und das Fazit wird am Ende darüber entscheiden, was man anders machen muss.“
Auch Gastronomen und Hoteliers haben sich die documenta fifteen anders vorgestellt. Insgesamt kamen nur rund 740.000 Besucher – weniger als bei der letzten documenta.
Oliver Kasties, DEHOGA Nord- und Osthessen
„Das, was wir uns versprochen haben, den documenta–Effekt haben wir nicht ganz erreicht. Das liegt aber auch an äußeren Umständen wie Krieg in Europa, Inflation aber auch noch die Auswirkungen der Pandemie.“
Doch viele Besucher zeigen sich zufrieden.
Heinrich Lingnau, documenta-Besucher
„Schade, dass die documenta-Leitung es nicht geschafft hat, diese Antisemitismusdiskussion gut zu begleiten – finde die Ausstellung aber umso spannender hier, ganz toll.“
Gabriele Mader, documenta-Besucherin
„Aber nichtsdestotrotz war’s ein guter Ansatz, mal ohne die ganze Galerie- und Kunstindustrie.“
Ein neuer Ansatz, der für viele andere trotzdem als gescheitert gelten dürfte. Rund 42 Millionen Euro hat die documenta fifteen die Steuerzahler gekostet. Fünf Jahre ist jetzt Zeit zu besprechen, wie die nächste documenta aussehen soll.
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Maike Dickhaus, Moderatorin: Besprechen ist das Stichwort. Zugeschaltet ist mir jetzt die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn. Und sie sitzt in dieser Funktion auch im Aufssichtsrat der documenta. Guten Abend!
Angela Dorn, B’90 / Grüne, Kunstministerin Hessen: Guten Abend.
Dickhaus: Frau Dorn, die documenta hatte bislang einen hervorragenden Ruf – nun war die Kunstausstellung aber vor allem durch den Antisemitismusskandal geprägt. Was ist da schiefgelaufen?
Dorn: Wir haben seit Januar diese Debatten schon gehabt. Wir haben versucht, im Januar, als es die ersten Anzeichen dafür gab, dass es BDS-nahe Künstlerinnen und Künstler auf der documenta gibt, schon versucht, zum Thema Antisemitismus zu sensibilisieren. Leider wurden damals die Anstrengungen von Bundesministern Claudia Roth und meiner Wenigkeit als Zensur wahrgenommen und damit auch abgelehnt.
Und als dann die ersten Bilder kamen, die tatsächlich antisemitisch waren, haben wir dann auch direkt gehandelt. Immerhin das Bild von Taring Padi wurde abgehängt, das war auch ein absolut notwendiger Schritt. Es war eine echte Grenzüberschreitung, dass Antisemitismus auf der documenta zu sehen war. Und als dann auch klar wurde, dass es noch mehr Bilder gibt, haben wir dann entsprechend diese Kommission eingesetzt, die uns geholfen hat, diese Bilder zu analysieren und auch jetzt noch Empfehlungen ausarbeiten soll für die Zukunft.
Weil wir müssen aus dieser documenta lernen. Die Documenta kann nicht so bleiben, wie sie ist. Es ist eine Menge an Fehlern passiert und es gab aus meiner Sicht eine echte verteilte Verantwortungslosigkeit.
Dickhaus: Können Sie noch einmal genauer ausführen, was Sie mit der verteilten Verantwortungslosigkeit meinen?
Dorn: Wir haben es auf der documenta mit Kuratorenkollektiven zu tun gehabt. Ein Kollektiv wurde als künstlerische Leitung engagiert und die hat aber wiederum andere Kollektive eingeladen, die dann auch wiederum für ihre Teilbereiche die Verantwortung bekommen haben. Und das hat dazu geführt, dass am Ende ganz viele Künstlerinnen und Künstler und Kollektive beteiligt waren, aber keiner mehr die eigentliche Verantwortung übernommen hat. Und man muss wissen, bei der documenta ist es so, die exklusive kuratorische Verantwortung liegt bei den Künstlern und Künstlern, und diesmal wurde diese Verantwortung nicht ausreichend übernommen.
Dickhaus: Auch sie selbst standen in der Kritik, dem Antisemitismus auf der documenta nicht vehement genug entgegen getreten zu sein. Können sie diese Kritik komplett von sich weisen?
Dorn: Ich habe seit den ersten Reden im Hessischen Landtag sehr deutlich gemacht, was ich von der BDS-Bewegung halte. Ein Boykott von Israel als Heimstätte aller Jüdinnen und Juden ist aus meiner Sicht absolut gefährlich und nicht tragbar. Ich habe also von Beginn an sehr deutlich auch meine Position zu diesen Aspekten gezeigt. Ich habe auch von Beginn an dieses Thema ernst genommen, wollte ja tatsächlich stärker diese Sensibilisierung voranbringen. Was ich mir im Nachhinein vorwerfe, ist, dass ich vielleicht noch hätte noch stärker mich dafür engagieren sollen, dass wir diese Beratung von Anfang an bekommen hätten. Wir haben uns dann damals auf Kompromisse geeinigt, aber im Nachhinein wäre das richtig gewesen. Aber dass ich mich zu diesem Thema immer schon sehr klar verhalten habe, das hat mir auch bis jetzt noch keiner vorgeworfen, weil in dieser Frage, in dieser Grundfrage war ich immer sehr klar.
Dickhaus: Sie wollen jetzt eine Reform der documenta. Wie könnte die aussehen?
Dorn: Also vor einer Reform steht eine schonungslose Analyse und genau die tun wir jetzt, und zwar nicht alleine, sondern wir haben die fachwissenschaftliche Begleitung eingesetzt, die ja sehr breit besetzt ist von Expertinnen und Experten zum Thema Antisemitismus über Kunstexpertinnen und -experten bis hin zur Frage von verfassungsrechtlichen Aspekten.
Und die haben ja den Auftrag und ich bin so dankbar, dass sie den auch angenommen haben, zu analysieren, was ist schiefgelaufen, was muss in Zukunft besser werden in den Strukturen, die wir auf der documenta haben, bis hin zu der Frage, wie dann auch kommuniziert worden ist. Und diese werden wir abwarten, werden uns die genau anschauen. Wir werden auch in der Frage Struktur noch andere Weltausstellungen, internationale Ausstellungen anschauen und mit der Analyse danach beginnt dann sozusagen das Maßnahmenpaket.
Dickhaus: … sagt die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn. Vielen Dank fürs Gespräch.
Dorn: Ich danke Ihnen auch.