Sommerinterview mit Joachim Streit (Freie Wähler)
Eva Dieterle begrüßt heute auf unserer Dachterrasse auf dem Mainzer Lerchenberg den Fraktionsvorsitzenden der Freien Wähler im rheinland pfälzischen Landtag, Joachim Streit
Eva Dieterle, Moderatorin: Schön, dass Sie hier sind.
Joachim Streit, Freie Wähler, Fraktionsvorsitzender Rheinland-Pfalz: Ich freue mich, Frau Dieterle.
Dieterle: Herr Streit, 177 Tage ist dieses Jahr jetzt schon alt. Wir haben fast Halbzeit. Gab es in dem ersten halben Jahr etwas, wo Sie sagen: “Das war mein persönliches Highlight. Es hat mir richtig gut gefallen.”?
Streit: Ach ja. Ich habe drei Kinder und dieses Jahr haben alle drei ihre Abschlüsse geschafft. Und das ist dann was Besonderes, was man in der Familie auch feiert.
Dieterle: Ja, und da waren sie natürlich auch stolz als Papa.
Streit: Genau. Also, meine Frau und ich haben das wunderbar geschafft und wir sind sehr stolz.
Dieterle: Herr Streit, auch für Sie persönlich wird sich ja auf politischer Ebene vielleicht einiges verändern. Das schauen wir uns jetzt an in unserem kurzen Porträt.
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Die Freien Wähler in Rheinland-Pfalz – das ist vor allem er: Joachim Streit ist das bekannteste Gesicht der Partei. Seit sie 2021 zum ersten Mal den Einzug in den Mainzer Landtag geschafft hat, steht er an der Spitze der Fraktion. Sein großer Vorteil in vielen Debatten: Er hat mehrere Jahrzehnte kommunalpolitische Erfahrung, war Bürgermeister von Bitburg und Landrat des Eifelkreises Bitburg-Prüm. Dabei lässt er im Landtag auch durch ungewöhnliche Forderungen aufhorchen, so zum Beispiel als er vorschlug, das Land solle den insolventen Flughafen Hahn kaufen. Doch jetzt scheint ihm Rheinland-Pfalz zu klein zu werden. Er will für die Freien Wähler ins Europaparlament. Eine Ambition, mit der ihm wieder einmal eine Überraschung geglückt ist.
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Dieterle: Ja, am Wochenende war in Fulda Bundesparteitag der Freien Wähler. Sie sind in der Europa-Liste auf Platz drei gewählt worden. Warum wollen Sie nächstes Jahr ins Europaparlament wechseln? Ist Ihnen Rheinland-Pfalz schon zu klein geworden?
Streit: Nein, das hat nichts damit zu tun, dass etwas zu klein wird. Sondern die Partei hat gesagt: “Wir wollen unseren besten Mann nach Europa schicken.” Und da Rheinland Pfalz schon Platz drei beim letzten Mal besetzt hatte, war auch dieses Mal die Forderung meines Parteichefs Stephan Wefelscheid: Wir wollen Platz drei auch behalten. Und dazu muss natürlich jemand ran, der für Platz drei infrage kommt und der auch bei den anderen Bundesländern anerkannt ist. Und so bin ich ins Rennen geschickt worden und ich mache das gerne.
Dieterle: Der beste Mann heißt aber auch das Rheinland Pfalz, die Freien Wähler in Rheinland Pfalz, ihr prominentestes Gesicht verlieren.
Streit: Nun, Stephan Wefelscheid hat im Untersuchungsausschuss bewiesen, dass er es kann. Und es ist ganz klar, die Partei, bzw. die Landtagsfraktion kann laufen. Sie wird auch ohne Joachim Streit bestehen und da bin ich mir ganz sicher.
Dieterle: Da ist also schon alles geklärt. Wir schauen jetzt mal ins Land und darauf, wo die Kommunen sich ganz besonders viele Sorgen machen, und das ist die Flüchtlingssituation. Das sind die vielen Kosten, die anfallen für die Unterbringung, für die Versorgung und alles, was dazugehört. Die Ministerpräsidentin sagt, es sei eine gemeinsame Aufgabe. Wir müssen alle schauen, dass wir das zusammen hinbekommen. Hat sie damit nicht recht?
Streit: Also die verschiedenen Ebenen müssen zusammenarbeiten. Das heißt, die EU muss dafür sorgen, dass die rote Linie in Nordafrika gezogen wird, der Bund muss dafür sorgen, dass wir schnelle Asylverfahren haben und das Land muss dafür sorgen, dass wir Ankerzentren einrichten, damit eben nicht mehr so viele Flüchtlinge in die Kommunen kommen.
Dieterle: Das heißt, die Ankerzentren, das wäre ein Punkt, wo Sie sagen, das würden wir anders machen. Gibt es weitere?
