Studiotalk mit LVU-Präsident Johannes Heger über hohe Energiekosten und Atomausstieg

Lange wurde darüber gestritten – übermorgen sollen endgültig Fakten geschaffen werden. Die letzten drei verbliebenen Atomkraftwerke Deutschlands gehen vom Netz. Doch damit ist der Streit um die Stilllegung keineswegs vom Tisch. Die große Frage ist und bleibt: Wie können die viel zu hohen Energiekosten wieder sinken? Ein Thema für die vielen Privathaushalte, aber auch die Unternehmen bei uns. Gerade in Rheinland-Pfalz gibt es viele energieintensive Unternehmen. Darüber spricht Markus Appelmann mit Johannes Heger, dem Präsidenten der Landesvereinigung der rheinland-pfälzischen Unternehmerverbände. Vorher blicken wir nach Südhessen.

Anfang Februar wird es laut in Biblis. Der erste von vier Kühltürmen des Atomkraftwerks wird kontrolliert zum Einsturz gebracht. Es ist die bis jetzt sichtbarste Maßnahme des seit 2017 laufenden Rückbaus des Atommeilers.
Die Atomkatastrophe von Fukushima 2011 führte zu einer grundlegenden Wende in der deutschen Atompolitik. Elf Kernkraftwerke gingen vom Netz, darunter auch Biblis A und B. Ende 2021 wurden drei weitere Meiler stillgelegt. Und am kommenden Samstag folgen dann auch die letzten drei deutschen Atomkraftwerke.
Eigentlich sollte es schon im vergangenen Jahr so weit sein. Doch wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der dadurch ausgelösten Energiekrise hatte Bundeskanzler Olaf Scholz beschlossen, die drei Meiler bis zum 15. April weiterlaufen zu lassen. Danach sei endgültig Feierabend.
Den Ausstieg aus der Atomenergie bezeichnet der rheinland-pfälzische CDU-Landesvorsitzende Christian Baldauf als „Riesenfehler“. Es brauche weniger Ideologie und mehr Technologie-Offenheit.
Christian Baldauf (CDU), Landesvorsitzender Rheinland-Pfalz
„Wenn ich mir die Grünen in Finnland anschaue, wenn ich mir die Regierung in Schweden anschaue, wenn ich mir die Franzosen anschauen und alle anderen Ländern, die auch um uns herum liegen, die Polen, die jetzt alle auf Kernkraft setzen, auf sichere Kernkraftwerke. Dann verstehe ich nicht, warum man hier das nicht tut. Das würde günstigen Strom für unsere Industrie, für unseren Mittelstand, aber auch für uns Bürgerinnen und Bürger bedeuten.“
Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage halten nur 28 Prozent der Deutschen die Abschaltung der Kernkraftwerke für richtig. Und: Mehr als die Hälfte der Befragten glaubt nicht, dass die Stromversorgung in Deutschland auch ohne Atomstrom dauerhaft gesichert werden kann.
Für den grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck steht dagegen fest: Die Energieversorgung ist sicher – dank gefüllter Gasspeicher, neuer Flüssiggasterminals und mehr erneuerbaren Energien. Der Atomausstieg sei trotz aller Widerstände unumkehrbar.
So sieht das auch Pia Schellhammer, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im rheinland-pfälzischen Landtag.
Pia Schellhammer (Bündnis 90 / Die Grünen), Fraktionsvorsitzende Landtag Rheinland-Pfalz
„Die Atomenergie ist vor allen Dingen sehr, sehr teuer, es ist die teuerste Energieform und wir müssen die finanziellen Mittel in den Ausbau der erneuerbaren Energien stecken. Und die Atomenergie ist unsicher. Und wir wollen, dass wir tatsächlich unabhängig sind von Uran-Importen, aber auch unabhängig von Kohle und Gas und wir wollen voll auf die Erneuerbaren Energien setzen und deswegen ist es wichtig, dass wir aus der Atomenergie aussteigen.“
Fakt ist: Der Strompreis ist in Deutschland deutlich höher als in anderen europäischen Staaten. Die Industrie warnt vor Versorgungsengpässen und steigenden Energiekosten. Deutschland sei auf alle verfügbaren Energieträger angewiesen, sagt Peter Adrian, der Präsident der Deutschen Industrie-und Handelskammer.
Sorgen wegen explodierender Energiekosten – die kennt auch unser heutiger Studiogast Johannes Heger. Mit dem Präsidenten der Landesvereinigung der rheinland-pfälzischen Unternehmerverbände sprechen wir jetzt über die großen Herausforderungen vor denen die Firmen im Land aktuell stehen.
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Markus Appelmann, Modrator: Da gibt es einiges zu bewältigen. Schön, dass Sie heute im Studio sind. Sie sprechen für 115.000 Unternehmen, für 1 Million Beschäftigte in Rheinland Pfalz. Guten Abend.
Johannes Heger, Präsident Landesvereinigung Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz: Guten Abend, Herr Appelmann.
Appelmann: Wie groß ist die Chance, dass die Unternehmen die kommenden Monate meistern, die Energiekrise meistern?
Heger: Wenn wir glauben, wir wären gut durch den Winter gekommen, dann ist das nicht der Fall. Nur die Tatsache, dass es keine Gasmangellage gab und keine Abschaltungen gab, heißt ja nicht, dass es gut war. Hohe Stromkosten, hohe Gaspreise haben dazu geführt, dass Produktionen gedrosselt werden mussten. Das ist natürlich gar nicht das, was für uns am Standort in Deutschland, dem Industriestandort erwarten.
