Schiefer als der schiefe Turm von Pisa

Jeden Tag um 18 Uhr läuten die Glocken des Gemeindeturms im rheinhessischen Gau-Weinheim. Für die Bauern und Winzer hieß das früher: Ab in den Feierabend! Heute ist das „Bürgerliche Läuten“ nur noch dafür da, die Tradition zu erhalten. Das wirklich Besondere an dem alten Turm aber ist etwas anderes – und bald vielleicht schon im Guinnessbuch der Rekorde.

Ein kleines Experiment zeigt: Hier ist was schief. Sehr schief sogar. Der Gemeindeturm von Gau-Weinheim ist der wohl schiefste Turm der Welt.
Erwin Gottschlich, Ortschronist von Gau-Weinheim: „Das Besondere ist, dass er unterschiedlich schief ist. Alle seine Ecken sind unterschiedlich schief. Und die eine Ecke, die sieht man jetzt von vorn, das ist die linke Ecke, die ist am schiefsten, die hat 5,38 Grad.“
… und ist damit schiefer als jeder andere Turm. Auch der berühmte Schiefe Turm von Pisa kommt mit seiner Neigung von 3,97 Grad bei Weitem nicht an den Gau-Weinheimer Turm heran.
Warum das so ist – ob er schon so gebaut wurde oder der Boden sich im Laufe der Jahrhunderte gesenkt hat – ist nicht bekannt. Und auch aus historischen Daten nicht abzuleiten.
Erwin Gottschlich, Ortschronist von Gau-Weinheim: „Unser Archiv ist bei einem Bombenangriff verloren gegangen in Darmstadt, es wurde zerbombt, also gab es nichts von Gau-Weinheim. Dann habe ich mich auf die Suche gemacht nach alten Dokumenten, in Fachbüchern, Chroniken, Festbüchern und habe versucht dann wieder die Chronik herzustellen.“
Das Ergebnis: 400 Seiten Gau-Weinheimer Geschichte. Über den Gemeindeturm konnte Erwin Gottschlich herausfinden, dass er aus dem Mittelalter stammt und früher einmal als Wehrturm gedient hat. 1749 wurde er zum Glockenturm umgebaut. Heute steht er unter Denkmalschutz und ist das Wahrzeichen der 600-Einwohner-Gemeinde. Gottschlich wollte der Chronik des Turms ein weiteres Kapitel hinzuzufügen: Den Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde. Aber das ist richtig teuer.
Erwin Gottschlich, Ortschronist von Gau-Weinheim: „Und dann hatte ich ganz normal einen Antrag gestellt als Privatperson und dann wurde es abgelehnt. Und dann hab ich mich schlau gemacht und nochmal nachgefragt und irgendwann kam dann die Antwort, das Ganze ging dann nur wenn man da einen Beratervertrag macht und dieser Beratervertrag kostet dann – man hat mir von England gesagt, von London – 14.500 Pfund. Und das ist natürlich viel zu viel für so eine kleine Gemeinde, das können wir uns nicht leisten.“
Um die umgerechnet etwa 17.000 Euro aufzutreiben, sucht die Gemeinde jetzt Sponsoren. Denn ein Eintrag im Guinnessbuch der Rekorde könnte den Turm weltweit bekannt machen und viele Touristen anlocken. Die Gau-Weinheimer aber sind auch ohne den Eintrag stolz auf ihr Wahrzeichen und feiern ihm zu Ehren morgen ein Turmfest.