Sommerinterview mit Mathias Wagner (Bündnis 90 / Die Grünen)

Der hessische Grünen-Fraktionsvorsitze ist bei uns zu Gast.

Markus Appelmann, Moderator:
Politische Botschaften in lockerer Atmosphäre – herzlich willkommen zu den 17:30 Sat.1 live Sommerinterviews. Heute begrüßen wir einen Gast, der bis vor kurzem eine Regierungsfraktion angeführt hat. Dann aber hat sich der hessische Ministerpräsident Boris Rhein für die SPD und gegen die Grünen als Koalitionspartner ausgesprochen. Ich begrüße heute den Grünen-Fraktionschef im Hessischen Landtag, Mathias Wagner. Herzlich willkommen!
Mathias Wagner (Bündnis 90 / Die Grünen), Fraktionsvorsitzender Landtag Hessen:
Hallo, Schön, wieder da zu sein.
Appelmann:
Herr Wagner, über Ihren Platz in der Opposition sprechen wir gleich, zunächst wollen wir Sie ein bisschen persönlicher kennenlernen, und deswegen gehen wir an Ihren Lieblingsplatz, an Ihren Lieblingsort in der hessischen Landeshauptstadt.
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Der Weinprobierstand in Wiesbaden-Biebrich – der Lieblingsort von Mathias Wagner. Hier am Rheinufer nimmt er heute eine kleine Auszeit. Ein gutes Glas Wein, nette Gespräche und bestes Wetter, mehr braucht es nicht für einen gelungenen Feierabend.
Mathias Wagner (Bündnis 90 /Die Grünen), Lieblingsort: Weinstand Biebrich
„Den Alltag einfach vergessen und dann in den Feierabend starten. Ich wohn hier in der Nähe, insofern ist das ein sehr schöner Ort für mich. Das Prinzip ist, man ist privat hier. Und das heißt, man redet hier nicht über Politik oder nur, wenn mans wirklich auch will. Aber das will man im Feierabend auch nicht immer.“
Da genießt man lieber den Blick über den Rhein und lässt sich die Sonne aufs Haupt scheinen.
Geboren in Frankfurt, aufgewachsen im Taunus – Mathias Wagner ist ein waschechter Hesse. Seit über 20 Jahren nennt er nun Wiesbaden seine Heimat. Der Rheingau grenzt direkt an und liefert viele leckere Weine für die hessische Landeshauptstadt.
Und was ist nun die Lieblingsrebsorte des Politikers? Als Grünenchef etwa grüner Veltliner?
Mathias Wagner (Bündnis 90 / Die Grünen), Fraktionsvorsitzender Landtag Hessen
„Trink ich in der Tat auch sehr gerne. Riesling trink ich natürlich sehr oft. Das ist ja die Rebsorte im Rheingau. Aber es darf gerne auch mal was anderes sein. Aktuell hab ich nen Auxerrois im Glas. Das kommt alles hier aus der Region, von Winzern, die gar nicht weit weg sind. Das heißt, wenn einem hier am Weinstand was schmeckt, kann man auch mal im Weingut vorbeischauen oder sich auch ein bisschen für zuhause eindecken.“
In diesem Sinne Prost, Herr Wagner. Einfach mal die Seele baumeln lassen. Das kommt im politischen Alltag ja auch oft genug zu kurz.
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Appelmann:
Aber echt. Herr Wagner, was sind denn so die Themen, die derzeit den Wein beherrschen?
Wagner:
Am Weinstand sind es ganz private Themen. Man trifft Leute, man ist mit den Nachbarn am Weinstand, natürlich trifft man auch den einen oder anderen politischen Kollegen, aber das bleibt alles sehr entspannt am Weinstand und das ist auch gut so!
Appelmann:
Haben Sie denn, seit Sie in der Opposition sind, ein bisschen mehr Zeit an diesem Wein stand mal vorbeizuschauen? Oder sieht der Plan, der Arbeitsplan genauso aus wie vorher?
Wagner:
Nein, Opposition ist schon etwas entspannter. Man kann sich stärker aussuchen, mit welchen Themen man sich beschäftigt. Insofern: Da hat Opposition einen Vorteil. Dass man nicht mehr gestalten kann, ist natürlich der riesige Nachteil.
