Reaktionen auf Asyl-Pläne der Union

Selten war die Anspannung vor einer Bundestagswahl im Land so stark zu spüren, wie in diesen Tagen. Vier Wochen sind es noch – und die dürften turbulent werden. Hohe Wellen schlägt der Verstoß von Union-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, der nach dem tödlichen Angriff in Aschaffenburg eine Verschärfung der Migrations-Politik fordert – und zwar sofort. Wir werden uns das gleich im Detail ansehen, doch zuerst blicken wir noch mal wenige Kilometer hinter die hessische Landesgrenze – nach Unterfranken.

Aschaffenburg am 22. Januar. Ein 28-jähriger ausreisepflichtiger Afghane ersticht einen zweijährigen Jungen und einen Mann, der dem Kind zu Hilfe geeilt war.
Als Reaktion auf diese Tat will Friedrich Merz jetzt die Asylwende erzwingen. Er kündigt an, im Falle seines Wahlsieges werde er von der Richtlinienkompetenz als Bundeskanzler Gebrauch machen und das Innenministerium anweisen, die deutschen Grenzen dauerhaft zu kontrollieren und alle Menschen, die illegal einreisen, zurückzuweisen.
OTON Friedrich Merz (CDU), Bundesvorsitzender am 23.1.2025
Das Maß ist endgültig voll. (…) Es wird ein faktisches Einreiseverbot geben in die Bundesrepublik Deutschland für alle geben, die nicht über gültige Einreisedokumente verfügen oder die von der europäischen Freizügigkeit Gebrauch machen. Das gilt ausdrücklich auch für Personen mit Schutzanspruch.“
Also faktisch ein Migrations-Stopp an allen deutschen Grenzen. Das sei nach EU-Recht möglich, sagt Merz, weil Deutschland sich in einer Notlage befinde. Das heißt die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit“ seien in Gefahr.
Diese Argumentation ist rechtlich umstritten, aber Friedrich Merz erhält Unterstützung von namenhaften Juristen wie dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts.
TEXTTAFEL Papier:
Ein souveräner Staat kann nicht gezwungen werden, jeder Person aus der Welt, die an der Grenze angibt, Asyl zu wollen, die Einreise zu gewähren. Der Kernbereich der staatlichen Souveränität Deutschlands ist unantastbar und unverzichtbar. Er steht über europäischem Recht.“
Die Union fordert strikte Zurückweisungen an den Grenzen, aber auch unmittelbare Haft für ausreisepflichtige Personen sowie ein verschärftes Aufenthaltsrecht für Straftäter und Gefährder.
Noch in dieser Woche will sie im Bundestag entsprechende Anträge zur Abstimmung stellen. Und zur Not auch mit den Stimmen der AfD durchsetzen.
TEXTTAFEL Merz:
Ich gucke nicht rechts und nicht links – ich gucke in diesen Fragen nur geradeaus.“
Unterstützung für den Kurs des Kanzlerkandidaten gibt es auch bei den Christdemokraten in Hessen und Rheinland-Pfalz.
OTON Gordon Schnieder (CDU), Landesvorsitzender Rheinland-Pfalz
Ich bin überzeugt, dass das richtig ist. Wenn wir uns davon abhängig machen, wer alles mitstimmt, dann lähmen wir demokratische Prozesse. Wir sind die größte Oppositionsfraktion. (…) Die Menschen erwarten zu Recht, dass jetzt was geschieht, wir machen mit dem Antrag in dieser Woche dann entsprechend auch den Aufschlag dazu.“
Auch in der digitalen Konferenz der Innenminister heute Nachmittag konnten sich die Parteien nicht auf einen gemeinsamen Kurs in Sachen Migration einigen. Der Knackpunkt auch hier: die Zurückweisung an den Grenzen.
OTON Roman Poseck (CDU), Innenminister Hessen
Grenzkontrollen ohne Zurückweisung sind unvollständig. Zurückweisungen sind aus unserer Sicht auch rechtlich zulässig in der gegenwärtigen Lage und das haben wir sehr, sehr deutlich auch wieder in dieser Besprechung gemacht. Aber die SPD-Kolleginnen und Kollegen, einschließlich der Bundesinnenministerin, die wollen diesen Weg nicht mitgehen. Und dann gibt es eben im Moment bei diesem Thema auch keine Gemeinsamkeit, sondern dann prallen auch unterschiedliche Auffassungen aufeinander.“
Die Union setzt aber weiter darauf, dass auch SPD und Grüne ihrem Antrag zustimmen, sie so NICHT auf die Stimmen der AfD angewiesen ist. In dem Antrag der Union findet sich auch ein Passus, der die AfD klar angreift. Die Partei nutze Ängste, „um Fremdenfeindlichkeit zu schüren und Verschwörungstheorien in Umlauf zu bringen“. Und wörtlich: „Deshalb ist diese Partei kein Partner, sondern unser politischer Gegner.“
Fest steht: INHALTLICH teilt die AfD die Vorschläge der Union, aber wird sie dem Antrag trotz der darin geäußerten Kritik an ihrer Partei auch zustimmen?
Darüber werde noch entschieden, sagt Jan Bollinger, der rheinland-pfälzische AfD-Landesvorsitzende.
OTON Jan Bollinger (AfD), Landesvorsitzender Rheinland-Pfalz
Es ist bezeichnend, dass die CDU in diesen schweren Zeiten an undemokratischen Brandmauern festhält, dass die ihr offensichtlich wichtiger sind als das Leben unserer Kinder. Wir fordern die CDU auf die parteipolitischen Spielereien zu beenden. Und über diesen konkreten Antrag berät unsere Bundestagsfraktion derzeit.“
Neben der AfD haben auch BSW und FDP bereits Zustimmung zu den Vorschlägen der Union signalisiert. Gemeinsam hätten sie dann eine Mehrheit im Bundestag. Aber wird die FDP auch zustimmen, wenn fest steht, dass SPD und Grüne nicht zustimmen? Wenn der Antrag also auf die Stimmen der AfD angewiesen ist?
OTON Stefan Naas (FDP), Fraktionsvorsitzender Landtag Hessen
Es geht jetzt hier um einen CCDU-Antrag und nicht um einen AfD-Antrag. Es gibt eine klare Mehrheit in der Bevölkerung, die eine Migrationswende wollen und das wollen wir auch und deswegen werden wir dem Antrag zustimmen.“
Heute Mittag geht Friedrich Merz dann noch einen Schritt weiter. Er kündigt an, dass er auch die Asylgesetze ändern will. Auch darüber solle der Bundestag noch in dieser Woche abstimmen.

