SPD, Grüne und FDP wollen gemeinsame Sondierungsgespräche starten – im Talk: Philipp Stelzner

In der echten Partnersuche nennt man es „Speed-Dating“. Mehrere Menschen sitzen in einem Raum und wechseln alle paar Minuten den Tisch, um binnen kürzester Zeit möglichst viele potentielle Partner kennenzulernen. In der Politik heißt das „Vorsondierungs-gespräche“. Und nachdem sich nun Union, SPD, Grüne und FDP in den letzten Tagen beschnuppert haben, gab es heute eine erste Vorentscheidung: Die Ampel rückt näher. Und damit schaut das politische Berlin nun nach Rheinland-Pfalz. Hier regieren seit 2016 SPD, Grüne und FDP zusammen in einer Ampel-Regierung – ohne nennenswerte Probleme. Und jetzt sondieren die drei Parteien also auch auf Bundesebene.

Es ist kurz nach zehn als sich die Grünen heute Vormittag als erste aus der Deckung wagen und die Zeichen im Bund klar auf Ampel stellen.
Annalena Baerbock, Bündnis 90 / Die Grünen, Bundesvorsitzende
„Nach diesen Gesprächen haben wir uns beraten und sind zu dem Schluss gekommen, dass es sinnvoll ist, jetzt vertieft – gerade auch mit Blick auf die Gemeinsamkeiten, die wir auch in diesen bilateralen Gesprächen feststellen konnten – jetzt mit FDP und SPD weiter zu sprechen und das schlagen wir der FDP vor.“
Kurze darauf meldet sich auch die FDP zu Wort.
Christian Lindner, FDP, Bundesvorsitzender
„Wir haben den Vorschlag eines Gespräches mit der SPD angenommen, um Gemeinsamkeiten zu prüfen, die unser Land nach vorne bringen.“
Bereits morgen soll es erste Gespräche zu dritt geben. Eine Jamaika-Koalition mit der Union sei aber auch weiterhin eine Option, sagt FDP-Chef Lindner heute.
Bei der SPD freut man sich über die Entscheidung von FDP und Grünen. In Rheinland-Pfalz sieht man sich als Vorreiter einer Ampel auf Bundesebene.
Zitat Roger Lewentz, SPD, Landesvorsitzender Rheinland-Pfalz
„Wir haben in dieser Konstellation gute Erfahrungen in Rheinland-Pfalz gemacht – mit einer erfolgreichen Zusammenarbeit. Die nächsten Schritte im Bund sind jetzt vertrauensvolle Gespräche auf Augenhöhe.“
Die Reaktionen bei der Union fallen hingegen gemischt aus. Der CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet betont, die Union respektiere diese Entscheidung, man sei aber auch weiterhin zu Gesprächen bereite.
Die rheinland-pfälzische CDU Vorsitzende Julia Klöckner spricht hingegen von einer Zäsur.
Zitat Julia Klöckner, CDU, Landesvorsitzende Rheinland-Pfalz
„Wir als Union haben die Aufgabe, uns inhaltlich und personell zu prüfen.
Nach 16 Jahren Regierungsführung stehen wir vor einer Zäsur. So hart das ist, aber wir müssen diese Situation jetzt als Chance begreifen. Es muss eine neue Dynamik in unserer Partei entstehen.“
Die Junge Union Hessen fordert sogar eine schonungslose Erneuerung der Partei auf allen Ebenen.
Leopold Born, Junge Union Hessen, stellvertretender Landesvorsitzender
„Ich glaube, man macht es sich zu leicht, wenn man mit dem Finger jetzt Richtung Armin Laschet zeigt. Aus meiner Sicht steht da die gesamte Parteiführung in der Verantwortung und es geht eben jetzt darum, diese Fehler schonungslos auf allen Ebenen zu analysieren.“
Während für die einen der Weg nun in Richtung Oppositionsbank führen dürfte, schalten die anderen ab morgen noch einen Gang höher.
Die Zeichen für die Ampel im Bund – seit heute stehen sie auf Grün.