Appelmann:
Darüber sprechen wir jetzt, über Ihre Rolle in der Opposition. Denn der hessische Ministerpräsident Boris Rhein hat sich gegen ein “Weiter so” entschieden.
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Dass ihnen der hessische CDU-Chef Boris Rhein nach seinem klaren Wahlsieg den Stuhl vor die Tür stellen würde: Damit hatten die Grünen nicht gerechnet.
Mathias Wagner (Bündnis 90 / Die Grünen), Fraktionsvorsitzender Landtag Hessen, am 10.11.2023
„Es gibt keinen Grund, eine vertrauensvolle, zehnjährige Zusammenarbeit zu beenden.“
Denn über zehn Jahre hatten sie mit der CDU doch ganz solide zusammen regiert. Dachten die Grünen! Und manche sahen in dem Hessischen Modell bereits eine Blaupause für eine Koalition auf Bundesebene.
Doch Boris Rhein hatte längst kühl analysiert, dass sich der Zeitgeist gegen Grün gedreht hatte. Breite Wählerschichten, die für den  Höhenflug der Partei bei der letzten Bundestagswahl gesorgt hatten, wandten sich wieder von diesen ab. Ihre Fixierung auf den Klimaschutz empfanden viele als Bedrohung des eigenen Wohlstandes; begleitet von zu vielen Verboten und Vorschriften. Boris Rhein hatte genug von genervten Landwirten und Autofahrern. Er dankte den Grünen artig für ihre langjährige Mitarbeit und schwenkte um zur SPD.
Und die Grünen? Sie können fortan für grüne Politik pur kämpfen! Das wird ihre Kernklientel erfreuen. Doch für höhere Ambitionen ist die Luft erst einmal raus – und dies nicht nur in Hessen. Fragen wir doch unseren Studiogast Matthias Wagner, welche Lehren er aus dem grünen Debakel gezogen hat!
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Appelmann:
Ja, die Frage gebe ich gerne mal weiter.
Wagner:
Nein, Debakel sehe ich nicht. Wir hatten bei der Landtagswahl 15 %. Das ist, wenn Sie die Grünen langjährig beobachten, ein solider Wert. Aber natürlich wollten wir mehr und wollen auch weiterhin mehr. Unser Ziel bleibt es, darum zu kämpfen, auch stärkste Fraktion in einem Landtag zu werden. Das war jetzt ein Rückschlag, aber so ist es in der Politik. Mal geht es nach oben, mal geht es nach unten.
Appelmann:
Sie haben jetzt gleich schon nach vorne geblickt und haben die 15 % genannt. Bei der Wahl 2018 hatten sie noch knapp 20 %. Das gehört auch zur Wahrheit dazu. Und wenn ich frage, welche Lehren Sie daraus gezogen haben, haben Sie darüber gesprochen und was war so die Hauptlehre?
Wagner:
Ja, natürlich haben wir darüber gesprochen. Einen sehr großen Einfluss bei dieser Landtagswahl hatte die Bundesebene. Aber ich will mich nicht mit der Bundesebene rausreden. Es geht im Kern um das Thema, dass wir Veränderungen in unserem Land brauchen. Und es geht um den richtigen Weg zu Veränderungen. Und es geht um die richtige Geschwindigkeit zu Veränderungen. Und da haben wir Grüne sicher auch den einen oder anderen Fehler gemacht.
Appelmann:
Welcher Fehler zum Beispiel?
Wagner:
Ja, dass wir, wenn Sie auf Bundesebene schauen, manches vielleicht zu schnell angehen wollten, jetzt, wo wir dann wieder in die Bundesregierung gekommen sind. Und Veränderung muss immer mit Augenmaß geschehen. Und das ist eine unserer Konsequenzen daraus. Aber klar bleibt auch: Die Parteien wie CDU und SPD, die den Leuten weismachen wollen, es geht ohne Veränderung, die machen die Probleme größer in unserem Land und nicht kleiner.
Appelmann:
Über die Klimapolitik sprechen wir natürlich gleich noch, das urgrüne Thema. Zunächst noch mal bleiben wir in Hessen. Sie sind da viel näher dran als wir alle. Sie sitzen oder saßen mit dem hessischen Ministerpräsidenten am Tisch, mit den CDU-Ministern. Hatten Sie da nie dieses Gefühl, die könnten sich abkehren, abwenden von der grünen Politik, von uns?
