Regierung und Opposition wollen Kriegsfolgen gemeinsam bewältigen

Über die Auswirkungen, die der Ukrainekrieg auf Hessen und Rheinland-Pfalz hat, haben wir in den vergangenen Monaten schon oft berichtet. Viele Unternehmen und Privathaushalte blicken mit Schrecken auf die Energiepreise. In Hessen hat sich die schwarz-grüne Landesregierung jetzt mit der SPD und der FDP aus der Opposition verbündet, um ein Unterstützungsprogramm auf den Weg zu bringen.

Es ist ein ungewöhnliches Bild. Fraktionen aus Regierung und Opposition sitzen an einem Tisch und stellen ein gemeinsam erarbeitetes Programm vor. Ein Unterstützungsprogramm, das die Hilfen des Bundes ergänzen soll. Es sieht unter anderem finanzielle Hilfen für Vereine und Unternehmen vor. Konkret stellt das Land insgesamt 30 Millionen Euro zur Verfügung, auf die kleinere Unternehmen in Form von sogenannten „Energie-Mikrodarlehen“ zugreifen können. Weitere 30 Millionen Euro sollen Vereine, Verbände, Initiativen und Projekte erhalten, die die steigenden Energiekosten nicht selbst tragen können. Außerdem werden zusätzlich mindestens 1,5 Millionen Euro an Tafeln und Verbraucherzentralen und bis zu 3 Millionen Euro für Kur– und Heilbäder zur Verfügung gestellt. Auch Privathaushalte will das Fraktionsbündnis unterstützen. Es plant zusätzlich zu den Hilfen des Bundes einen Härtefonds von bis zu 30 Millionen Euro ein, um die Energieversorgung für Privathaushalte zu gewährleisten. Außerdem soll es für Mieter von Wohnungsbaugesellschaften in öffentlicher Hand ein Kündigungsmoratorium geben. Damit soll verhindert werden, dass Mieter, die wegen der hohen Energiekosten ihre Miete nicht mehr bezahlen können, wohnungslos werden. Die Fraktionsvorsitzenden sehen in dem Hilfsprogramm einen großen Wurf.
Günter Rudolph SPD, Fraktionsvorsitzender Hessen
„Wir haben ja als SPD-Fraktion das Angebot gemacht, in Krisensituationen auch Antworten zu geben. Menschen haben Zukunftsängste, Abstiegsängste und ich finde, in der Krise zeigt sich der Charakter. Und deswegen müssen demokratische Fraktionen auch zusammenstehen und deswegen waren das konstruktive Gespräche zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger.“
Bereits Ende September hatten die Fraktionen das Hilfsprogramm auf einem Sozialgipfel angekündigt. Das ausgehandelte Konzept soll ein Zeichen an die Bürger sein.
Mathias Wagner, B’90 / Grüne, Fraktionsvorsitzender
„Wir setzen heute als vier Fraktionen das klare Signal: Wir wollen in dieser Krise unterstützen. Wir wollen den Menschen, die die Krise nicht alleine bewältigen können, mit Maßnahmen des Landes unter die Arme greifen. Diese Maßnahmen sollen passgenau das ergänzen, was die Bundesregierung schon an Unterstützungsmaßnahmen auf den Weg gebracht hat.“
Das Hilfsprogramm soll so schnell wie möglich umgesetzt werden. CDU, Grüne, SPD und FDP wollen bald Änderungsanträge zum kommenden Landeshaushalt einbringen.
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Eva Dieterle: Und nach der Pressekonferenz haben wir die Gelegenheit zu einem Interview mit Ines Claus, der Fraktionsvorsitzenden der CDU im hessischen Landtag. Frau Claus, guten Tag.
Ines Claus, CDU, Fraktionsvorsitzende Hessen: Hallo. Schönen guten Tag.
Dieterle: Ein Zusammenschluss der Fraktionen aus Regierung und Opposition ist eher unüblich. Wie kam es dazu, dass Sie gesagt haben: Hier machen wir gemeinsame Sache?
Claus: Es ist unüblich, aber wichtig an dieser Stelle. Die Menschen leben in einer Krisensituation und sie erwarten von der Politik, dass sie sich kümmert und Antworten gibt. Das haben wir getan und das haben wir in einer großen staatspolitischen Verantwortung heute getan. Und insoweit war es gut, dass alle vier demokratischen Fraktionen des hessischen Landtags heute hier vertreten waren und vor allen Dingen vorher auch wichtige Gespräche miteinander geführt haben, um zu diesem Maßnahmenpaket zu kommen.
