So lief der Flut-Untersuchungsausschuss

Nach 42 Sitzungen hat der Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal Ende April die Beweisaufnahme beendet. Was bleibt – außer zwei Rücktritten und schweren Vorwürfen gegen Verantwortliche?

Rund 285 Stunden haben Martin Haller und seine Kollegen zusammengesessen, 227 Zeugen vernommen und 22 Sachverständige gehört.
Rückblick: Zwei Legislaturperioden, zehn Jahre lang hat es im rheinland-pfälzischen Landtag keinen Untersuchungsausschuss mehr gegeben.
Doch im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 drängen sich Fragen auf.
Christian Baldauf, CDU, Fraktionsvorsitzender Landtag RLP, am 09.08 2021
„Warum es keine ausreichenden Warnungen gab? Warum so viele Menschen haben ihr Leben verlieren müssen? Warum so viele Menschen ihre Existenz verloren haben?“
Der Untersuchungsausschuss kommt am 01. Oktober 2021 das erste Mal zusammen. Von jeder Fraktion sind Abgeordnete vertreten. Den Vorsitz hat der SPD-Abgeordnete Martin Haller aus Frankenthal, parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion.
Die Ausschussmitglieder fahren ins Ahrtal, wälzen Akten und befragen Zeugen. Unter ihnen auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer.
Zwei prominente Zeugen treten im Laufe der Ausschuss-Ermittlungen von ihren Ämtern zurück: Die ehemalige rheinland-pfälzische Umweltministerin Anne Spiegel – zwischenzeitlich nach Berlin gewechselt – gibt ihr Amt als Bundesfamilienministerin im April 2022 ab. Kurz nach der Ahrtalflut war sie vier Wochen in den Urlaub gefahren.
Anne Spiegel, Bündnis 90/Die Grünen, ehemalige Familienministerin, am 10.04.2022
„Ich bitte für diesen Fehler um Entschuldigung.“
Im Oktober 2022 tritt auch der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz zurück.
Roger Lewentz, SPD, ehemaliger Innenminister RLP, am 12.10.2022 „Heute übernehme ich für in meinem Verantwortungsbereich gemachte Fehler die politische Verantwortung.“
Unter anderem waren Videos, die ein Polizeihubschrauber in der Flutnacht aufgezeichnet hatte, erst nach über einem Jahr an den Untersuchungsausschuss übermittelt worden.
Nach 42 Sitzungen haben die Ausschussmitglieder elektronische Akten im Umfang von 560 Gigabyte zusammengetragen. Mit Ergebnissen wird Ende des Jahres gerechnet.
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Markus Appelmann, Moderator: Und jetzt ist er bei uns im Studio, der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Martin Haller. Guten Abend.
Martin Haller, Vorsitzender Flut-Untersuchungsausschuss: Guten Abend, Herr Appelmann.
Appelmann: Herr Haller, lassen Sie uns noch mal zurückblicken auf die Zeugenbefragungen. Was war denn für Sie der eindrücklichste Moment?
Haller: Es gab sehr viele eindrückliche Momente; Momente, die man nicht vergisst, weil das eine ist, wenn Sie etwas lesen, relativ abstrakt in den Akten oder auch in den Akten der Staatsanwaltschaft und dann die Menschen vor sich haben, die zum Teil körperlich, denen Sie das ansehen, was sie durchgemacht haben, und das sind schon Momente, die man nicht vergisst. Und dann nimmt man auch einiges mit und man muss sich dann auch immer wieder bewusst machen: Auch das ist dann immer nur ein ganz kleiner Bruchteil dessen, was die Menschen im Ahrtal durchgemacht haben und zum Teil auch noch durchmachen.
Appelmann: Jetzt gab es für Sie viel Lob, es gab aber auch Kritik, gerade aus dem Ahrtal. Trifft Sie die besonders hart? Weil für diese Region, für diese Menschen machen Sie ja vor allem die Aufklärungsarbeit.
Haller: Ja, es ist wie im richtigen Leben: Über Lob freut man sich, Kritik trifft einen auch hin und wieder mal. Aber ich glaube, am Schluss ist dann doch ein Ergebnis, das der Ausschuss auch gemeinsam erarbeitet hatte, sich sehen lassen kann. Wir haben es uns an keiner Stelle einfach gemacht. Vor allem: Der Ausschuss ist nie ins politische Klein-Klein abgedriftet.
Und dann muss man auch sagen, Herr Appelmann, man darf sich dann an der Stelle auch nicht so selbst so wichtig nehmen, ob man jetzt mal kritisiert wird oder gelobt wird. Es geht darum, dass der Ausschuss am Schluss eine gute Arbeit abliefert. Und ich glaube, das, was da zustande kommen wird, kann sich dann auch sehen lassen.