Wagner:
Ja, im Nachhinein, wenn man über manches nachdenkt, gab es sicher das eine oder andere Warnsignal. Aber das ist jetzt alles im Nachhinein. Für uns kam diese Entscheidung überraschend. Wir haben zehn Jahre erfolgreich gemeinsam regiert. Viele Bürgerinnen und Bürger haben uns auch gesagt, sie gehen fest davon aus, dass das so weitergeht. Also so schlecht kann es nicht gewesen sein. Was uns so ein bisschen stört, ist, dass die CDU jetzt die gemeinsame Arbeit nachträglich schlecht redet. Daran werden wir uns nicht beteiligen. Das ist einfach schlechter Stil.
Appelmann:
So frustrierend dieser Machtverlust ist von einer Regierungsfraktion in eine Oppositionsfraktion, macht Ihnen das manchmal Spaß? Ist es manchmal vielleicht sogar schöner, dass man jetzt grüne Politik pur verkaufen kann, wie wir es gerade eben gehört haben?
Wagner:
Es geht nicht so sehr um grüne Politik pur. Es geht darum, was sind die richtigen Antworten für unser Land? Und hier bedauern wir sehr, dass die neue Koalition aus CDU und SPD jetzt sehr stark Stimmungen bedient, sich aber nicht um die Probleme in unserem Land kümmert, sondern im Gegenteil den Leuten weismachen will, dass Nichtstun eine Alternative ist und Nichtstun Probleme löst. Und das ist falsch. Wir haben gesehen, das hat die Probleme, vor denen wir in Deutschland und in Hessen stehen, gerade erst verursacht.
Appelmann:
Grüne Politik hat es, das werden Sie unterschreiben, derzeit richtig schwer. Bei aktuellen Umfragen zur Bundestagswahl liegen Sie bei13 %. Und wir wollen jetzt mal analysieren, an was das liegen kann. Und deswegen kommt ein Grüner der ersten Stunde bei uns jetzt zu Wort. Hubert Kleinert aus Melsungen war hessischer Landesvorsitzender der Grünen, Bundestagsabgeordneter und lehrt Politik an der Hessischen Hochschule der Polizei in Gießen. Die Frage an ihn: Wie können Sie sich die schlechten Umfragewerte der Grünen derzeit erklären?
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Prof. Hubert Kleinert, Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung
„Ich glaube, dass in der heutigen Zeit der Blick auf die Gesellschaft immer noch zu sehr ein Blickwinkel ist, der Interessenlagen von Minderheiten zu sehr in den Vordergrund rückt und der auch häufig aus meiner Sicht nicht realistisch genug sieht, wie die Mehrheit der Gesellschaft denkt.“
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Appelmann:
Bringen wir es auf den Punkt: Wer zu sehr auf Minderheiten blickt, hat es schwer, Mehrheiten zu erreichen, oder?
Wagner:
Ja, das ist zweifelsohne richtig. Deshalb tun wir Grüne das ja nicht. Wenn Sie das Thema Klimaschutz nehmen, das ist eine absolute Frage der Mehrheit in unserem Land, nämlich der gesamten Menschheit: Wie wollen wir künftig leben? Wenn Sie sich anschauen: Eine bessere Förderung für Busse und Bahnen ist ein Thema, was Tausende Pendlerinnen und Pendler jeden Tag umtreibt. Es wird im Moment schlechter mit den Öffis und nicht besser.
Appelmann:
Wie Sie das angehen, das erreicht oft keine Mehrheiten. Da können wir gleich auch in der Sachpolitik noch mal drüber sprechen.
Wagner:
Das würde ich nicht sagen, dass das oft keine Mehrheiten erreicht. Wer regieren nach wie vor in einer ganzen Reihe von Bundesländern. Ja, wir haben im Moment ein kleines Formtief, aber da kommen wir auch wieder raus.
Appelmann:
13 % …
Wagner:
Weil an den Themen hat sich ja nichts geändert, auch wenn die Themen im Moment vielleicht nicht so große Konjunktur haben. Aber wie verändern wir unser Land, dass wir heute gut leben können und dass unsere Kinder auch noch gut leben können? Das sind die zentralen Fragen, mit denen die Grünen sich beschäftigen. Und da werden wir auch nicht nachlassen. Dann lassen Sie uns mal ein konkretes Beispiel auswählen. Thema Asylpolitik Noch einmal lassen wir Hubert Kleinert zu Wort kommen.