Appelmann: Jetzt ist am Samstag Schluss mit den letzten drei verbliebenen Atomkraftwerken in Deutschland. Pia Schellhammer, die Grüne-Fraktionsvorsitzende im rheinland pfälzischen Landtag sagt, dass unsere Stromversorgung mit den erneuerbaren Energien besser gesichert sei als je zuvor. Wie sehen Sie das?
Heger: Ich finde es schlimm, dass wir an einem Donnerstag heute darüber diskutieren wollen, was am Samstag passiert. Denn tatsächlich geht es vielmehr darum, was haben wir in den letzten 20 Jahren gemacht, um die Energiesicherheit in Deutschland herzustellen? Was haben wir gemacht, um eine Importstrategie für Energie festzulegen? Wo wollen wir kaufen? Zu welchen Preisen wollen wir einkaufen? Stattdessen ist es ein Rumgeeiere und niemand weiß so recht, wo es hingehen soll. Dass zwei Tage vor dem Abschalten der Atomkraftwerke noch mal neu diskutiert werden muss. Es wäre wichtig gewesen, wir hätten die Zeit genutzt, eine Energiestrategie für Deutschland zu entwickeln, die dann eben Versorgungssicherheit bietet und gleichzeitig auch verlässliche, wettbewerbsfähige Strompreise bietet.
Appelmann: Wären Sie auch für eine Laufzeitverlängerung gewesen auf begrenzte Zeit?
Heger: Es ist eine Technologiefrage, die muss von Fachleuten beurteilt werden. Ich denke, davon haben wir genug, auf die wir zurückgreifen können. Dann muss eine politische Entscheidung folgen und diesem Entscheidungspfad muss man dann folgen. Es ist ja auch für Investoren wichtig zu wissen, wie soll denn die neue Energielandschaft aussehen? Wo rein soll investiert werden? In Netze? In welche Art der Energieerzeugung, Energieversorgung? Und das haben wir versäumt.
Appelmann: Auch wenn es jetzt in den nächsten Monaten nicht zu Energieengpässen kommen wird, so ist dennoch Fakt, dass wir in Deutschland mit die höchsten Preise für Energie in der ganzen Welt haben. Was bedeutet das für Sie, für die Wirtschaft.
Heger: Es darf für die Wirtschaft so nicht passieren. Das ist ein eklatanter, enormer Standortnachteil. Unternehmer glauben an Märkte, sie glauben an Marktwirtschaft, sie glauben an soziale Marktwirtschaft. Das wollen wir auch wirklich gerne erhalten. Wenn aber die Politik in den letzten 20 Jahren das ausgelöst hat, dass keine Klarheit ist und immer wieder von links nach rechts geschwenkt werden musste, dann dürfen Unternehmer auch erwarten, dass Politik jetzt eingreift und Strom und Gas zu Preisen zur Verfügung stellt, die mindestens europäisch wettbewerbsfähig sind und global gesehen natürlich auch.
Appelmann: Zählen wir die Herausforderungen mal auf: Deutschland ist Hochlohnstandort, Hochenergiepreisstandort und Hochtransportkostenstandort. Ist die Deindustrialisierung das Schreckgespenst, das Sie umtreibt?
Heger: Es ist ein Giftcocktail an Herausforderungen. Und dieser Giftcocktail ist jetzt zu giftig geworden, zu vielfältig. Es sind zu viele gleichzeitige Herausforderungen. Deutschland war immer ein Land, wo Rohstoffe importiert werden mussten. Viele, nicht alle, aber das meiste. Und wir haben dann mit Menschen und mit Energie daraus Produkte gemacht, die wir in die Welt exportieren konnten. Und wenn wir jetzt gleichzeitig eben zu der Zwang, permanent Rohstoffe zu importieren aus der Welt, jetzt aber für unseren Standort in ein Energiekostenproblem rein rennen und in einen Fachkräftemangel gleichzeitig, das ist wirklich eine schlimme Herausforderung, für die wir ganz schnell neue Strategien entwickeln müssen. Und wiederum für diese Strategien brauchen wir klare politische Entscheidungen als Leitplanken.
Appelmann: Es gibt eine aktuelle Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer. Aus Kostengründen verlassen so viele deutsche Firmen den Heimatmarkt wie seit 15 Jahren nicht mehr. Was fordern Sie von der Politik, dass das endlich ein Ende hat?
Heger: Wenn wir dann hören, dass Unternehmen diese Entscheidung treffen, den Standort zu verlassen, woanders hinzugehen, dann haben diese Unternehmen nicht noch mal kurz vorher gefragt. Sie haben ihre Entscheidung so getroffen und sie haben sie treffen müssen. Aber was notwendig ist, ist vorher, lange vorher als Forderungen für unseren Standort an die Politik formuliert worden. Man muss zuhören und man muss in Verantwortung für das Land und für das Bundesland, aber auch für die Bundesrepublik umsetzen und nicht nur immer Versprechungen machen, sondern umsetzen. Dann kann man das abfedern und die nächsten Abwanderungen verhindern.
Appelmann: … sagt der Präsident der Vereinigung der Unternehmerverbände Rheinland Pfalz, Johannes Heger. Danke für den Besuch.
Heger: Gerne.