Sommerinterview mit der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer

Die Regierungschefin von Rheinland-Pfalz stellt sich den Fragen von Markus Appelmann.

Markus Appelmann, Moderator:
Schön, dass Sie dabei sind. Unsere 17:30 Sat.1 live Sommerinterviews sind dieses Jahr in interessantem Fahrwasser unterwegs. Am Sonntag ist Europawahl und Kommunalwahl in Rheinland Pfalz. Wenn auch die SPD in Rheinland-Pfalz die letzten über drei Jahrzehnte die Landtagswahl gewonnen hat, bei den Kommunalwahlen hatte immer die CDU die Nase vorn. Bei uns ist heute SPD-Frau, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer. Ich grüße Sie.
Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz:
Ich grüße Sie auch, Herr Appelmann.
Appelmann:
Frau Dreyer, wir möchten unsere politischen Gäste zu Beginn immer ein bisschen persönlicher kennenlernen und deswegen begleiten wir Sie nun an Ihren Lieblingsort. Und der ist in Trier.
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Der Mattheiser Weiher in Trier; der Lieblingsort von Malu Dreyer. Hier kommt die Ministerpräsidentin zur Ruhe. Schaltet ab, vom stressigen Alltag als Oberhaupt der Landesregierung. Heute treffen wir Malu Dreyer an ihrem Lieblingsort. Wann immer die Ministerpräsidentin Zeit findet kommt sie an den Weiher, gerne allein oder mit der Familie.
Malu Dreyer (SPD), Lieblingsort: Mattheiser Weiher Trier
„Es ist sehr nah zu dem Ort, wo ich wohne, und hier kann man wirklich sehr runterkommen. Es ist ein wunderschönes Stück Natur hier. Tolle alte Bäume, Tiere, das Wasser. Es strahlt eine ganz große Ruhe aus und man trifft auch ab und zu ein paar Leute, einfach für Smalltalk. Auch das ist gut. Aber die Natur liebe ich eben sehr und einfach mal kurz eine kleine Auszeit am Weiher, das ist immer etwas, was sehr viel Kraft gibt.“
Geboren in Neustadt an der Weinstraße ist Trier mittlerweile die Wahl-Heimat der Ministerpräsidentin. Zuhause zu sein, das ist für Malu Dreyer ein kostbares Gut, denn oft ist sie im ganzen Land unterwegs oder am Regierungssitz in Mainz. Eine Auszeit am Mattheiser Weiher ist für sie deshalb Entspannung pur.
Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz
„Also ich versuche erst mal an gar nichts zu denken, aber es ist auch gar nicht so furchtbar schlimm hier zu sitzen und dass auch unterschiedliche Gedanken kommen. Bezogen auf den Beruf, auf das Persönliche, auf das Private. Natürlich geht einem alles so ein bisschen durch den Kopf. Aber das Schöne ist, es ist einfach total stressfrei. Man ist in einer anderen Atmosphäre, man ist verbunden mit der Natur und man kann die Gedanken auch streifen lassen. Und das ist tatsächlich dann auch so, dass man dann, wenn man nach Hause geht, auch wieder ganz gute neue Ideen hat.“
Ideen, die Malu Dreyer dann von ihrem Lieblingsort mitnimmt an ihren Arbeitsort nach Mainz.
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Appelmann:
Ein Ort zum Durchschnaufen. Frau Dreyer, sind an diesem Ort schon wichtige Entscheidungen getroffen worden und wenn ja, welche?
Dreyer:
Also so konkret kann man das natürlich nicht machen. Aber ganz klar, man hat seine Gedanken, man überlegt auch, wo will man hin, wie entscheidet man bestimmte Dinge? Ja, und mit diesen Gedanken geht man dann halt nach Hause und trifft dann die Entscheidungen auch. Möglicherweise habe ich auch am Weiher schon Entscheidungen getroffen, aber das kann ich Ihnen gar nicht konkret jetzt sagen.