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Prof. Hubert Kleinert, Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung
„Nehmen Sie mal den Hickhack zu dieser Bezahlkarte. Da sind wir wieder bei dem Migrationsthema. Das hätten die Grünen geräuschlos abräumen müssen. Da muss man nicht über Wochen zetern, ob man das überhaupt will und dann, wie man es will. Das macht wieder dieses Bild, dass immer, wenn Asylthema, Migrationsthema etwas, wie soll ich sagen, etwas Härteres vorgeschlagen wird, dann machen die Grünen das Problem.“
Appelmann:
Na, wenn das ein Urgrüner sagt. Warum gehen Sie das Asylthema nicht beherzter an?
Wagner:
Ja, das stimmt ja nicht. Hubert Kleinert hat ausdrücklich recht. So wie die Bundestagsfraktion mit dem Thema Bezahlkarte umgegangen ist, hat uns das auch in Hessen massiv gestört. Wir haben sehr frühzeitig gesagt, wir können uns eine solche Bezahlkarte hier in Hessen auch vorstellen. Wir haben auch gesagt, wie man das detailliert umsetzen könnte. Hier sind wir sogar weiter als die Landesregierung.
Appelmann:
Aber auf Ihrer Hessische-Grünen-Seite steht immer noch: “Das Nutzen der Bezahlkarte wird in Frage gestellt.”
Wagner:
Darüber kann man auch trefflich diskutieren, ob das, was sich die Befürworter der Karte versprechen, nämlich wirklich einen Beitrag zur Bekämpfung von illegaler Migration, eintreten wird. Aber wir haben gesagt; Das wollen wir jetzt nicht führen, die Debatte, sondern die Bezahlkarte kann Sinn machen und deshalb wollen wir sie auch einführen und haben dafür auch konkrete Vorschläge gemacht.
Appelmann:
Klingt alles so harmonisch momentan bei Ihnen, aber nach dem Asylkompromiss auf europäischer Ebene, da hat es richtig gebrodelt in der grünen Basis. Hat sich das jetzt ein bisschen gelegt? Haben die Grünen anerkannt, dass die Belastbarkeit des Staates erreicht ist, was viele Experten sagen, was die Menschen aber auch fühlen, weil sie sagen, es kommt jedes Jahr eine neue Großstadt zu uns nach Deutschland.
Wagner:
Es ist ein ganz schwieriges Feld, die Asylpolitik. Auf der einen Seite wollen wir natürlich Menschen in größter Not helfen. Das will auch, glaube ich, die Mehrheit der Bevölkerung. Auf der anderen Seite müssen wir den Menschen, die zu uns kommen und keinen Anspruch auf Asyl haben, auch sagen: “Das geht nicht bei uns hier im Land.” Und dass eine Partei um diese Frage ringt, finde ich gut. Wir haben jetzt ein Ergebnis gefunden. Wir stehen hinter der europäischen Flüchtlingspolitik, wir stehen hinter der Flüchtlingspolitik, die die Bundesregierung macht. Und wir Grüne hier in Hessen waren auch eine der ersten, die gesagt haben: “Wir sind für die Bezahlkarte.”
Appelmann:
Okay, wir sprechen jetzt über grüne Politik pur, denn über Klimapolitik wollen wir jetzt mit Ihnen sprechen. Vor kurzem ist durch die Politik ein Wort gegeistert, und das hieß: “Fahrverbote”.
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Die kürzlich von der Ampel-Regierung beschlossene Reform des Klimaschutzgesetzes nimmt Abschied von den Sektorenzielen, die vor allem der FDP ein Dorn im Auge waren. War doch gerade der Verkehrssektor meilenweit davon entfernt, seine CO2-Ziele zu erreichen. Diese engen Ziele wollte die FDP loswerden – und Verkehrsminister Volker Wissing griff zu einer nahezu genialen List: Er drohte vor allem den Grünen, dass er ein Fahrverbot erlassen werde. So könnte sein Sektor die Ziele locker erreichen.
