Studiogespräch mit der Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei in Rheinland-Pfalz über Angriffe auf Einsatzkräfte

Die Silvesternacht hat es nochmal deutlich gemacht. Einsatzkräfte stehen bei Großeinsätzen enorm unter Druck und sind teilweise auch Gewalt ausgesetzt. Beschimpfungen, Behinderungen oder körperliche Angriffe gehören schon fast Alltag bei Rettungskräften. Welche Konsequenzen daraus gezogen werden sollten, bespricht Eva Dieterle mit der rheinland-pfälzischen Landeschefin der Gewerkschaft der Polizei, Sabrina Kunz.

Die Silvesternacht 2022. Während die meisten Menschen friedlich Feuerwerk zünden, müssen Einsatzkräfte in Frankfurt 100 Mal ausrücken. Neben brennenden Discountern, Autos und Müllcontainern treffen manche Einsatzkräfte auch auf Gewalt. In Frankfurt sollen Einsatzkräfte gezielt mit Feuerwerkskörpern angegriffen worden sein, Ebenso in Offenbach, wie dieses Handyvideo zeigen soll. Doch auch die Polizei in Rheinland-Pfalz berichtet von Angriffen auf Beamte am letzten Sonntag.
Doch nicht nur an Silvester werden Einsatzkräfte zur Zielscheibe. In den letzten Jahren sind in Rheinland-Pfalz die Angriffe gegen Polizei, Feuerwehr und Sanitäter häufiger geworden. Diese können eigentlich mit Haftstrafen von bis zu fünf Jahren geahndet werden. Urteile in diesem Bereich gibt es jedoch selten. In dem Zusammenhang fordern einige Politiker aktuell höhere Strafen zur Abschreckung.
Aber ist die Polizei diesen Herausforderungen personell und technisch gewachsen?
Mit fast 10.000 Beamten verfügt die Polizei Rheinland-Pfalz aktuell über so viel Einsatzstärke wie nie zuvor. Zudem sind die Polizisten mit Bodycams und Tasern vergleichsweise gut ausgerüstet. Gleichzeitig bekommt die Polizei aber immer mehr Aufgaben oder sie werden schwieriger. So wie in der Silvesternacht 2022.
————-
Eva Dieterle, Moderatorin: Ja, über die Ausschreitungen und die Konsequenzen aus dieser Silvesternacht spreche ich jetzt mit der Landeschefin der Gewerkschaft der Polizei Rheinland-Pfalz, Sabrina Kunz. Guten Abend.
Sabrina Kunz, Vorsitzende Gewerkschaft der Polizei Rheinland-Pfalz: Guten Abend.
Dieterle: Frau Kunz, wie war denn die Silvesternacht oder wie waren die Geschehnisse rund um Silvester in Rheinland Pfalz?
Kunz: Also insgesamt kann man sagen, dass die vergangene Silvesternacht im Vergleich zu den letzten Jahren, die ja durch Corona auch eher ruhig über die Bühne gegangen sind, insgesamt auch überschaubar war. Gleichwohl wir auch in Rheinland Pfalz feststellen mussten, dass das Aggressionspotenzial und auch die Gewalt gegenüber den eingesetzten Kräften, insbesondere auch nicht nur der Polizei, sondern auch der Feuerwehr und anderer Rettungskräfte, deutlich zugenommen hat. In Betzdorf ist es beispielsweise dazu gekommen, dass man mit Pyrotechnik die Polizeidienststelle beschossen hat und im Bereich Koblenz-Neuendorf sind unsere Kolleginnen und Kollegen und auch die Feuerwehr in Teilen gezielt auch unter Vorhaltung dorthin gelockt und angegriffen worden.
Dieterle: Welche Konsequenzen muss man Ihrer Meinung nach daraus ziehen? Was fordern Sie?
Kunz: Also zunächst einmal muss man festhalten, dass wir als Polizistinnen und Polizisten einen starken Rechtsstaat und einen starken Staat wollen. Sonst hätten wir uns alle natürlich auch nicht für den Polizeiberuf gemeldet. Und das bedeutet auf der anderen Seite, dass wir auch einen Staat brauchen, der sich durchzusetzen weiß. Insofern ist es jetzt als Gewerkschaft der Polizei unsere Forderung, dass es zunächst mal einen Expertenrat gibt, der sich aus unterschiedlichen Disziplinen zusammensetzt und mal insgesamt schaut, wie ist denn der Zustand unserer Gesellschaft? Wie kann es denn sein, dass es Personengruppen gibt, dass es Menschen gibt, die den Staat, den liberalen Staat, in dem wir leben, in Gänze ablehnen? Und dass auch dadurch dokumentieren, dass sie gezielt und mit viel Gewalt und hohem Aggressionspotenzial den Staat auch angreifen.
Dieterle: Immer wieder ist ja die Rede jetzt in den letzten Tagen davon, dass es auch vermehrt Täter mit Migrationshintergrund gegeben haben soll. Deckt sich das in irgendeiner Weise auch mit den Schilderungen, die Sie von Ihren Kollegen gehört haben? Was wissen Sie denn konkret über diese Täter?