Appelmann:
Sie haben vor Jahren mal ein Buch veröffentlicht, das heißt “Die Zukunft ist meine Freundin”. Wie schaffen Sie es trotz der Belastung, die dieses Amt sicherlich mit sich bringt, trotzdem so positiv in die Zukunft zu blicken?
Dreyer:
Grundsätzlich ist das eine Lebenseinstellung, würde ich sagen. Und die ist bei mir natürlich sehr mit Optimismus ausgestattet und mit Zukunftsmut auch. Aber solche Momente in der Natur, mit der Familie, mit Freunden, aber dieses Durchatmen, es gehört einfach mit dazu, wenn auch nur begrenzt in der Zeit, um sich zu sammeln und dann auch wieder mit Optimismus nach vorne zu schauen. Ich glaube, das ist eine gute oder wichtige Voraussetzung, um überhaupt immer auch optimistisch sein zu können. Denn das Leben ist manchmal mit ganz schön vielen Hürden auch versehen.
Appelmann:
Sie sagen es gerade, es ist manchmal gar nicht so einfach, optimistisch zu bleiben. Vor allem, wenn wir jetzt zu einem ganz, ganz aktuellen Thema kommen. Und da machen wir wirklich einen harten Schnitt. Es geht um ein Thema, das alle Menschen heute umtreibt. Am Freitag hatte ein 25-jähriger Afghane aus dem hessischen Heppenheim in der Mannheimer Innenstadt bei einer Veranstaltung der islamkritischen Bewegung Pax Europa sechs Männer verletzt. Bei dem Messerangriff wurde ein Polizist so schwer verletzt, dass er gestern starb. Was haben Sie gedacht, als Sie diese Nachricht gehört haben?
Dreyer:
Es ist einfach nur schrecklich. Es ist … “traurig”, ist eigentlich zu wenig gesagt. Es ist eine ganz, ganz schreckliche Tat und dazu kommt: Es ist ein Polizeibeamter, der gestorben ist, der sich für die Gemeinschaft eingesetzt hat, der jemand schützen wollte in dieser Situation und der einfach seinem Dienst nachgegangen ist. Es ist wirklich total schockierend und es ist klar, wenn die Polizei angegriffen wird, dann wird ein Mensch angegriffen. Es wird aber auch die Gesellschaft insgesamt angegriffen. Ich kann nur sagen: Wir sind traurig, die ganze Polizeigemeinschaft, die Polizeifamilie trauert, ist auch schockiert, und wir sind mit den Gedanken bei der Familie, bei den Freunden dieses jungen Polizeibeamten. Es ist eine schlimme, schreckliche Tat.
Appelmann:
Jetzt gibt es erste Politiker, die Analyse betreiben. Zum Beispiel der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. Er sagt, Deutschland habe ein massives Islamismusproblem. Hat er recht?
Dreyer:
Na ja, ich finde jetzt bezogen auf diese Tat ist eigentlich jede weitere Äußerung im Moment nicht angebracht, sondern es ist klar, wir haben einen starken Rechtsstaat. Gerade solche Angriffe gegen Polizei, Menschen, die unser Gemeinwesen schützen, gibt es harte Strafen in unserem Land. Und deshalb ist jetzt die Justiz am Zug.
Appelmann:
Aber Islamismus und Extremismus, die Zahlen gehen in der Kriminalitätsstatistik nach oben. Das muss doch Politik auch wahrnehmen und handeln.
Dreyer:
Natürlich nehmen wir wahr, dass das Thema Islamismus eine Rolle spielt. Der Rechtsextremismus spielt eine Rolle. Jede Form des Extremismus ist eine Gefahr für die Demokratie. Und deshalb ist der Staat ja auch handlungsfähig, was dieses Thema betrifft und selbstverständlich müssen wir darauf immer wieder achten, darauf schauen, was sind die Konsequenzen. Klar ist, dass Strafmaß beispielsweise in der Vergangenheit schon geschärft worden ist und dass unsere Polizei wirklich dann auch sehr eng immer an den Menschen ist, die für uns eine Gefahr bedeuten könnten. Es ist ein Thema, was sehr stark beobachtet wird und wo natürlich Politik auch handelt.