Was dann folgte, war schon fast Politiksatire pur: Denn dass ein liberaler Minister die Drohkulisse eines Fahrverbotes errichtet, das allein ist bereits höchst erstaunlich. Doch dass die Grünen nicht mit einem „Wunderbar – so machen wir es!“ reagieren: Das setzt dem Ganzen die Krone auf. Denn war und ist nicht das Ziel vor allem der Grünen, den CO2-Ausstoß drastisch zu senken?
Wissing spielte mit vollem Risiko – und gewann. Fragen wir doch unseren Gast im Sommerinterview: War da nicht die Riesenchance, auf einen Schlag Unmengen CO2 einzusparen?
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Appelmann:
Aus Sicht des Klimaschutzes war das doch tatsächlich eine Riesenchance.
Wagner:
Nein, das war eine Quatschidee von Herrn Wissing. Und ich finde es ja immer amüsant, wenn FDP-Politiker oder CDU-Politiker sagen, was angeblich grüne Positionen waren. Wir wollen Klimaschutz so gestalten, dass wir die Autos emissionsärmer machen, CO2-frei machen, dass wir den öffentlichen Personennahverkehr ausbauen. Aber von den Schnapsideen von Herrn Wissing halten wir relativ wenig.
Appelmann:
Aber das müssen wir noch mal ein bisschen genauer erklären. Da kommt ein FDP-Verkehrsminister auf die Idee und sagt: “Wir könnten Fahrverbote einsetzen, um die Klimaziele im Verkehrssektor zu erreichen.” Und dann sagen die Grünen wortwörtlich: “Das ist verkehrs- und klimapolitischer Unsinn, den wir ablehnen.” Helfen Sie mir, dass ich das ein bisschen verstehe.
Wagner:
Ja, wo ist das Problem, das zu verstehen? Wir müssen die Veränderungen so gestalten, dass sie in Zukunft tragen. Fahrverbote sind ja keine Antwort auf die Probleme, die wir haben. Die Antworten liegen ganz woanders. Und Herr Wissing führt hier eine Debatte, weil er seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Es wäre die Aufgabe des Bundesverkehrsministers, pragmatische Vorschläge zu machen, wie wir CO2 reduzieren können im Verkehr. Das bleibt er seit Jahren schuldig und davon wollte er ablenken. Und da sind wir wieder bei dem Punkt: Ja, andere können Quatschdebatten führen, wir Grüne bleiben dabei, dass wir die Probleme in unserem Land wirklich lösen wollen.
Appelmann:
Sie sagen, die Autos sollen emissionsärmer werden, Thema Mobilitätswende, und dann schafft der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck quasi über Nacht die E-Auto-Förderung ab. Das ist doch keine Strategie, die da erkennbar ist, dass Autos emissionsarme werden, oder?
Wagner:
Wir haben eine enge Situation im Bundeshaushalt mit sehr, sehr wenigen Geldern, die zur Verfügung stehen. Wir Grüne sagen: “Wenn wir die großen Herausforderungen, vor denen Deutschland steht, bei der Infrastruktur, beim Straßenbau, beim Schienenbau, bei der Klimaneutralität tatsächlich lösen wollen, dann brauchen wir auch eine andere Herangehensweise bei der Schuldenbremse.” Dafür gibt es im Moment keine Mehrheiten. Aber wir werden dafür werben.
Appelmann:
Schuldenbremse aufweichen, damit die E-Auto-Förderung zum Beispiel wieder kommt.
Wagner:
Schuldenbremse aufweichen, damit wir die großen Herausforderungen, vor denen unser Land steht, gestalten können. Das werden Sie nicht schaffen in einem Haushalt allein, sondern Sie brauchen hier wirklich ein großes Investitionsprogramm. Und dafür brauchen wir auch eine Ausnahme von der Schuldenbremse.
Appelmann:
Aber dann leben wir doch wieder auf Pump. Das müssen doch irgendwelche Generationen bezahlen, nämlich die nächsten.
Wagner:
Wir leben doch jetzt auch auf Pump, wenn wir unsere Straßen nicht sanieren, wenn wir unsere Schienen nicht sanieren, wenn wir unsere Infrastruktur nicht in einen guten Zustand bringen, wenn wir beim Klimaschutz nichts tun, dann leben wir auch auf Pump der kommenden Generationen. Und deshalb sagen wir: “Lasst uns die Probleme angehen, statt immer nur zu sagen, was alles nicht geht.” Statt alberne Vorschläge zu machen, wie das Herr Wissing tut, wirklich an die Problemlösung herangehen, das ist unsere Herangehensweise.
