Skorpiongift gegen Krankenhauskeime

Multiresistente Keime – oft auch als Krankenhauskeime bezeichnet – sind eine der größten Herausforderungen im Gesundheitssystem. Experten schätzen, dass bis 2050 multiresistente Erreger weltweit zu den Haupttodesursachen zählen werden. Schon heute sterben in Deutschland daran jährlich mehr als 2.000 Menschen. Es müssen dringend neue Therapien her. Ein nur wenige Millimeter großes Tierchen könnte eine Lösung parat haben.

Chelifer cancroides, der Bücherskorpion. Ein Spinnentier, verwandt mit echten Skorpionen, aber ohne Stachel – ein Pseudoskorpion. In Schuppen und Ställen, unter Heu fühlt er sich wohl. Mit seinen Scheren und dem darin enthaltenen Gift tötet er seine Beute: kleine Insekten wie Läuse und Milben. Tim Lüddecke vom Fraunhofer Institut Gießen und sein Team haben den Bücherskorpion unter die Lupe genommen – genauer gesagt sein Gift. Darin haben die Forscher Bestandteile, sogenannte Toxine, gefunden, die gegen einen antibiotikaresistenten Krankenhauskeim wirken.
Tim Lüddecke, Biochemiker
„Sie attackieren vor allem die Membran der Zelle. Sie machen quasi Löcher in die Außenhaut und dadurch platzen die Bakterien auf. Und es ist für ein Bakterium deutlichen schwieriger gegen solche Mechanismen Resistenzen zu entwickeln.“
Die Toxine im Bücherskorpion-Gift gehen also einen anderen Weg beim Abtöten der Bakterien als gängige Antibiotika. Ein großer Hoffnungsschimmer, denn der Erreger, bekannt unter der Abkürzung MRSA, ist weit verbreitet.
Tim Lüddecke, Tiergiftforscher
„Ein großes Problem im Bereich mit Krankenhauskeimen ist der, dass diese Keime eben häufig auf medizinischen Gerätschaften, zum Beispiel auf künstlichen Gelenken oder auch auf Kathetern Biofilme bilden und dort sitzen und eben nach operativen Eingriffen oder während der Wundversorgung in den Körper gelangen und dort Infektionen verursachen können.“
Das Ziel der Forscher: Ein Imprägnierungssystem entwickeln, eine Beschichtung mit den Toxinen für Katheter und künstliche Gelenke. Doch zunächst müssen Tim Lüddecke und sein Team noch ein wenig an der biochemischen Struktur der Giftstoffe arbeiten. Denn sie können auch menschliche Zellen angreifen. Künstliche Varianten müssen her, die gezielter nur bei den Bakterien und trotzdem zuverlässig wirken. Und doch – Toxine mit einer solchen Wirkung gefunden zu haben, ist ein großer Erfolg für die Wissenschaftler. Seit 2021 erforschen sie intensiv die Gifte von Spinnen und Spinnentieren.
Tim Lüddecke, Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie
„Tiergifte generell sind eine große und bekannte Quelle von Biomolekülen für die Medizin. Unter den Gifttieren sind es vor allem die Spinnentiere, die besonders spannend sind, vor allem deswegen, weil ihre Gifte die komplexesten sind. Das Gift einer einzigen Spinne kann bis zu 3.000 Toxine enthalten. Aber es gibt eben auch die meisten Arten in diesen Spinnentieren, es gibt allein 50.000 Spinnenarten. Und so glauben wir, dass etwa die Hälfte aller Tiergifte in der Natur eben in Spinnentieren zu finden sind und deswegen befassen wir uns primär mit diesen Tieren.“
Prognosen zufolge werden immer mehr krankmachende Bakterien eine Resistenz gegen Antibiotika entwickeln und immer häufiger zu tödlichen Infektionen führen. Für neue Therapien muss die Forschung also andere Wege gehen als bisher, gegen die die Keime nicht so einfach resistent werden. Und dieses 3 bis 5 Millimeter kleine Tierchen könnte das Rezept dafür haben.