Kunz: Also ganz konkret wissen wir im Moment noch nicht so viel, weil aktuell ja auch noch ermittelt wird. Die Polizei Koblenz, die Kollegen haben ja auch gestern in der Öffentlichkeit noch mal aufgerufen, dass Menschen, die Bild- und Videomaterial haben, das auch zur Verfügung stellen, damit das zeitnah ausgewertet und die Täter dann auch identifiziert und bestraft werden können. Uns ist es wichtig, dass am Ende offen über die Frage diskutiert wird: Was sind das für Menschen, die dort den Staat in dieser Offenheit auch angreifen? Und wenn die subjektive Wahrnehmung von Polizistinnen und Polizisten ist, dass es auch Menschen mit Migrationshintergrund sind, die sie dort als Täter festgestellt und identifiziert haben, dann ist das eine Wahrnehmung, über die man differenziert und intensiviert debattieren muss, weil wir seit vielen Jahren feststellen, dass das Gewaltpotenzial gegen uns als Vertreter des Staates deutlich zugenommen hat. Und wenn es am Ende eben auch feststellbar ist, dass es bestimmte Personengruppen gibt, die den liberalen Staat halt so auch ablehnen, dann möchten wir, dass Politik, die Öffentlichkeit sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzt, ohne sich selbst direkt in den Vorwurf zu bringen, man sei rassistisch oder man würde sich nicht an Political Correctness oder andere Dinge halten.
Dieterle: Was fordern Sie denn als Konsequenz? Fordern Sie auch härtere Strafen?
Kunz: Also in jedem Fall für all diejenigen, die als Täter identifiziert werden, fordern wir, dass der Rechtsstaat sich insofern durchsetzt, dass auch das Maß an Strafmöglichkeiten, das der Justiz gegeben wird, auch ausgenutzt und ausgeschöpft wird. Das haben wir zuletzt ja auch bei dem Täter in Kusel gesehen, dass die Justiz dazu auch durchaus in der Lage ist. Wir wünschen uns aber auch, dass die Politik in der Lage ist, die Justiz auch so auszustatten, dass sie in der Lage ist, vernünftige juristische Entscheidungen zu treffen. Und dazu gehört natürlich auch eine personelle solide Ausstattung in der Justiz, aber natürlich auch alle anderen, die an der Ermittlung und an der Überführung von Tätern beteiligt sind.
Dieterle: Das ist auch das nächste Stichwort. Wie gut ist denn die rheinland-pfälzische Polizei auf solche Großlagen vorbereitet, wenn es ums Personal geht?
Kunz: Also zunächst einmal muss man sagen, dass wir tatsächlich den größten Personalkörper, in Köpfen gerechnet, haben, den die rheinland-pfälzische Polizei jemals gehabt hat. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir in einer ganz anderen Zeit leben, als man das in den letzten Jahrzehnten möglicherweise gesehen hat. Und wir haben mittlerweile erfreulicherweise einen sehr hohen Frauenanteil in der Polizei und haben dadurch aber auch natürlich eine zunehmende Anteil an Menschen, an Kolleginnen, die Elternzeit und Mutterschutz in Anspruch nehmen, auch Kollegen, die Elternzeit und Teilzeitbeschäftigung in Anspruch nehmen, und wir erhoffen uns, dass die hohen Einstellungszahlen beibehalten werden, weil wir solche Lagen wie die in der vergangenen Silvesternacht auf Dauer mit dem Personalkörper so nicht durchhalten können.
Dieterle: Immer wieder ist ja auch die Ausrüstung Thema. Was fehlt denn den Polizisten in Rheinland-Pfalz ganz konkret für solche Einsätze? Was würde denn helfen?
Kunz: Also wir sind es ja gewöhnt bei sogenannten “geschlossenen Einsatzanlässen” wie beispielsweise Fußballspielen oder größeren Veranstaltungen, dass wir da auch in größeren Einheiten auftreten, in der Regel dann auch unter Beteiligung der Bereitschaftspolizei, und nach unserer gewerkschaftlichen Einschätzung ist die beste Waffe, die die Polizei neben der verbalen Kommunikation, die aber in solchen Lagen dann irgendwann auch nicht mehr funktioniert, das, was wir an Personal auf die Straße bringen, also das, was an polizeilicher Präsenz auch spürbar und bemerkbar ist, auch für das Täterklientel, dem wir gegenüberstehen. Das ist mal das eine. Wir verknüpfen das mit der Forderung, den Personalkörper in den operativen Kräften höchstmöglich zu erhalten. Was die persönliche Schutzausstattung betrifft, muss man sagen oder kann man sagen, dass wir in Rheinland-Pfalz relativ gut ausgestattet sind. Wir haben das Distanz-Elektroimpuls-Gerät, auch bekannt unter dem umgangssprachlichen Begriff des Tasers. Wir haben die flächendeckende Bodycam eingeführt, die technisch in Teilen ein bisschen in die Jahre gekommen ist, aber jetzt auch erneuert werden soll. Da wünschen wir uns, dass das beschleunigt betrieben wird. Aber wir wollen, dass sich dieser Expertenrat, der sich ja für Demokratie und Rechtsstaat auch einsetzen soll, auch mit der Frage auseinandersetzt: Was braucht Polizei alternativ ansonsten noch, um solchen Lagen gewachsen zu sein?
Dieterle: Das sagt die Landeschefin der Gewerkschaft der Polizei in Rheinland-Pfalz. Frau Kunz, vielen Dank für das Interview.
Kunz: Sehr gerne.