Streik bei Lufthansa und Bahn

Das Thema des Tages: doe Streiks. Jetzt kommt es nämlich ganz dick. Heute Morgen hat die Gewerkschaft ver.di angekündigt, dass ab Mittwoch früh nun auch die Beschäftigten im kommunalen Nahverkehr in Frankfurt, Gießen, Kassel und Wiesbaden streiken. Betroffen sind U-Bahnen, Straßenbahnen und Busse. Mit dem Streik will die Gewerkschaft unter anderem eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit und ein dreizehntes Monatsgehalt durchsetzen. Der Ausstand soll bis zum Ende der Nachtschicht am Freitag dauern. Und während der Streik dort angekündigt wird, laufen zeitgleich bereits weitere Streiks – unter anderem bei der Lufthansa am Frankfurter Flughafen und bei der Deutschen Bahn. Verkehrschaos auf der Schiene, auf den Straßen und in der Luft.

Flüge … Züge … Busse …
Bei vielen Verkehrsmitteln hat es heute Ausfälle und Verspätungen gegeben.
Uwe Hertwig
„Wir haben uns damit seit Freitag angefreundet, dass es manchmal ein bisschen komplizierter ist, nach Hause zu kommen. Sind jetzt hier mehr oder weniger gestrandet, weil unser letzter Flug nach Berlin leider nicht mehr geht.“
Hans Weprich, Projektleiter
„Jeder Arbeitnehmer hat das Recht, für seine Position einzutreten und das auch mit Streik durchzusetzen. Ich finde gerade jetzt die Verhandlungsführung der GDL ist teilweise grenzwertig, weil es immer so schnell hocheskaliert.“
Denise Pflug
„Drei verschiedene Bereiche von einem Unternehmen streiken innerhalb von zwei Wochen am Stück, das finde ich ein bisschen zu krass. Da hätte man vielleicht ein bisschen Pause zwischen den Streiks machen können, aber an sich verstehe ich das natürlich.“
Aijanna Kidane, Studentin
„Also ich finde schon, dass es zeitgemäß ist, streiken zu dürfen, aber ich finde, man sollte schon den Leuten, die es betrifft ein bisschen Respekt gegenüber haben und der fehlt für mich momentan ein bisschen.“
Gestern Abend noch hatte die Bahn versucht, den Streik gerichtlich zu verhindern, doch sowohl das Arbeitsgericht als auch heute das Landesarbeitsgericht in Frankfurt entscheiden: Es darf gestreikt werden.
Arbeitskampf-Runde sechs also im laufenden Tarifkonflikt zwischen Bahn und Lokführergewerkschaft. 80 Prozent der Fernzüge fallen aus. Die Gewerkschaft erntet dafür heute erneute Kritik vom Bundesverkehrsminister.
Auch die Industrie leidet unter dem Streik – wie der Chemieriese BASF, der von einem erheblichen Mehraufwand durch den ebenfalls bestreikten Güterverkehr spricht. Zwischen 25 und 50 Millionen Euro könnte die deutsche Wirtschaft durch einen Streiktag wie heute verlieren.
Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank AG
„Wenn Sie das vergleichen zu der gesamten Wertschöpfung die erbracht wird an einem Tag in Deutschland, dann sind das nur 0,2 Prozent, also das schlägt nicht durch auf die gesamte Volkswirtschaft finanziell, ist aber schlecht für das Image Deutschlands als Wirtschaftsstandort im Ausland.“
Wer ins Ausland will, hat es heute schwer. Durch den Streikaufruf der Flugbegleiter-Gewerkschaft UFO für rund 19.000 Kabinenbeschäftigte der Lufthansa fallen in Frankfurt 600 Flüge aus – 70.000 Passagiere sind betroffen. UFO fordert 15 Prozent mehr Gehalt, einen Inflationsausgleich von 3.000 Euro und höhere Zulagen.
Michael Niggemann, Personalvorstand Lufthansa
„Die Kollegen der Kabine machen einen tollen Job, aber Streik ist die falsche Lösung. Lösungen gibt es nur am Tariftisch. Wir haben ein unseres Erachtens gutes Angebot vorgelegt mit Gehaltssteigerungen in den nächsten anderthalb Jahren um rund zehn Prozent im Durchschnitt. Das ist die Basis, auf der Basis sollten wir verhandeln, zurück an den Verhandlungstisch!“
Joachim Vázquez Bürger, Unabhängige Flugbegleiter Organisation
„Wir sind bereit, wieder an den Tisch zu kommen, wenn ein Angebot da ist. Das muss stimmen und das, was zuletzt auf dem Tisch war, ist schlicht unzureichend. Wir brauchen auch in der Kabine einen Reallohngewinn nach dieser Zeit, einen Reallohngewinn, und mit dem jetzigen Angebot würden wir Reallohnverluste einfahren in der Summe und das können wir so nicht akzeptieren.“
Akzeptieren müssen Flug- und Zugreisende die Einschränkungen dagegen mindestens noch bis heute Nacht.
Die privaten Omnibusse in Rheinland-Pfalz fahren erst am Montag wieder.
Morgen folgt dann in mehreren hessischen Städten ein dreitägiger ÖPNV-Streik.
Das Landesarbeitsgericht in Frankfurt empfiehlt heute beim Bahnstreik eine Schlichtung. Der Vorsitzende Richter appelliert an die Kompromissfähigkeit beider Parteien. Ein Rat, der wohl für jeden Streik gilt – egal ob auf Schiene, Straße oder in der Luft.