Markus Appelmann, Moderator: SPD, Grüne und FDP sprechen ab morgen in Sondierungsgesprächen über eine Bundesregierung. Darüber spreche ich jetzt mit dem stellvertretenden Chefredakteur von „17:30“, mit Philipp Stelzner.
Philipp, das war doch nicht die ganz große Überrraschung, dass jetzt FDP und Grüne mit der SPD über eine mögliche Bundesregierung sprechen, oder?
Philipp Stelzner, stellv. Chefredakteur „17:30 Sat.1 live“: Nein, damit war zu rechnen. Denn bei den Sondierungsgesprächen hat man von Anfang an gemerkt, dass der Widerstand der Grünen gegen die Union viel stärker ist als der Widerstand der FDP gegen die SPD. Dazu kommt, dass die Union derzeit nicht sehr geschlossen und vertrauenswürdig wirkt.
Das liegt an dem geschwächten CDU-Vorsitzenden Armin Laschet, an der mangelnden Unterstützung von CSU-Chef Markus Söder und auch an den Informationen, die offenbar aus dem Sondierungsteam der Union an die Presse durchgesickert sind, obwohl die Gesprächspartner absolute Vertraulichkeit vereinbart hatten.
Appelmann: Also ab morgen dann Sondierungsgespräche SPD, FDP und Grüne. Deine Einschätzung: Wie groß ist die Chance, dass wir eine Ampelkoalition in der Bundesregierung bekommen?
Stelzner: Also, die Chance ist sehr groß, dass aus den Sondierungsgesprächen mit SPD, Grünen und FDP Koalitionsverhandlungen werden und daraus dann eine Ampelkoalition entsteht. Denn es hat intensive Vorsondierungen gegeben und die politische Schnittmenge zwischen den drei Parteien ist groß genug.
Es gibt zwar zwischen der SPD und den Grünen auf der einen und der FDP auf der anderen Seite gravierende Differenzen, insbesondere bei den Themen Finanzen, Migration und Verkehr. Aber die Ampelkoalition in Rheinland-Pfalz beweist, dass man solche Differenzen überbrücken kann.
Und es ist sehr wichtig, dass morgen auch die rheinland pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer und ihr früherer Stellvertreter Volker Wissing, der jetzt FDP-Generalsekretär ist, dort an den Sondierungsgesprächen teilnehmen. Denn die beiden kennen und vertrauen sich. Und es hat wenig zu bedeuten, dass die Grünen und der FDP heute gesagt haben, es bleibe auch eine Jamaika-Koalition mit der Union möglich. Denn das tun sie nur, um gegenüber der SPD eine möglichst starke Verhandlungsposition zu behalten.
Appelmann: Dann lass uns noch einen kurzen Blick auf die Union werfen. Die Entscheidung heute, welche Auswirkungen hat das auf die CDU / CSU?
Stelzner: Also, die Union, steuert weiter auf ein totales Desaster zu. Erst die großen Verluste bei der Bundestagswahl, heute die Absagen von Grünen und FDP – also, CDU und CSU müssen wahrscheinlich im Bundestag in die Opposition. Und der Kanzlerkandidat Armin Laschet könnte dann alles verlieren. Nicht nur das Ministerpräsidentenamt und den CDU-Vorsitz in Nordrhein-Westfalen, sondern auch den Bundesvorsitz. Er würde dann vermutlich auch nicht Fraktionschef im Bundestag werden. Er wäre dann nur noch einfacher Bundestagsabgeordneter.
Und das wäre natürlich auch ein Desaster für den hessischen Ministerpräsidenten und CDU-Vorsitzenden Volker Bouffier. Denn er hat entscheidend mitgeholfen, den Kanzlerkandidat Armin Laschet gegen CSU-Chef Markus Söder durchzusetzen. Die hessische CDU hat bei der Bundestagswahl viele Direktmandate an die SPD verloren, sie hat keinen Nachfolger für Volker Bouffier – also für die hessischen Christdemokraten sind das alles keine guten Vorzeichen für die Landtagswahl im Jahr 2023.
Appelmann: Danke für deine Einschätzungen. Der stellvertretende Chefredakteur von 17:30, Philipp Stelzner.