Streit: Zum Zweiten: Wir müssen die Residenzpflicht einführen. Schon damals bei den Russlanddeutschen, die ja nach dem Grundgesetz Deutsche sind, haben wir die Freizügigkeit die ersten zwei Jahre beschränkt, und sie mussten halt dort ihren Wohnort nehmen, wo der Staat sie hingesetzt hat. Und das wäre jetzt bei den Flüchtlingen für uns nicht anders. Und das Dritte ist natürlich: Die Kommunen müssen eine Vollkostenerstattung bekommen. Und hier ist der Bund aber auch gefragt, nicht nur das Land.
Dieterle: Besonders kritisch fällt diese Überforderung, die gerade existiert, an den Schulen auf. Viele Erstklässler bleiben sitzen, weil sie schlicht zu wenig Deutsch sprechen. Sind damit unsere Aufnahmegrenzen schon überschritten? Zeigt das, dass wir an dieser Stelle nicht mehr weiterkommen? Oder welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Streit: Natürlich ist das ein Problem der Verdrängung. Und hier wäre es ganz wichtig, dass wir schnell eine Lösung finden und den Kindern in gesonderten Klassen auch Sprachunterricht anbieten, damit sie den normalen Unterricht im Niveau nicht absenken. Und die zweite Frage ist natürlich: Wie viele Flüchtlinge kann man in einer Klasse auch unterrichten? Und dann müssen halt besondere Klassen eingerichtet werden. Also ich sehe darin im Ablauf kein Problem, es ist eine Frage der Organisation.
Dieterle: Es klingt aber natürlich so einfach zu sagen, da müsse halt mehr Sprachunterricht stattfinden. Das kostet Geld, dafür braucht man Personal. Woher soll das alles kommen?
Streit: Nun, es gibt viele Lehramtsstudenten, die gerne auch schon unterrichten und es muss ja kein Voll-Unterricht sein. Aber die, die auch Deutsch für Ausländer lernen und in den Seminaren sind, können hier schon eingesetzt werden.
Dieterle: Die Freien Wähler fordern ja verpflichtende Sprachtests im Vorfeld. Was versprechen Sie sich davon? Das ist ja eigentlich nicht mehr als eine Bestandsaufnahme.
Streit: Nein, aus den Sprachtests soll natürlich auch folgen, dass die Kinder Deutsch können, bevor sie eingeschult werden. Das ist unsere allererste Forderung.
Dieterle: Von der einen Mammutaufgabe kommen wir jetzt zur nächsten. Das ist die Energiewende, die natürlich auch in Rheinland-Pfalz alle beschäftigt. Und wie hier so der Status quo ist, das schauen wir uns jetzt an:
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In Rheinland-Pfalz geht die Energiewende nur schleppend voran. Die Landesregierung schafft es weder bei der Wind-, noch bei der Sonnenenergie ihre selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Jeweils 500 Megawatt zusätzlich sollen pro Jahr installiert werden. Im Jahr 2021 waren es bei der Windenergie allerdings nur 58, im letzten Jahr sogar nur 55 Megawatt. Etwas besser sieht es bei dem Ausbau von Solaranlagen aus, 271 Megawatt zusätzlich gab’s in 2021, 355 im letzten Jahr. Mit Blick auf das laufende Jahr ist man beim Wörrstädter Unternehmen für Erneuerbare Energien JUWI, trotzdem zuversichtlich, dass die Energiewende bis 2030 zu schaffen ist. Dann soll 100 Prozent des Stroms in Rheinland-Pfalz aus regenerativen Energien stammen.
Carsten Bovenschen, Geschäftsführer JUWI Wörrstadt
„Die Energiewende kommt aus heutiger Sicht noch schleppend voran, aber wir gewinnen mehr und mehr Geschwindigkeit. Ich denke, wir kommen jetzt wirklich in die Puschen, wie man landläufig sagen würde. Es kommt halt darauf an, dass die Landesregierung mehr Flächen ausweist. 2,2 Prozent der Landesfläche sollen für erneuerbare Energien bereitgestellt werden. Das darf nicht bis 2032 dauern. Das muss am besten schon nächstes Jahr geschehen, damit wir Planungssicherheit haben, auf welchen Flächen wir unsere Projekte planen können. Und dann kommt es natürlich noch darauf an, dass die Genehmigungen in einer gewissen Geschwindigkeit durchgeführt werden.“
Für Genehmigungen sollen deshalb künftig nicht mehr die Städte und Kreise zuständig sein, sondern zentrale Stellen der Struktur- und Genehmigungsdirektionen im Land, so will es Klimaschutzministerin Katrin Eder.
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Dieterle: Wir haben es gerade gehört Wir kommen bei den erneuerbaren Energien so langsam in die Puschen. Ist das auch Ihr Eindruck, dass sich da was tut?
Streit: Nein. Also da tut sich gar nichts. Es geht viel zu schleppend voran. Man sieht das beim Ausbau der Windkraft oder auch des Solarausbaus. 500 Megawatt pro Jahr sollen kommen und sie erreichen vielleicht 10 %.