Appelmann:
So viel also zum aktuellen Thema, Frau Dreyer. Jetzt kommen wir im 17:30 Sommerinterview zur Lage der SPD und man hat so das Gefühl, der SPD tut in dieser Bundesregierung das Regieren nicht gut. Die einst so große Volkspartei dümpelt derzeit in Umfragen bei unter 20 % herum.
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Keiner der drei Parteien, die in Berlin die Ampel bilden, ist das gemeinsame Regieren bislang gut bekommen. Vor allem die Sozialdemokraten befinden sich im Keller der Zustimmung. Wie tief wird die Talfahrt der SPD noch gehen? Und woran liegt dies?
Ist es die alles dominierende Sozialstaatsausrichtung der SPD? Ihre vermeintlichen Verkaufsschlager wie Bürgergeld und Mindestlohn ziehen nicht mehr. Die einseitige Fixierung auf die unteren  Einkommensgruppen nervt die Mittelschicht. In dieser haben viele materielle wie auch kulturelle Verlustängste. Das neue Bündnis Sahra Wagenknecht wie auch die AfD haben hier einfaches Spiel, sich als Retter in der Not anzubiedern – auf Kosten vor allem der SPD!
Doch der Kanzler, er scheint nicht fähig, in der Krise die richtigen Worte zu finden. Er ist unbeliebt wie kaum ein Regierungschef vor ihm. Wer bei ihm, Olaf Scholz, Führung bestelle, der werde sie erhalten, so hieß es einst.  Bis heute warten die Menschen jedoch vergeblich, dass die Lieferung eintritt.  In den vielschichtigen Weltkrisen kommt es jedoch mehr denn je auf einen Kanzler an, der wie ein Fels in der Brandung steht und wirklich führt.
In den Bundesländern dürften SPD-Regenten wie Malu Dreyer gespannt verfolgen, ob ihr Kanzler noch die Kurve kriegt und die Frage beantwortet: Ist er der richtige Politiker Mann an der Spitze in dieser Zeit?
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Appelmann:
Franz Müntefering, der ehemalige SPD-Parteivorsitzende, schielt schon auf die nächste Bundestagswahl 2025 und sagt: “Die Kanzlerkandidatenfrage ist da noch nicht geklärt”. Immer wieder wird ja auch der Name Boris Pistorius, der Name des Verteidigungsministers genannt. Sind Sie, Frau Dreyer, Team Pistorius oder Team Scholz?
Dreyer:
Also diese Teamfragen, die gibt es nicht in der SPD. Natürlich gibt es immer wieder einzelne Menschen, die so etwas formulieren, aber ich bin sehr sicher, dass Olaf Scholz auch der nächste Kanzlerkandidat werden wird. Und ich will dazu auch zu dem Beitrag gern auch zwei, drei Sätze noch sagen. Ich finde gerade, dass Olaf Scholz wie ein Fels in der Brandung steht. Natürlich wird er in vielerlei Hinsicht kritisiert. Aber wenn ich mir betrachte, welche Krisen im Moment die Bundesregierung wirklich zu durchstehen hat, womit auch SPD sehr stark konfrontiert wird, dann kann ich nur sagen: Wenn ich zum Beispiel schaue auf das europäische und das transnationale Zusammenwirken im Krieg der Russen gegen die Ukraine, dann sehe ich, dass der Kanzler hier eine sehr entscheidende wichtige Rolle spielt mit abgewogenen Positionen. Und darüber bin ich froh. Und das sind im Übrigen sehr, sehr viele Bürger und Bürgerinnen auch.
Appelmann:
“Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch”, sagt er. Aber hat er nicht Lieferschwierigkeiten? Viele Bürger sehen das so!
Dreyer:
Ja, ich verstehe sogar die Bürger und die Bürgerinnen. Aber es ist natürlich eine große Herausforderung, in einer Ampelkoalition auf der Bundesebene als Kanzler agieren zu können und gleichzeitig die auch sehr selbstbewussten Persönlichkeiten der FDP und der Grünen tatsächlich auch mitzunehmen und die Koalition zusammenzuhalten. Das ist in Wahrheit eine große Herausforderung, denn der Kompromiss ist in der Koalition im Grunde schon angelegt und der Kanzler muss darauf achten, dass die Bundesregierung dann am Ende auch einen Kompromiss findet gemeinsam mit den Bundestagsfraktionen. Und das ist scheinbar oft ein Widerspruch aus Sicht der Bürger und Bürgerinnen zu diesem Thema.