Appelmann:
Aber müssen die Grünen nicht eingestehen, um noch mal beim eAuto zu bleiben, dass man mit einem vollen Tank einfach weiter kommt als mit einem vollen Akku? Und in diesem Akku ist doch ganz oft auch kein grüner Strom drin. Da ist Kohlestrom drin, da ist Atomstrom aus Frankreich drin.
Wagner:
Ja, eins nach dem anderen. Wir brauchen die Antriebswende bei den Autos und dann brauchen wir natürlich auch erneuerbare Energien. Wir haben die Hälfte des Weges geschafft. 50 % des Stroms in Deutschland kommt mittlerweile aus erneuerbaren Energien. Bis 2030 wollen wir bei 80 % sein. Das ist der richtige Weg, statt auf Technologien der Vergangenheit zu setzen, die noch dazu dazu führen, dass kommende Generationen eben nicht mehr in einer intakten Umwelt werden leben können.
Appelmann:
Sie sagen “Technologien der Vergangenheit”. Die CDU sagt “erprobte Techniken der Vergangenheit”. Die will nämlich das Verbrenner-Aus kippen und will im Europäischen Parlament nach der Europawahl diese Abstimmung wieder einbringen. Das kann doch aber im Kampf um Wählerstimmen ein richtig guter Schachzug gewesen sein.
Wagner:
Das glaube ich nicht, weil das Verbrenner-Aus hat ja Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin der EU eingeführt. Sie ist meines Wissens nach Mitglied der CDU. Und das Verbrenner-Aus ist auch ausdrücklich richtig. Wir wissen, dass wir so nicht weitermachen können mit dem Verbrennen von fossilen Kraftstoffen, weil es das Klima extrem schädigt. Und ja, wir wollen, dass weiter Auto gefahren werden kann in unserem Land, aber eben elektrisch und damit umweltschonend. Ich sehe wirklich nicht, wo hier das Problem ist, wenn wir uns mal klar machen, worum es geht. Wenn wir so weitermachen, dann werden wir Hitzewellen bekommen, dann werden wir Unwetter bekommen, wie wir sie jetzt teilweise schon sehen.
Appelmann:
Aber ein globales Problem können wir nicht national lösen. Das sagt Hans-Werner Sinn. Er war der ehemalige Chef des Münchner ifo Instituts, und er sagt: “Jede Tonne Erdöl, die wir Deutschen im Boden lassen, die holt einfach ein anderer Staat raus.” Damit ist dem Klimaschutz doch nicht gedient.
Wagner:
Das ist ja nicht richtig. Wir sehen, dass andere Nationen uns mittlerweile bei Umweltschutz, gerade bei Elektromobilität, abhängen. Wenn Sie nach China schauen, wenn Sie die Absatzprobleme von VW auf dem chinesischen Markt sehen, weil sie eben nicht weit genug in der Elektromobilität sehen. Wenn Sie nach Amerika schauen, mit einem riesigen Investitionsprogramm für Klimaschutz, für erneuerbare Energien, dann sind im Moment andere Staaten dabei, uns abzuhängen. Und wir führen hier in Deutschland eine Debatte, die sehr gegenwartsverliebt ist, aber die völlig außer Betracht lässt, dass wir so nicht weitermachen können, wenn unsere Kinder auch noch in einer guten Welt leben sollen.
Appelmann:
Wir möchten mit Ihnen noch ganz kurz über das Gebäudeenergiegesetz, das Heizungsgesetz sagen viele, wollen wir auch noch sprechen. Und da hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck an diesem Wochenende einen Satz gesagt – passen Sie mal auf: “Die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz – also wie heizen wir in Zukunft? – war ja auch ehrlicherweise ein Test, wie weit die Gesellschaft bereit ist, Klimaschutz, wenn er konkret wird, zu tragen.” Sein Fazit: “Ich bin zu weit gegangen.” Von dieser späten Einsicht können sich aber die Menschen, die jetzt schon umgestellt haben, eine neue Heizung haben, überhaupt nichts mehr kaufen. Das ist doch ein politischer Offenbarungseid, oder?