Appelmann: Es gab viele einschneidende Momente bei diesem Flut-Untersuchungsausschuss, zum Beispiel den, als über ein Jahr nach Beginn des Ausschusses wichtiges Beweismaterial aufgetaucht ist vom Flutabend. Wir sehen es gerade, die Hubschrauberaufnahmen. Sie haben das als inakzeptabel bezeichnet. Wie schwer fällt es da, einem Sozialdemokraten Druck zu machen auf ein sozialdemokratisch geführtes Ministerium, das Innenministerium?
Haller: Na ja, das ist ein Ausschuss des Parlaments. Ich bin der Ausschussvorsitzende. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass der Ausschuss handlungsfähig ist, dass die Mitglieder ihr verfassungsmäßig verbrieftes Recht wahrnehmen können, nämlich die Regierung zu kontrollieren. Und das habe ich in der Situation getan. Und da ist man an erster Stelle Ausschussvorsitzender und Parlamentarier.
Appelmann: Kurz darauf ist dann der damalige Innenminister Roger Lewentz zurückgetreten. Hat der Untersuchungsausschuss eine Wucht entwickelt, die Sie vorher auch nicht für möglich gehalten hätten?
Haller: Ein Untersuchungsausschuss – gibt ja diesen Spruch: “Es ist das schärfste Schwert der Opposition; es ist das schärfste Schwert des Parlamentes”. Es wird eine demokratische Urgewalt entfesselt. Und wenn die entfesselt ist, dann ist es sehr, sehr schwer zu kontrollieren. Das ist auch der Sinn eines solchen Untersuchungsausschusses, in welche Richtung sich diese Urgewalt entwickelt. Und ein Untersuchungsausschuss lässt sich nicht planen. Man muss auch immer flexibel auch als Vorsitzender im Kopf bleiben, um die Entwicklungen dann entsprechend auch aufnehmen zu können.
Und das ist auch das Verdienst dieses Ausschusses, dass wir sehr kollegial miteinander die Dinge angegangen sind. Anders hätte es auch nicht funktioniert. Und ich glaube, das ist auch ein großer Unterschied zu anderen Untersuchungsausschüssen in der Bundesrepublik.
Appelmann: Sie haben vor kurzem der Koblenzer Rhein-Zeitung ein Interview gegeben und haben gesagt: “Ich werde mich in 40 Jahren noch an gewisse Ausschnitte und Zeugenbefragungen erinnern”. Was hat dieser Untersuchungsausschuss mit Ihnen gemacht?
Haller: Man lernt seine Grenzen kennen, und damit meine ich jetzt nicht körperliche Grenzen, sondern natürlich hören Sie dort Dinge und kriegen in ganz komprimierter Zeit sehr viele Dinge geschildert, die Sie mit nach Hause nehmen. Und das ist auch gut so, dass man die mit nach Hause nimmt, weil es eben das ist, was die Menschen erlebt haben. Aber da muss man schon sagen, das macht was mit einem.
Und es gab schon auch Situationen, wo wir untereinander sehr viel Gesprächsbedarf hatten über das, was wir da gerade gehört haben.
Appelmann: Letzte Frage: Jetzt arbeiten Sie gerade am Abschlussbericht. Gibt es da auch gemeinsame Ergebnisse von Regierung und Opposition oder funktioniert so der politische Betrieb nicht, dass man da sachlich zusammenarbeitet?
Haller: Ja, das kann ich Ihnen an der Stelle noch gar nicht abschließend sagen. Das ist vor allem jetzt die Aufgabe der Obleute der Fraktionen, dass sie sich zusammensetzen. Meine ist es da eher ein Stück weit auch die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass es, wenn es womöglich Gemeinsamkeiten gibt, dass die dann auch zum Schwur kommen. Und die Obleute werden sich jetzt dransetzen, wenn der Bericht des Vorsitzenden dann vorliegt, die Dinge in eine Bewertung zu bringen. Und dann muss man schauen, ob es vielleicht da auch die ein oder andere Gemeinsamkeit gibt.
Appelmann: Und ich höre raus, dass hoffen Sie auch ein bisschen.
Haller: Na ja, es wäre ein schönes Signal, glaube ich, auch an die Menschen im Ahrtal.
Appelmann: … sagt der Vorsitzende des Flut-Untersuchungsausschusses, Martin Haller. Danke für den Besuch im Studio.
Haller: Danke Ihnen ganz herzlich.

 


Und gerade erreicht uns in Sachen Flutkatastrophe noch folgende Nachricht: Der CDU-Landtagsabgeordnete Dirk Herber hat am Nachmittag Strafanzeige gegen Thomas Linnertz, den Präsidenten der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Rheinland-Pfalz, kurz ADD, gestellt. Wegen falscher uneidlicher Aussage im Flut-Untersuchungsausschuss. Es geht um die Urlaubsreise der damaligen Vizepräsidentin der ADD. Morgen dazu mehr bei uns in der Sendung