Appelmann:
Es wirkt nach Dauerstreit auf Bundesregierungsebene.
Dreyer:
Ich bin manchmal etwas unglücklich darüber, wie viel gestritten wird, aber ich bin manchmal auch etwas unglücklich darüber, dass Sachfragen, die einfach der Erörterung bedürfen, gleich immer als Streit betitelt wird. Es ist doch richtig, dass man sich bei Fragen um Krieg und Frieden, um Fragen, wie geht es mit der Wirtschaft in Deutschland weiter, dass man dann mit unterschiedlichen Positionen sich auch auseinandersetzt, um dann zu dem möglichst besten Kompromiss zueinander finden.
Appelmann:
Schauen wir mal auf die Positionen.
Dreyer:
Die Performance müsste eine bessere Seite sein, da bin ich auch absolut der Meinung und das stört auch Bürger und Bürgerinnen. Und ich finde, wir machen es im Land auch vor, dass es auch anders geht. Aber nichtsdestotrotz ist Streit an sich nicht immer nur etwas Negatives.
Appelmann:
Ins Land kommen wir gleich. Noch ein anderes Thema auf Bundesebene: Oft führt Bundeskanzler Olaf Scholz nicht und dann mischt er sich auf einmal in Themen ein, die ihn auf den ersten Blick gar nichts angehen. Zum Beispiel das Thema Mindestlohn. Dafür gibt es ja eine Mindestlohnkommission ohne Politik an Bord. Und Bundeskanzler Scholz diktiert in den Block: “Ich bin klar dafür, den Mindestlohn erst auf 14 € und dann im nächsten Schritt auf 15 € anzuheben.” Sind wir hier bei Wünsch dir was?
Dreyer:
Sind wir nicht. Aber der Bundeskanzler spricht etwas aus, was seine Erwartungen betrifft und man muss wissen, dass die Mindestlohnkommission in der vorhergehenden Runde aus meiner Sicht seitens der Arbeitgeber auch nicht gut agiert hat, sondern es gab die klare Regel, dass sich beide Seiten einigen auf einen Mindestlohn, auf die Steigerung des Mindestlohnes. Und das ist leider nicht erfolgt in der Vorgeschichte. Und deshalb war das Adressieren des Bundeskanzlers, die Erwartung an die gesamte Kommission, dass man sich wirklich mit der realen Situation auseinandersetzt und dann auch zu einer vernünftigen Lösung kommt, sehr richtig aus meiner Sicht. Und wenn man sieht, was los ist in unserem Land mit Inflation und ähnlichen Dingen, auch wenn jetzt die Lage wieder besser ist, dann ist es auch richtig, dass der Mindestlohn weiter steigen muss.
Appelmann:
Aber die damalige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles von der SPD hat vor acht Jahren gesagt: “Als wir das Mindestlohngesetz gemacht haben, da haben wir uns sehr schnell in der Großen Koalition darauf verständigen können, dass wir keinen politisch festgesetzten Mindestlohn wollen. Das öffnet Willkür und Populismus Tür und Tor.” Gilt das nicht mehr?
Dreyer:
Das gilt nach wie vor. Aber trotzdem ist es natürlich legitim, wenn ein Bundeskanzler die Mindestlohnkommission adressiert, und zwar auch mit einer klaren Erwartung. Und wenn man sieht, wo Löhne heutzutage sind, dann muss auch das Thema Mindestlohn weiter steigen. Und damit muss sich die Kommission jetzt in der nächsten Runde auseinandersetzen. Und sie darf nicht wie das letzte Mal im Grunde im Streit und dann mit der Stimme des Vorsitzenden dann zu einem Ergebnis kommen. Das war nicht der Plan für die Mindestlohnkommission.