Dieterle: Jetzt soll das ja eine Ergänzung sein zu dem, was die Bundesregierung bereits tut, um die Kriegsfolgen hier bei uns in Deutschland abzufangen. Wo muss denn von Bundesseite noch nachgebessert werden? Was erwarten Sie?
Claus: Wichtig ist, dass zunächst eine hessische Antwort gegeben wird bei den Punkten, die wir auch für wichtig erachten, und das natürlich in dem Gesamtzusammenhang, dass der Bund Entlastungspakete geschnürt hat, wo die Länder auch zugestimmt haben, und wir jetzt sagen: Es gibt Menschen zum Beispiel, die sind weiterhin von Energiesperren bedroht, dass man diesen die Möglichkeit gibt, über einen Härtefonds eben auch abzufedern. Es ist wichtig, gerade bei den Vereinen, weil die im Bereich des Bundespakets die Sportvereine nicht in dieser Deutlichkeit vorgesehen waren und unser Ministerpräsident das damals schon in einer Protokollnotiz auch angemerkt hat, dass wir gemeinsam hier in Hessen in diese Verantwortung gehen und für 30 Millionen € auch diese Vereinshilfen zur Verfügung stellen. Und vor allen Dingen auch, dass wir neben den Energiepreisbremsen auch ein Programm haben, wo wir sagen, wir wollen Unterstützung leisten auch bei den KMUs, bei den Bäckern zum Beispiel, bei den kleinen Bäckern, die in Sorge sind, dass sie die Liquidität für diesen Winter nicht haben. Und da knüpfen wir da an, wo wir auch bei Corona leider – die Corona-Krise hatten wir auch schon – ein Programm hatten, was sehr gut funktioniert hat und das legen wir jetzt wieder auf als Mikro-Darlehen Energie.
Dieterle: Man hört oft, es ginge um die „aktuelle Krise“. Das klingt so zeitlich begrenzt. Ist die Wahrheit nach Corona und jetzt mit dem Krieg nicht, dass wir gar nicht wissen, wie lange wir in diesem Krisenmodus noch sein werden? Dass das Jahre dauern kann?
Claus: Leider ist es so, dass wir uns jetzt schon seit zwei, drei Jahren in einer Krise befinden und dass eine Krise von der nächsten gejagt wird. Die Friedens- und Sicherheitsarchitektur in Europa ist auch zerstört, insoweit sieht es danach aus, dass es keine kurzfristigen Lösungen leider gibt. Insoweit müssen wir auch staatspolitisch weiterhin agieren und Verantwortung übernehmen. Und insoweit liegt unsere Aufgabe und unser Augenmerk auch darauf zu sagen: Wir sind im Krisenmodus. Aber wir müssen auch die Zuversicht ausstrahlen, dass wir an den Entwicklungen mitwirken können. Und das ist, wie ich finde, auch eine ganz, ganz wesentliche Nachricht von uns.
Dieterle: Eine Kriegsfolge ist auch, dass viele Geflüchteten aus der Ukraine zu uns kommen. Sie müssen nicht nur kurzfristig untergebracht und versorgt, sondern langfristig ja auch integriert werden. Wie will Hessen das stemmen?
Claus: Wir haben frühzeitig als eines der ersten Bundesländer den “Aktionsplan Ukraine” auch aufgelegt, um auch da unserer Verantwortung gerecht zu werden. Und ich finde, da findet sehr, sehr viel statt. Wir haben ganz viele Kinder in die Schulen gebracht, die dort unterrichtet werden, aber das eben nicht nur als Land, sondern mit einer großartigen Unterstützung der Menschen in Hessen und auch natürlich der Kommunen. Und insoweit gilt da auch ein herzliches Dankeschön hin zu sagen. Insoweit – ganz klar ist, diese Folgen sind entstanden durch den schlimmen Angriffskrieg Putins auf die Ukraine. Und insoweit ist es auch wichtig, das immer in den Gesamtzusammenhang zu setzen und auch hier die Verantwortung wahrzunehmen.
Dieterle: Das ist ein Kraftakt, der in Hessen – wie man heute gesehen hat – gemeinsam angegangen werden soll. Frau Claus, vielen Dank für das Interview.
Claus: Vielen herzlichen Dank. Schönen Abend!