Strategie für den Corona-Herbst

Zwei neue und trotzdem altbekannte Begriffe bereichern fortan die Corona-Debatte: Winterreifen und Schneeketten. Das Bild einer verschneiten Landschaft soll uns nun auf die Corona-Maßnahmen im Herbst und Winter vorbereiten. Winterreifen stehen dabei für die allgemeine Vorsorge des Bundes, Schneeketten für die möglichen Schutzmaßnahmen der Länder. Heute hat der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch seine neue Corona-Strategie vorgestellt.

O bis O – von Oktober bis Ostern. Diese Faustformel beherzigen viele, wenn es darum geht, am Auto die Winterreifen aufzuziehen. Jetzt wird sie auch maßgebend für die Corona-Strategie.
Von Oktober bis Ostern sollen wieder strengere Corona-Schutzmaßnahmen gelten. So steht es im Entwurf für das neue Infektionsschutzgesetz. Aber:
Marco Buschmann, FDP, Bundesjustizminister am 04.08.2022
„Alle diese Dinge, die man unter dem Begriff Lockdown versteht, Ausgangssperren, Betriebsschließungen, Schulschließungen. All diese Dinge halten wir nicht mehr für angemessen, sondern wir möchten in den Herbst gehen, wenn Sie so wollen auch in einer Zwei-Stufen-Logik – ‚Winterreifen, Schneeketten‘ metaphorisch genannt. Also man könnte auch sagen, einer allgemeinen Vorsorge und dann besonderer Maßnahmen, wenn es die Lage erfordert.“
Für die besonderen Maßnahmen, die Schneeketten, sind die Länder verantwortlich. Dazu erklärt der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch heute in Mainz, dass Kitas und Schulen künftig nicht mehr geschlossen werden sollen.
Zu weiteren Schutzmaßnahmen, wie zum Beispiel einer Maskenpflicht in Innenräumen, äußert er sich heute aber nicht. Denn die Rechtsgrundlage dafür – das neue Infektionsschutzgesetz – wird erst am Mittwoch im Bundeskabinett beschlossen.
Clemens Hoch, SPD, Gesundheitsminister Rheinland-Pfalz
„Was die Ermächtigungen der Länder angeht im Detail und vor allem die Klarheit und Nachvollziehbarkeit der Maßnahmen, hat mein Staatssekretär Denis Alt ja schon berichtet, dass wir noch etwas Nachsteuerungsbedarf sehen. Natürlich haben wir den bei der Bundesregierung schon hinterlassen. Trotzdem scheint es jetzt so, dass die Bundesregierung erstmal den Weg für das parlamentarische Verfahren und die Bundesratsbefassung für dieses Gesetz frei macht und wir werden unsere Vorstellungen auch nochmal im Rahmen des Bundesratsverfahrens anbringen.“
Fest steht aber: Rheinland-Pfalz will seine Datenerhebung verbessern. Das sei auch wichtig, um auf künftige Pandemien besser vorbereitet zu sein als es bei Corona der Fall war.
Als wichtiges Frühwarnsystem wird das sogenannte Abwasser-Monitoring ausgebaut. Bis zum Herbst soll Abwasser in 14 rheinland-pfälzischen Kläranlagen regelmäßig auf Virusbestandteile überprüft werden. Lokale Ausbruchsgeschehen können so erkannt werden, ohne dass Menschen aufwendig getestet werden müssen.
Darüber hinaus soll künftig zum Beispiel die Universitätsmedizin Mainz eine Gruppe von Menschen, die einen repräsentativen Ausschnitt der Gesellschaft darstellt, regelmäßig untersuchen und auf Varianten testen.
Die Landesregierung baut zudem für rund 7 Millionen Euro in Andernach ein Pandemielager, in dem sie Schutzausrüstung wie medizinische Masken vorhalten wird.
Kurzfristig seien vor allem Impfungen der beste Schutz, betont der Gesundheitsminister heute. Die Infrastruktur dafür ist da, doch zurzeit lässt sich kaum jemand impfen. Denn viele Geimpfte sind bereits geboostert und eine vierte Impfung empfiehlt die Ständige Impfkommission nur Menschen über 60 Jahren.
Viele warten aber auf den auf die Omikron-Variante angepassten Impfstoff, der nach monatelangem Verzug jetzt im September erhältlich sein soll.
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Markus Appelmann, Moderator: Das wollen wir noch genauer wissen und deswegen schalten wir nun zum rheinland-pfälzischen Gesundheitsminister Clemens Hoch. Guten Tag.
Clemens Hoch, SPD, Gesundheitsminister Rheinland-Pfalz: Guten Tag Herr Appelmann.
Appelmann: Herr Hoch, das Thema Impfen beschäftigt uns auch vor dem dritten Corona-Herbst. Seit Frühling stellen wir Ihnen die Frage, wann denn der auf Omikron angepasste Impfstoff kommt. Nun können Sie erstmals eine Antwort geben, oder?