Appelmann:
So viel zum Mindestlohn. Jetzt zu einem anderen bundespolitischen Thema, zur Asylpolitik. Dieses Thema hat auch Ausstrahlung auf die Länder und die Kommunen. Und wir gehen jetzt nach Michelbach in der Vulkaneifel, wo in ein ehemaliges Hotel viele Flüchtlinge einziehen sollen. Zunächst aber der Blick auf die aktuelle Lage.
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Es ist ein Thema, bei dem weiter keine wirkliche Lösung in Sicht ist. 3.730 Menschen haben von Januar bis April dieses Jahres in Rheinland-Pfalz erstmals einen Asylantrag angestellt.  Viele Kommunen sind überlastet und bis der beschlossene EU-Asylkompromiss vor Ort für Erleichterung sorgt, wird es noch lange dauern. An vielen Orten wächst der Widerstand in der Bevölkerung.
Wie hier im Gerolsteiner Ortsteil Michelbach. Aus einem ehemaligen Hotel soll hier eine Unterkunft für bis zu 60 Geflüchtete werden. Und das obwohl der kleine Ort selbst gerade mal 90 Einwohner hat. Aktuell ist hier im Hotel noch kein Flüchtling untergebracht – doch wenn die Flüchtlingszahlen steigen, könnte sich das schnell ändern. Die Anwohner sagen, gegen die Aufnahme von Flüchtlingen seien sie nicht, sie würden auch gerne bei der Integration mithelfen. Ihnen gehe es einfach darum, dass die Menschen im Kreis „fair“ verteilt werden.
Stefanie Lorisch, Vorsitzende FAIRteilen e.V.:
„Wir haben nichts gegen die Menschen. Hier können gerne Menschen einziehen, aber nicht in dieser Anzahl. Und es gibt keine verbindliche Zusage, dass weniger als 60 kommen.“
Die Michelbacher setzen auf private Unterkünfte und haben sich im Dorf selbst auf die Suche gemacht. Das Ergebnis: Drei Wohnungen würden zur Verfügung stehen, jeweils 80 bis 100 Quadratmeter groß – also Platz für insgesamt drei Familien. Dazu stehen Ehrenamtliche bereit, die sich gerne um die Flüchtlinge kümmern würden. Doch der Landkreis hält daran fest, dass aus diesem Hotel eine Gemeinschaftsunterkunft für bis zu 60 Flüchtlinge werden soll.
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Appelmann:
Frau Dreyer, verstehen Sie den Frust der Michelbacher?
Dreyer:
Na ja, ich verstehe die Sorge von Bürger und Bürgerinnen, dass wir überfordert sind mit der Anzahl von Flüchtlingen. Und das ist auch der Grund dafür, warum viele, viele Maßnahmen jetzt getroffen worden sind. Wir als Land sind diejenigen, die natürlich von den Bundeszuweisungen der Flüchtlinge damit umgehen müssen. Und wir müssen einen Teil der Flüchtlinge, weil wir viele in unseren eigenen Aufnahmeeinrichtungen aufnehmen, natürlich weiter dann geben an die Kommunen. Ich verstehe die Sorge der Bürger und Bürgerinnen, dass wir an Grenzen kommen und vieles auch nicht mehr schaffen können. Und deshalb sind wir stark aktiv auf der Bundes- und der europäischen Ebene, um tatsächlich dafür zu sorgen, dass es andere Mechanismen gibt, die helfen, dass weniger Flüchtlinge zu uns kommen.
Appelmann:
Aber es bis dieser EU-Asylkompromiss zum Tragen kommt, das dauert ja noch viele Jahre. Frühestens 2026.
