Studiogespräch mit dem Direktor des Städel-Museums in Frankfurt

Herzlich willkommen zu 17:30 Sat eins live auf der Zielgeraden des Jahres. Die Zeit zwischen den Jahren wollen wir nutzen, zurück zu blicken auf das abgelaufene Jahr, mal wieder ein herausforderndes. Daher haben wir die festlichere Kulisse gewählt, um heute ins Gespräch zu kommen mit Philipp Demandt, dem Direktor des Städel Museums in Frankfurt, der gleich ins Studio kommt. Das Städel ist ein Star in der Kunstszene und das Team will weiter hoch hinaus.

Beitrag:
Auf den erfolgreichen langjährigen Direktor des Städels, Max Hollein, der vor sechs Jahren in die USA ging und dort aktuell am Metropolitan Museum of Art wirkt, folgte Philipp Demandt. Und er gilt als ebenso erfolgreich wie sein Vorgänger. Beide Direktoren dürfen als absoluter Glücksfall für die älteste und wohl renommierteste Museums-Stiftung in Deutschland gelten. Das Städel bietet einen nahezu lückenlosen Überblick über 700 Jahre europäische Kunstgeschichte. In den letzten Jahren feierte das Städel mit seinen großen Publikumsausstellungen gewaltige Erfolge. Allein „Making van Gogh“ lockte mehr als eine halbe Million Besucher an, so viele wie nie zuvor in der Geschichte des 200 Jahre alten Museums. Wer nun denkt, ein Museumsdirektor müsse nur möglichst viele bedeutende, schöne und teure Bilder nebeneinander an den Wänden aufhängen, und dann kämen die Menschen schon in Massen hereinspaziert, der dürfte falsch liegen. Alles, so Demandt, stehe und falle mit der Schlüssigkeit der Ausstellungsthese, der Geschichte, die all das, was gezeigt wird, in neue und überraschende Zusammenhänge bringt. So wirken die Exponate in jeder Ausstellung in einem ganz neuen Licht. Der Erkenntnisgewinn geht weit über den Inhalt des einzelnen Bildes hinaus. Der überragende Erfolg seiner Geschichten gibt Demandt recht. Hunderttausende lassen sich von ihnen bezaubern und die Welt von gestern und heute immer wieder neu verstehen und begreifen. Man ist versucht zu sagen: So muss Museum sein.
Markus Appelmann, Moderator: „So muss Museum sein! Und jetzt ist bei uns, Philipp Demandt, der Direktor des Museums, herzlich willkommen.“
Philipp Demandt, Direktor des Städel-Museums in Frankfurt: „Vielen Dank, dass ich hier sein darf.“
Appelmann: „Sie haben einmal bei uns im Interview gesagt: Sie haben immer weniger Zeit, Ausstellungen vorzubereiten. Was macht denn so ein Museumsdirektor den lieben, langen Tag?“
Demandt: „Ja, ein Museum wie das Städel Museum ist zunächst mal ein riesiger Logistikbetrieb. Sie müssen sich das vorstellen, das ist ein Haus, das jedes Jahr von 300.000, 400.000, 5000.000 Besuchern eben auch besucht wird. Das ist viel zu tun, also für das gesamte Management des Hauses. Das heißt, mein Job ist eigentlich eher der eines Managers. Auf der anderen Seite muss ich natürlich das Programm planen, also überlegen, welche Ausstellungen zeigen wir? Welche Künstlerinnen und Künstler wollen wir über das Jahr, über die nächsten Jahre -das Städel plant ja sehr weit im Voraus – eigentlich zeigen. Und dann haben wir eine sehr aktive Erwerbungspolitik. Ein Museum ist ja etwas, etwas Dynamisches, nichts Statisches. Das heißt, wir kaufen nach wie vor sehr viele Kunstwerke an, und alles das gemeinsam beschäftigt mich natürlich schon.“
Appelmann: „Im Beitrag gehört, die Ausstellung erzählen Geschichten, haben Sie gesagt. Wie kommen Sie auf diese Geschichten? Steckt da ein großes Team dahinter, das an diesen Geschichten arbeitet?“