Dieterle: Wir haben es gerade auch gehört: zentrale Stellen für Genehmigungsverfahren. Sehen Sie darin eine Verbesserung?
Streit: Nun, bei den SGDn fehlen Mitarbeiter – es gibt keine technischen Mitarbeiter dort – und man dreht dann eine weitere Schleife, weil nämlich die Untere Landesbehörde bei den Kreisverwaltung müssen trotzdem beteiligt werden als Behörde, als Untere Naturschutzbehörde. Und von daher wird es eher länger dauern als schneller sein.
Dieterle: Also da gibt es viel Kritik von Ihnen für die Landesregierung. Wir schauen jetzt mal auf ein Thema, das alle beschäftigt und das sind die Energiekosten. Die treiben natürlich gerade auch die Unternehmen um. Die BASF ist in Rheinland Pfalz eines der energieintensiven Unternehmen und dort wurden bereits Stellen abgebaut. Fürchten Sie, dass sich immer mehr Unternehmen auch ins Ausland orientieren könnten?
Streit: Ja, man hat das auch gesehen bei Ford im Saarland, die jetzt nach Spanien gehen. Wir brauchen einen Industriepreis von drei / vier Cent pro Kilowattstunde. Ansonsten können energiereiche Unternehmen in Deutschland nicht bestehen.
Dieterle: Und was wäre das, was Sie da fordern würden?
Streit: Nun, der Bund muss ein Programm auflegen, damit die Energiepreise gesenkt werden. Zum einen für die Industrie, zum anderen aber auch für den kleinen Mann. Also mein Vorbild ist immer die alleinerziehende Mutter, die bei Lidl an der Kasse sitzt und viel einfacher zu Hause bleiben könnte und Bürgergeld kassieren, und sie geht trotzdem arbeiten. Und diesen Menschen müssen wir mehr Netto vom Brutto geben.
Das heißt, wir brauchen höhere Steuerfreibeträge. Die dürfen nicht bei 9.600 € sein, sondern gerade jetzt, in der Energiekrise, wo diese Menschen eine Inflation von 25 % erleben, muss der Steuerfreibetrag auf 13 – 14.000 € erhöht werden.
Dieterle: Bedeutet das nicht aber auch weniger Einnahmen in Zeiten, wo gerade alle nach Geld schreien vom Staat?
Streit: Ganz wichtig ist es, dass wir die Gesellschaft zusammenhalten. Und ich sehe diesen Zusammenhalt in Gefahr, wenn sich bestimmte Teile der Bevölkerung abgehängt fühlen. Und das darf nicht passieren.
Dieterle: Das Heizungsgesetz hat für viel Verunsicherung gesorgt. Die Ampel hat wochenlang gestritten, gerungen. Hat sich das aus Ihrer Sicht gelohnt?
Streit: Also, es hat sich auf jeden Fall gelohnt, Widerstand zu zeigen gegen die Gesetze von Habeck. Aber Habeck hat einen großen Vertrauensverlust in der Bevölkerung bewirkt, in die Politik überhaupt. Viele Menschen, die ein Haus besitzen aus den 70er / 80er Jahren waren vollkommen verunsichert. “Was passiert denn jetzt? Eine Wärmepumpe von 40.000 € – was muss ich denn noch investieren, damit diese Wärmepumpe überhaupt Leistung bringt?” Und damit waren sie überfordert und das hat natürlich auch dazu geführt, dass sich viele zur AfD hinwenden.
Dieterle: Und das, was jetzt auf dem Tisch liegt zum Heizungsgesetz?
Streit: Dass zumindest mal wieder Holz auch genommen werden darf als nachhaltiger Rohstoff, das finde ich okay. Das ist auch gerade bei uns in der Eifel diskutiert worden. Viele haben noch ein Stück Wald, stellen selbst Pellets oder Holzhackschnitzel, und von daher war es ganz, ganz wichtig, dieses Signal auszusenden.
Dieterle: Die Freien Wähler fordern ja den flächendeckenden Ausbau und auch Einsatz von Fernwärmesystemen. Schauen wir uns den ländlichen Raum mal an, da gibt es ja durchaus Strecken zurückzulegen. Ist das umsetzbar im Land?
Streit: Man muss unterscheiden zwischen Städten, wo diese Fernwärmesysteme auf jeden Fall zum Einsatz kommen sollen, und im ländlichen Raum, wie beispielsweise im Eifelkreis gibt es 55 Biogasanlagen und diese können dann auch über Fernwärme die Orte versorgen, in denen sie stehen.
Dieterle: Herr Streit, wir könnten darüber weiterreden, wir schauen jetzt aber natürlich auch noch auf die Freien Wähler, die ja aktuell nur in Bayern, Brandenburg und Rheinland-Pfalz überhaupt im Parlament sitzen.
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