Dreyer:
Na ja, das EU-Parlament muss sich jetzt erst mal bilden uznd die neue Kommission, das ist richtig. Und trotzdem muss man darauf schauen, was jetzt erst mal geschafft worden ist, nämlich zum ersten Mal seit Jahren und Jahrzehnten eine wirklich gute Lösung, an der Europa insgesamt beteiligt ist und es nicht mehr zulässig ist in Zukunft, dass Flüchtlinge einfach in manchen Ländern so verstärkt ankommen und in Resteuropa nichts passiert. Aber es passiert natürlich inzwischen auch ganz viel anderes. Grenzkontrollen dieser Art, wie sie gerade stattfinden innerhalb von Europa, die konnten wir uns gar nicht vorstellen. Das findet aber statt, auch eine ganz viel stärkere Sicht darauf, wer kommt ins Land, wie sind die Leute wirklich dann auch registriert, wie kann man sie besser dann auch integrieren? Das alles wird stärker gehandhabt.
Appelmann:
Aber das alles hilft den Michelbachern nicht. Bis zu 60 Flüchtlinge auf 90 Bewohner. Wir lassen noch mal die Vorsitzende zu Wort kommen.
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Stefanie Lorisch, Vorsitzende FAIRteilen e.V.:
“Ich habe zumindest das Gefühl, dass ich ein anderes Demokratieverständnis habe, weil die Belange der Bürger müssten ja auch irgendwas zählen. Alles das, was man vorbringt, wird so abgetan, weil man will halt mit uns reden, aber man will uns von der Lösung überzeugen. Man will sich aber nicht in der Mitte treffen.”
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Appelmann:
Aber das ist doch ein Dorf, wie man es sich wünschen müsste, sind Menschen, die sich einbringen, die Flüchtlinge integrieren wollen, und die sagen einfach: “Politik ist da nicht kompromissbereit.”
Dreyer:
Na ja, also es geht ja um einen kommunalen Konflikt an dieser Stelle. Und ich kann nur sagen, dass auch die Landrätin und der Kreistag ja mit dieser Frage umgegangen sind und dass man sich inzwischen ja auch geeinigt hat. Meines Wissens. Natürlich soll das Hotel für alle Fälle zur Verfügung stellen, aber zurzeit liegt der Schwerpunkt ja darauf, die Flüchtlinge – wie immer übrigens in der Vulkaneifel – dezentral zu verteilen. Das ist auch das Prä für alle Landräte in unserem Land und Oberbürgermeister, dass man erst mal sich drum bemüht, die Flüchtlinge zu verteilen. Ich verstehe die Frau und ich verstehe die Bürger und Bürgerinnen dort. Aber es muss natürlich auch ein Geben und Nehmen am Ende sein. Man muss sich in der Mitte treffen, so wie sie es gesagt hat, und dazu gehört eben auch, dass der Landkreis ein Stück Vorsorge treffen muss. Nochmals aber zusammengefasst: Im Land insgesamt zeigen Bürger und Bürgerinnen immer wieder auch kommunal Verantwortliche, dass sie mit der Frage gut umgehen. Wir brauchen insgesamt trotzdem eine bessere Steuerung und Kontrolle, was das Thema Aufnahme von Flüchtlingen betrifft. Da sind wir dran mit der Bundesregierung, und zwar ganz massiv. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber ich will noch mal sehr klar sagen: Es gibt keine Bundesregierung, auch nicht zuvor die Bundesregierung unter Angela Merkel, die so viele Schritte unternommen hat, um auch bei dem Thema Flüchtling mehr Ordnung zu schaffen.
Appelmann:
Die Asylpolitik und weitere Herausforderungen führen dazu, dass die kommunalen Haushalte leer sind, dass sie teilweise ein Minus aufweisen wie im Landkreis Cochem Zell. Wir haben Anke Beilstein, die Landrätin, dort getroffen, weil sie gesagt hatm, genau aus diesem Grund klagt sie gegen das Land Rheinland-Pfalz. Und das hat sie uns gesagt.