Demandt: „Das ist ein großes Team. Wir haben ja 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Städel Museum. Das sind natürlich Kuratoren, Restauratoren, aber auch viele Kolleginnen im Bereich der Bildung und Vermittlung. Aber ich muss Ihnen sagen, solche Themen, solche Ideen reifen über Jahre. Das hat man nicht morgens, wenn man aufsteht, da mache ich jetzt mal eine Ausstellung drüber, sondern das sind oft Künstler, mit denen man sich seit vielen Jahren beschäftigt. Man entdeckt ab und zu vielleicht auch mal was im Depot. Ein Bild, das man gar nicht kannte, das einen überrascht. Dann fängt man an, darüber nachzulesen, nachzudenken, dann entwickelt man etwas. Wir planen teilweise vier, fünf Jahre im Voraus, bis es dann wirklich zur Ausstellung kommt.“
Appelmann: „Und den Publikumsmagneten haben wir gerade eben ja auch schon einen Beitrag gesehen. „Making van Gogh“ hieß die Ausstellung, die Sie kreiert haben, mit Ihrem Team zusammen. Ist das Potenzial für neue Geschichten beliebig erweiterbar oder könnte es eine Zeit geben, in der alle großen Themen einmal gezeigt wurden? Ganz konkret gefragt: Würde Ihnen zu Van Gogh noch eine neue, eine andere Geschichte einfallen?“
Demandt: „Es ist ja das Interessante an großer Kunst und an großen Künstlern, dass man sie eigentlich immer wieder neu beleuchten und befragen kann. Wirklich große, wichtige Kunst wird nicht langweilig, wird nicht alt, sondern kann immer wieder neu auch betrachtet werden. Und wir dürfen auch nicht vergessen: Wir haben ja alle 25 bis 30 Jahre eine neue Generation von Museumsbesucher. Und ich will Ihnen ein Beispiel sagen: Wir zeigen gerade eine große Ausstellung über Guido Reni, eine der berühmtesten Künstler des italienischen Barock. Vor über 30 Jahren gab es schon einmal eine Ausstellung über Guido Reni und zwar auch in Frankfurt an der Schirn-Kunsthalle, damals noch unter einem anderen Blickwinkel.  Aber wer kann sich an diese Ausstellung heute noch erinnern? Das heißt, uns wird nicht langweilig auf Dauer.“
Appelmann: „Was man bei ihnen merkt Sie sprudeln vor Ideen, Sie sprudeln vor Begeisterung. Was ist denn der Zauber des Städel? Was begeistert Sie so sehr? Oder, was macht das Städel anders als andere Museen?“
Demandt: „Das Städel Museum lebt zum einen von dieser sehr, sehr engen Taktung von hochkarätigen Sonderausstellungen,. Was andere große deutschen Museen vielleicht alle drei Jahre stemmen, stemmen wir mitunter dreimal in einem einzigen Jahr. Das Städel ist eines der ältesten Museen, die es in Deutschland gibt. Und ich glaube, das ganz Besondere am Städel ist: Es ist ein Privatmuseum, es ist eine Stiftung. Wir sind kein städtisches Museum, auch kein staatliches Museum, sondern es ist ein Museum, das von den Bürgerinnen und Bürgern Frankfurts und der Rhein-Main-Region getragen, unterstützt und auch finanziert wird. Das kreiert natürlich einen ganz anderen Geist, einen ganz anderen Spirit, als wenn Sie jetzt in einem staatlichen Museum arbeiten. Das heißt, mein Job besteht vor allem auch darin, mit all den Menschen, all den Persönlichkeiten, die unser Haus tragen, die unser Haus finanzieren, die auch ihre Sammlungen, ihre Bilder, die bei ihnen zu Hause hängen, eines Tages ins Städel Museum zu gehen, zu kommunizieren. Das ist unglaublich spannend.“.
Appelmann: „Die bringen sich natürlich alle ein. Es hat sich ja auch viel getan am Städel in den letzten Jahren. Lassen Sie uns mal einen Blick werfen, zum Beispiel in den Garten mit der Kunstausstellung. Und Sie haben mal gesagt, die Dachterrasse muss fürs Publikum geöffnet werden. Hier sehen wir den tollen Blick über die Skyline, den Main. Wird diese Dachterrasse auch zum Museumsbesuch bald dazugehören?