Es geht also auch um den Umgang mit der AfD. Über den wird gerade im Land heftig gestritten. SPD und Grüne werfen der Union vor, mit diesem Vorstoß die Brandmauer zur AfD fallen zu lassen.

Der Kanzler auf Wahlkampf in Kaiserslautern. Das beherrschende Thema auch hier; die Messerattacke in Aschaffenburg und die Forderungen von CDU-Chef Friedrich Merz nach einer schärferen Migrationspolitik.
Olaf Scholz zeigt sich empört. Der Oppositionsführer stelle das Grundrecht auf Asyl infrage.
Sowas darf man gar nicht vorschlagen, wenn man in diesem Land eine Führungsverantwortung haben will.“
Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler: „Es ist aus meiner Sicht völlig klar, dass der Oppositionsführer seinen Kurs verloren hat. Er hat in den letzten Jahren immer sehr klar gesagt, keine Zusammenarbeit mit der AfD. Das, was wir jetzt gehört haben, passt nicht dazu. Und deshalb hab ich viele Fragen und ich kann die Frage; bin ich sicher, dass es keine Kooperation zwischen CDU/CSU und AfD geben wird, nicht mehr beantworten.“
Die Sorgenfalten graben sich auch beim rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten in die Stirn. Zum einen die Sorge, um die bröckelnde Brandmauer zur AfD – zum anderen aber auch um die Verfassungsmäßigkeit von Merz Plänen.
Alexander Schweitzer (SPD), Ministerpräsident Rheinland-Pfalz: „Und wer jetzt weil es ihn persönlich so stark berührt – wie es uns allen geht – Vorschläge macht, von denen er eigentlich nicht sicher sein kann, dass die mit der deutschen Verfassung vereinbar sind. Der muss wissen, das kann am Ende dazu führen, dass die Frustration bei denen, die damit vielleicht Erwartungen in sich geweckt sehen, am Ende größer ist als sie vorher war.“
Auch viele Rechtswissenschaftler sind der Auffassung, dass Merz Vorstoß nur schwer umsetzbar sei. Europäisches und internationales Recht würden sich überlagern, selbst wenn Deutschland eine Notlage ausrufen würde.
Prof. Birgit Peters, Rechtswissenschaftlerin Universität Trier: „Es müssen eben nach wie vor immer noch die Garantien der Genfer Flüchtlingskonvention sichergestellt sein. Also, dass eben keiner in ein Land zurückgewiesen wird, wo ihm erneute Verfolgung droht oder eine Lebensgefahr oder andere gefährliche Zustände. Das muss sichergestellt sein. Das gilt zum Beispiel auch nach der Rechtsprechung des europäischen Menschenrechtsgerichtshofes bei sogenannten Kettenabschiebungen. Und es muss immer sichergestellt sein, dass derjenige auch die Möglichkeit hat die Entscheidung zu überprüfen gerichtlich. Und jede dieser einzelnen Voraussetzungen muss auch bei einer Zurückweisung an der deutschen Grenze eingehalten werden. Das heißt es müsste zumindest irgendein Minimalverfahren erfolgen. Man kann die Leute nicht einfach so zurückstoßen.“
Abgesehen von den rechtlichen Bedenken – eine Zusammenarbeit mit der AfD wäre in den Augen der Grünen ein Dammbruch. Als Konsequenz aus dem Anschlag brauche es eine Kooperation der demokratischen Parteien.
Mathias Wagner (B90/Grüne), Fraktionsvorsitzender Landtag Hessen: „Wir brauchen auf jeden Fall eine bessere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in der Bundesrepublik. Wir brauchen bessere Datenbasis, dass wir die Daten, die da sind auch zusammenführen, dass wir solche Täter früher identifizieren können. All diese Vorschläge liegen auf dem Tisch. Sie liegen teilweise im Bundesrat und werden dort von der CDU blockiert.“
Es wird eine spannende Woche im politischen Berlin. Eine Woche die richtungsweisend werden könnte – in der Asylpolitik und im parlamentarischen Miteinander.