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Anke Beilstein (CDU), Landrätin Kreis Cochem-Zell:
“Wir möchten mit dieser Klage eine Spirale durchbrechen. Denn ist es so und das geht nicht weiter so, dass immer mehr politische Forderungen gestellt werden, immer mehr politische Versprechungen gemacht werden, Standards nach oben geschraubt werden und die Landkreise sollen es dann umsetzen. Das geht nur dann, wenn man die finanziellen Mittel hat. Die werden uns nicht mitgegeben. Stattdessen sollen wir Umlagen erhöhen, das Ganze am Ende des Tages auf dem Bürger umwälzen. Und da sagen wir ganz klar: Diese Spirale kann nicht so weitergehen. Das müssen wir durchbrechen. Und das möchten wir mit einer Klage feststellen.“
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Appelmann:
Ja, sie klagt gegen das Land, damit die Bürger nicht mehr belastet werden.
Dreyer:
Zum einen möchte ich hier noch klarstellen, dass die Flüchtlingsthematik damit gar nichts zu tun hat. Wir haben im letzten Jahr als Land 267 Millionen zusätzlich an die Kommunen weitergegeben. Und es gibt im Moment keine Klage darüber, dass wir für das Thema Flüchtlingsunterbringung zu wenig Geld den Kommunen zur Verfügung stellen.
Appelmann:
Sie hat Flüchtlingskosten genannt, Sozialleistungen und öffentlicher Personennahverkehr.
Dreyer:
Ja, im öffentlichen Personennahverkehr haben wir in der Tat eine besondere Problematik in Cochem-Zell Die liegt vor allem dort. Ich möchte es auch deutlich sagen: Wir haben natürlich einen Aufwuchs von ÖPNV, was wir auch wollen. Wir wollen, dass Bürger und Bürgerinnen eine bessere Mobilität haben. Aber im Landkreis sind auch Busverkehre vergeben worden, die eigentlich weit über das Maß hinaus gehen. Es gibt die große Klage dort auch in diesem Landkreis, dass Busse leer in der Gegend rumfahren. Das heißt, wir müssen gemeinsam mit dem Landkreis im Moment darauf schauen, was macht eigentlich Sinn an kommunalen Verkehren, die dort beauftragt werden? Und was macht keinen Sinn.
Appelmann:
Frau Beilstein sagt aber auch: “Wenn wir nicht mehr Geld vom Land bekommen, dann müssen wir die Pflichtaufgaben zurückschrauben.” Wo soll sie da ansetzen?
Dreyer:
Bei den Pflichtaufgaben kann sie nicht zurückschrauben. Sie kann nur darauf schauen, ob man Pflichtaufgaben vielleicht auch effizienter erbringen kann. Das ist schon eine Aufgabe, an die man sich auch ranmachen muss. Und ich sage noch einmal sehr klar und deutlich: Wir haben in den letzten Jahren den kommunalen Finanzausgleich neu ausgestattet. Wir geben sehr, sehr viel mehr Geld an die Kommunen. Wir haben jetzt 3 Milliarden in die Hand genommen, um zu entschulden. Cochem-Zell ist davon gar nicht betroffen, weil dort gar nicht so viele Altschulden vorhanden sind. Also die haben vom Grundsatz her eigentlich eine gute Ausgangslage. Das heißt, wir tun viel für die Kommunen. Wir können uns aber auch nur im Rahmen dessen bewegen, wo wir Handlungsspielräume haben. Und deshalb ist es wichtig, dass wir miteinander weiter im Gespräch bleiben, die zuständigen Minister und Frau Beilstein, um zu schauen, wie kann man Mobilität so organisieren, dass sie bezahlbar ist? Wie kann man an manchen Stellschrauben vielleicht noch drehen, damit es am Ende hinhaut? Ich glaube, jeder Bürger versteht, dass man am Ende auch nur so viel Geld ausgeben kann, wie zur Verfügung steht. Und es geht den Kommunen so, es geht dem Land so und es geht im Bund so. Da müssen wir alle an einem Strang ziehen.
Appelmann:
Wir bleiben an dem Thema und der Klage dran. Jetzt aber noch etwas Perspektivisches, Frau Dreyer. Ein großes Thema in der Bundespolitik ist derzeit die Rente mit 63. Sie sind im Februar 63 geworden. Viele Menschen machen sich da Gedanken um den Ruhestand. Sie auch?
Dreyer:
Die Rente mit 63 gibt es ja gar nicht. Es gibt ja nur die Rente nach 45 Arbeitsjahren und die habe ich, ehrlich gesagt, noch nicht voll.