Demandt: „Das ist der Plan. Die Dachterrasse wird im Mai nächsten Jahres wahrscheinlich fertig werden. Die Dachterrasse ist aber nur Teil eines großen Masterplans, den ich für das Städel entwickelt habe. Wir haben einen neuen Skulpturen-Garten gerade eröffnet. Das ist wunderschön geworden. Wir haben das ganze Haus saniert, innen und außen, neues Licht, neue Farben. Wir haben das Haus vor allem auch energetisch ertüchtigt. Das ist in diesen Zeiten sehr, sehr wichtig. Die gesamte Beleuchtung zum Beispiel auf LED umgestellt. Das heißt, die Dachterrasse ist im wahrsten Sinne des Wortes die Krönung dieses Masterplans. Man wird also ab Mitte nächsten Jahres, jeder Museumsbesucher hat die Möglichkeit, auf die Dachterrasse zu gehen einen wunderbaren Blick auf die Skyline haben.“
Appelmann: „Lassen Sie uns auch über ein wichtiges Thema dieser Tage sprechen über das Klima. Aktionen der sogenannten letzten Generation nehmen auch immer öfter Exponate der Kulturgeschichte ins Visier. Die Aktivisten kleben sich fest, sie schmieren mit Farbe. Gibt es bereits Institutionen und private Sammler, die vorsichtig werden, Bilder an andere Museen auszuleihen? Wie groß ist die Gefahr, dass die Kunst in den Tresoren verborgen bleibt?“
Demandt: „Also das Städel Museum hat wie andere große europäische und andere Museen weltweit auch, natürlich die höchsten internationalen Sicherheitsstandards. Das wissen natürlich auch die Leihgeber. Aber es ist natürlich schon klar, man macht sich Gedanken über die Sicherheit von Kunstwerken, vor allem von unverglasten Kunstwerken. Ich glaube, inzwischen ist auch dem Letzten klar geworden, dass diese Form des Protests, also die Gewalt oder auch die Schändung von Kunstwerken, weder dem Klima noch sonst irgendjemand anderem hilft. Insofern ist meine Hoffnung, dass sich diese Form des Protests jetzt irgendwann auch mal von selbst erledigt.“
Appelmann: „Und Sie haben auch eine Rechnung rausgeschickt an die Aktivisten, 7.000 Euro.“
Demandt: „Das natürlich Schäden entstehen und auch kompensiert werden müssen, das versteht sich von selbst. Das muss letzten Endes natürlich auch dann eingeklagt werden.“
Appelmann: „Klimakrise auf der einen Seite, Ukraine-Krieg auf der anderen Seite, Abschied vom grenzenlosen Wohlstand. Wie sehr beeinflusst das die Künstler unserer Zeit?“
Demandt: „Es beeinflusst die Künstler natürlich. Künstler sind ja immer auch ein Stück weit Seismografen, auch von Entwicklungen. Ganz konkret kann ich Ihnen ein Beispiel nennen: Wir haben eine große Installation eines riesigen Wandgemälde eines zeitgenössischen Künstlers namens Michael Müller im Moment im Städel Museum zu sehen. Eine Art riesiges Historiengemälde, wenn Sie so wollen. Also der Versuch, einen Tag, ein Erlebnis eines Tages in ein abstraktes Gemälde zu fassen. Und der Künstler hat ganz klar gesagt: Mit dem Beginn des Krieges sind meine Farben dunkler geworden. Ich bin nachdenklicher geworden, auch über die Endlichkeit des Lebens. Das beeinflusst Kunst auf alle Fälle. Es beeinflusst aber auch kulturelle Institutionen, weil wir uns natürlich jetzt schon auch die Frage stellen müssen Wie geht es eigentlich weiter?“
Appelmann: „Das ist eine gute Brücke zu dem Thema, das ich ansprechen will. Wie geht es eigentlich weiter? Wir sind zwischen den Jahren und wollen ins nächste Jahr 2023 blicken. Machen Sie mal Geschmack, was es da alles geben wird im Städel.“
Demandt: „Wir beginnen das Jahr nach wie vor mit Guido Reni, die Ausstellung, die ich wirklich nur jedem ans Herz legen kann. Eine solche hochkarätige Zusammenstellung von Guido-Reni-Werken werden Sie in Ihrer Lebenszeit so nicht noch einmal sehen an einem Punkt. Wir freuen uns dann sehr auf eine große Fotografie-Ausstellung. Das Städel Museum besitzt eine bedeutende Fotografie-Sammlung und wir zeigen die Sehnsucht nach Italien in der Fotografie des 19. und 20. Jahrhunderts, also ein sehr deutsches Thema, wenn Sie so wollen. Mitte des Jahres zeigen wir die berühmtesten Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts, von Gauguin bis Renoir, Picasso bis Hans Arp, die sich dem Relief gewidmet haben, also der merkwürdigen Mischung aus Malerei und Skulptur. Fast alle diese Künstlerinnen und Künstler haben im Relief gearbeitet. Das ist das erste Mal, dass wir diese hochkarätige Riege von Künstlerinnen und Künstlern im Relief im Städel Museum zeigen. Und dann das große Highlight am Jahresende wird eine Ausstellung über die Renaissance im Norden sein, also die Renaissance in Deutschland, die Kunst nach 1500 mit der Figur von Hans Holbein dem Älteren und Hans Holbein dem Jüngeren im Zentrum. Das wird das Highlight des Jahres.“
Appelmann: „Danke schön, dass Sie heute unser Gast waren. Und ich habe rausehört, es gibt noch viele tolle Geschichten zu erzählen. Philipp Demandt, der Direktor des Städel-Museums.“
Demandt: „Vielen Dank.“