Hoch: Definitiv verlässlich leider noch nicht. Aber wir rechnen in den nächsten vier bis sechs Wochen auf grünes Licht von der EMA Und sowohl BioNTech als auch Moderna haben uns gesagt, sie können dann sehr zeitnah liefern. Also, wir hoffen, dass es jetzt endlich für den Start des Herbsts auch einen Impfstoff gibt, der mutationsangepasst ist. Unsere Impfzentren sind bereit und wir könnten dann direkt loslegen.
Appelmann: Die Ständige Impfkommission empfiehlt eine zweite Auffrischungsimpfung gegen das Coronavirus nun ab 60 Jahren. Diese Menschen werden doch wohl kaum schnell zum Impfen gehen, sondern eher auf den angepassten Impfstoff warten, der erst Ende September kommen soll. Da wird doch wieder wertvolle Zeit vertrödelt, oder?
Hoch: Ich bin sehr froh, dass sich die StIKo jetzt empfohlen hat, dass alle Menschen ab 60 eine Impfempfehlung haben, und ich kann nur jede Bürgerin, jeden Bürger, der noch nicht ein zweites Mal geboostert ist, raten, jetzt die Impfung zu nehmen. Auch das hebt den Antikörperspiegel und wir haben sehr gute wissenschaftliche Daten, dass es vor einer neuen Infektion schützt, auch gegen Omikron. Und vor allem schützt es gegen schwere Verläufe. Das heißt, wer jetzt noch nicht geimpft ist, sollte der StIKo Empfehlungen folgen. Und wir wissen ja immer noch nicht genau, wann der neue Impfstoff kommt. Jetzt so lange zuzuwarten kann dazu führen, dass man doch noch an Corona erkrankt und das wäre wirklich sehr schade. Die Impfzentren haben Platz und Zeit und können jederzeit impfen.
Appelmann: Das neue Bundesinfektionsschutzgesetz soll diesen Mittwoch das Bundeskabinett passieren und dann Anfang September im Bundestag beraten werden. Dann wenn womöglich die Herbstwelleschon angefangen hat. Warum ist man auch im dritten Corona-Herbst so spät dran?
Hoch: Erst mal sehen wir jetzt, dass die Sommerwelle erfolgreich gebrochen ist und wir haben trotz hoher Infektionsgefahr die Krankheitszahlen immer beherrschen können. Das lag auch am großartigen Engagement unseres medizinischen Personals. Und so schnell ist jetzt mit einer Herbstwelle zum Glück nicht zu rechnen. Aber tatsächlich freuen wir uns, wenn endlich das Infektionsschutzgesetz in kraft treten kann. Wir haben bis dahin, bis Mitte September, noch wirksame Maßnahmen. Es wird einen nahtlosen Übergang geben. Aber wir Länder haben ja auch noch ein paar Änderungswünsche im Hinblick auf die Klarheit und Effektivität des Gesetzes. Und deswegen lohnt jetzt auch die Beratung in den nächsten Wochen.
Appelmann: Sie sprechen gerade die Beratungen an. Was möchte das Land Rheinland-Pfalz geändert wissen?
Hoch: Die Bundesminister haben ja ein Bild gewählt für ihr Gesetz, nämlich „Winterreifen und Schneeketten“. Und was wir haben wollen, ist, dass wir die Schneeketten, wenn es wirklich zu dem Schneesturm kommt, auch sehr viel schneller und sehr viel effektiver aufziehen können, als das bisher durch das Bundesgesetz vorgesehen ist. Ich finde, die Bundesebene kann den Ländern sehr viel mehr vertrauen und zutrauen. Wir haben in den letzten zwei Jahren der Pandemie gezeigt, wie verantwortungsbewusst die Länder mit dieser Pandemie umgehen. Und dieses Vertrauen kann uns der Bund jetzt auch zurückgeben.
Appelmann: Die Maskenpflicht wird im Herbst wieder verschärft – das sieht zumindest der Entwurf des neuen Gesetzes so vor. Ein frisch Geimpfter muss keine Maske tragen, obwohl er auch Corona übertragen kann. Ist für Sie das nachvollziehbar?
Hoch: Das ist zum Beispiel einer der Punkte, wo es sich lohnt, jetzt noch mal genau mit der Bundesebene darüber nachzudenken. Ich verstehe den Grundansatz, dass man sagt: Die Maskenpflicht ist sehr effektiv. Auch testen kann effektiv sein, impfen ohnehin. Das ist unser Weg aus der Pandemie. Aber die eine Maßnahme immer automatisch gegen die andere zu ersetzen, scheint nicht ganz so glücklich, weil es Fragen der Kontrollierbarkeit aufwirft und auch Fragen der Nachvollziehbarkeit Ich finde, wenn es notwendig ist, sollten wir uns wieder dem Thema Maskenpflicht nähern. Das beeinträchtigt wirklich beim Einkaufen oder beim Bahnfahren kaum jemand, ist aber ein sehr effektives Mittel. Aber alle anderen Dinge und wie das Zusammenspiel dieser Maßnahmen ist, da lohnt jetzt noch mal ein Blick mit der Bundesebene, ob wir wirklich gut gerüstet sind.
Appelmann: … sagt der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch. Danke Ihnen.
Hoch: Sehr gerne.