Appelmann:
Und das heißt, Sie wollen noch weitermachen, Sie wollen bei der Landtagswahl wieder antreten? So konkret die Frage.
Dreyer:
Sie haben mich das gefragt, ich glaube vor vier, fünf Monaten oder so was Ähnliches, und an der Antwort hat sich gar nichts verändert. Sie werden rechtzeitig erfahren, wie wir, wie ich, wie meine Partei sich entscheidet. Aber das ist nicht jetzt der Zeitpunkt.
Appelmann:
Gesetzt den Fall Sie treten nicht mehr an, dann haben Sie gesagt, im Herbst 25 nominieren Sie einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin. Das ist doch viel zu spät, um diese Person auch im Land bekannt zu machen.
Dreyer:
Ich habe immer deutlich gemacht, dass die Partei immer an dem Parteitag vor der Landtagswahl den Spitzenkandidaten nominiert. Und das wird auch diesmal der Fall sein.
Appelmann:
Okay, Frau Dreyer, Sie werden uns informieren, wie wir gehört haben.
Dreyer:
Genau.
Appelmann:
Jetzt haben wir erst mal noch ein paar Fragen an Sie. “Entweder oder” Ist unser Spiel dieses Jahr. Kurze Fragen mit der Bitte um klare Positionierung. Das fällt zu Beginn schon gar nicht so einfach: Mainz 05 oder 1. FC Kaiserslautern?
Dreyer:
Für mich sind beide Mannschaften total wichtig. Die erste Liga, zweite Liga – und ich bin glücklich darüber, dass beide es geschafft haben, den Klassenerhalt. Das war wirklich eine wackelige Angelegenheit diesmal. Sind tolle Mannschaften.
Appelmann:
Rotwein oder Weißwein?
Dreyer:
Im Winter den Rotwein, im Sommer, wenn es wirklich warm ist, der leichte Weißwein.
Appelmann:
Herzmensch oder Kopfmensch?
Dreyer:
Herzmensch.
Appelmann:
Und wie äußert sich das in der Politik?
Dreyer:
Indem man die Dinge schon kopfmäßig richtig durchdenkt, aber nicht vergisst, wo das Herz schlägt und was das Herz dazu sagt.
Appelmann:
Ein Bier trinken mit Angela Merkel oder mit Friedrich Merz?
Dreyer:
Mit Angela Merkel.
Appelmann:
Ist sie innenpolitisch noch ein bisschen näher?
Dreyer:
Wir haben einfach so lange Zeit miteinander gearbeitet, sodass sie mir einfach auf eine gewisse Art und Weise auch vertraut ist.
Appelmann:
GroKo oder Ampel.
Dreyer:
Ich stehe für Ampel.
Appelmann:
Okay, auch im Bund weiter?
Dreyer:
Das wird man sehen.
Appelmann:
Hitzige Landtagsdebatte oder Diskussion mit Freunden?
Dreyer:
Ich finde hitzige Landtagsdebatten auch sehr, sehr wichtig, aber in der heutigen Zeit, wo die Demokratie wirklich stark angegriffen ist, finde ich es sehr wichtig, auch im privaten Bereich immer wieder politisch zu diskutieren.
Appelmann:
Rhein und Mosel?
Dreyer:
Die Mosel ist einfach wunderschön landschaftlich.
Appelmann:
Tag oder Nacht?
Dreyer:
Eher Tag.
Appelmann:
Kalt oder warm?
Dreyer:
Ja, warm, aber nicht heiß. Also so 24 – 25 Grad ist super.
Appelmann:
Wohin geht Ihr Urlaub in diesem Jahr?
Dreyer:
Ich bleibe in Deutschland. Ich gehe nach Mecklenburg-Vorpommern.
Appelmann:
Da passt es mit dem Temperaturen auf jeden Fall. Danke, dass Sie sich heute dem 17:30 Sat.1 live Sommerinterview gestellt haben. Malu Dreyer.
Dreyer:
Ich danke Ihnen.