Wagner:
Nein, es ist kein politischer Offenbarungseid. Das ist einfach die Erkenntnis, dass das Heizungsgesetz nicht gut gemacht war, dass das Ziel richtig ist, auch beim Heizen, auch bei der Wärmeversorgung stärker auf erneuerbare Energien zu setzen, aber dass der Weg nicht richtig war.
Appelmann:
Er testet die Gesellschaft?
Wagner:
Nein, er testet nicht die Gesellschaft, sondern er hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der ja auch im Laufe der Beratungen verändert wurde. Und ja, wir haben hier Lehrgeld bezahlt, sehr teures Lehrgeld bezahlt als Grüne, aber wir haben die Botschaft auch verstanden.
Appelmann:
Aber verstehen Sie Menschen, die so was hören und sagen: “Ich wende mich von der Politik ab”?
Wagner:
Von der Politik abwenden sollte man sich nicht. Man sollte immer schauen, welche der demokratischen Parteien entspricht dem eigenen Programm am besten? Und unser grünes Angebot ist immer das, dass wir versuchen, die Herausforderungen, vor denen unser Land steht, zu bearbeiten, zu lösen. Ja, wir waren da zu schnell in der Vergangenheit. Aber noch mal: Wir haben diese Lektion gelernt. Schmerzlich.
Appelmann:
“Wir haben schmerzlich gelernt”, sagt Mathias Wagner. Wir könnten über das Thema noch viele Stunden reden, machen da aber einen Punkt, weil wir nach dem politischen jetzt noch zu unserem Spiel im 17:30 Sat.1 live Sommerinterview kommen wollen, das heißt “Entweder oder”. Und Herr Wagner, da müssen Sie sich genau festlegen.
Wagner:
Ich versuch’s mal.
Appelmann:
Handkäs oder Grüne Soße?
Wagner:
Grüne Soße.
Appelmann:
In welcher Kombination?
Wagner:
In allen.
Appelmann:
Regierung oder Opposition?
Wagner:
Regierung.
Appelmann:
Da wollen Sie wieder hin?
Wagner:
Absolut.
Appelmann:
Dauert noch ein bisschen.
Wagner:
Na ja, bis zur nächsten Wahl.
Appelmann:
Sagen Sie. Schwarz-Grün oder Ampel?
Wagner:
Schwarz-Grün.
Appelmann:
Ist das wirklich was für den Bund, ein Thema?
Wagner:
Absolut. Das ist eine der Koalitionsmöglichkeiten im Bund. Und wir sehen ja gerade an der real existierenden Ampelkoalition, dass sie zumindest nicht jeden Tag total glücklich macht.
Appelmann:
Und die Grünen würden besser mit der CDU klarkommen als mit FDP und SPD?
Wagner:
Ja.
Appelmann:
Sean Connery oder Roger Moore?
Wagner:
Roger Moore, weil es lustiger war.
Appelmann:
Okay. Haben Sie oft 007 geguckt?
Wagner:
Ich habe alle gesehen. Mehrmals.
Appelmann:
Das Bündnis Sahra Wagenknecht oder Die Linke?
Wagner.
Die Linke.
Appelmann:
Warum?
Wagner:
Weil ich bei der Linken tatsächlich noch erkennen kann, worum es ihr inhaltlich geht. Bei Sahra Wagenknecht sehe ich nur, dass es um Sahra Wagenknecht geht.
Appelmann:
Winter oder Sommer?
Wagner:
Sommer. Macht macht einfach Laune.
Appelmann:
Haben Sie den Sommerurlaub schon geplant?
Wagner:
Der Sommerurlaub ist schon geplant.
Appelmann:
Und wo geht es hin, wenn ich fragen darf?
Wagner:
Ja, wir haben gesagt, dass wir zu den jeweils runden Geburtstagen was Besonderes machen wollen. Und deshalb geht es diesen Sommer nach Kanada. Drei Wochen Rundreise an der Westküste. Und da freuen wir uns auf sehr viel Natur.
Appelmann:
Okay. Haben Sie sich zum Geburtstag sozusagen beschenkt.
Wagner:
Genau das ist die Überlegung.
Appelmann:
Danke schön, dass Sie heute unser Gast waren im 17:30 Sat.1 live Sommerinterview. Mathias Wagner von den Grünen.
Wagner:
Sehr gerne.