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Maike Dickhaus, Moderatorin:
Darüber spreche ich jetzt mit Professor Thomas Raab. Er ist Arbeitsrechtsexperte an der Universität Trier. Guten Tag!
Prof. Thomas Raab, Arbeitsrechtsexperte Universität Trier :
Guten Tag.
Dickhaus:
Herr Raab, die Bahn hat es vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht nicht geschafft, den Streik zu stoppen. Warum ist es für ein bestreiktes Unternehmen denn so schwer, gegen eine Gewerkschaft Recht zu bekommen?
Raab:
Dazu muss man sich zunächst einmal klar machen, dass die Rechtsgrundlage, auf der die Arbeitsgerichte entscheiden, ausgesprochen vage und unsicher ist. Wir haben im Prinzip nur eine Bestimmung, nämlich im Grundgesetz den Artikel neun Absatz drei Grundgesetz, der selbst noch nicht einmal den Streik erwähnt, sondern nur das Recht garantiert, sich zu Vereinigungen zur Wahrung und Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zusammenzuschließen, bedeutet also, Gewerkschaften zu gründen, Arbeitgeberverbände zu gründen. Und daneben gibt es keine einfach gesetzliche Regelung über die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitskampf zulässig ist oder nicht. Aus der Grundgesetzbestimmung kann man dann zwar ohne Weiteres im Wege der Auslegung folgern, dass der Arbeitskampf zulässig ist, weil er notwendig ist, um das Tarifvertragssystem zu gewährleisten. Aber um mal einen Vergleich mit dem Fußball zu bemühen, das wäre in etwa genauso, als wenn Sie festlegen würden, dass man Fußball spielen darf, dass es zwei Mannschaften gibt und wer gewonnen hat, der den Ball öfter in das Tor des jeweils anderen hinein schießt, aber dass ansonsten alles offen wäre. Schon die Frage, wie viele Spieler auf beiden Seiten spielen, wie lange das Spiel dauern soll, wäre völlig offen und das solle der Schiedsrichter im Einzelfall entscheiden. Das wäre in etwa eine vergleichbare Situation.
Dickhaus:
Jetzt hat die Lokführergewerkschaft GDL den aktuellen Streik sehr kurzfristig angekündigt. Viel zu kurzfristig, sagt die Bahn, für die Fahrgäste sei das eine blanke Zumutung. Ist das nicht rechtswidrig?
Raab:
Ja, da sind wir bei der Frage: An welchem Punkt könnten wir da anknüpfen? Es ist allgemein anerkannt, dass ein Arbeitskampf verhältnismäßig sein muss. Das ist völlig unstrittig. Aber die Verhältnismäßigkeit ist natürlich ein ausgesprochen schillernder Begriff. Das heißt, damit stellt sich die Frage: Was ist denn darunter zu verstehen? Und manche sagen, ein Streik, der nicht rechtzeitig angekündigt wird, so dass die Arbeitgeberseite sich gar nicht darauf einstellen kann, der sei unverhältnismäßig.
Vor allen Dingen, wenn es dann auch um Fragen der öffentlichen Daseinsvorsorge geht. Wenn es also beispielsweise bei der Bahn darum geht, einen hinreichenden Notfahrplan aufzustellen. Dann würde natürlich sich die weitere Frage stellen: Wie lange muss denn eine solche Ankündigungsfrist sein? Das ist auch völlig unklar, weil es ja keine gesetzliche Regelung gibt. Es gibt aber manche, die sagen, das lässt sich aus der Verfassung gar nicht ableiten, weil man auch andererseits sehen muss, dass eine solche Ankündigungsfrist für die Gewerkschaft problematisch ist, weil sie natürlich einen umso größeren Druck ausüben kann, einen umso größeren Schaden anrichten kann, wenn das kurzfristig erfolgt und sich die Arbeitgeberseite nicht darauf einstellen kann. Das heißt, also schon die Frage, ob überhaupt eine Ankündigungsfrist aus der Verhältnismäßigkeit folgt, ist ausgesprochen umstritten.
Dickhaus:
Sie sagen also, es sei vieles unklar. Müssten da nicht die Gesetze geändert werden?
Raab:
Ja, ich sage schon seit langem, dass es ausgesprochen wünschenswert wäre, wenn wir endlich mal eine gesetzliche Regelung des Arbeitskampfes hätten. Denn man muss ja sehen, das ist eigentlich ein großes Demokratieproblem, dass man die Gerichte entscheiden lässt, wie die Regularien im Arbeitskampf zu sein haben. Das ist ja eigentlich etwas, was in die gesellschaftliche, in die politische Debatte gehört und wo der demokratisch legitimierte Gesetzgeber Regeln vorgeben müsste, nach denen dann der Arbeitskampf funktioniert. Also allein die Schaffung eines solchen Gesetzes wäre ein großer Fortschritt. Da könnte man natürlich dann auch überlegen, ob man solche Ankündigungsfristen festlegt, ob man beispielsweise auch das regelt, was auch diskutiert wird, nämlich vorzuschreiben, dass etwa in den Bereichen der Daseinsvorsorge eine Schlichtung erfolgen muss, bevor man zum Arbeitskampf greifen kann. Das wären alles denkbare Regelungen, über die man dann politisch diskutieren könnte.
Dickhaus:
Das sagt der Experte für Arbeitsrecht, Professor Thomas Raab. Vielen Dank für Ihre Einschätzung.
Raab:
Gerne.