Ortenberg/Bergheim – eine Gemeinde produziert ihr eigene Energie

Werden wir im Winter in unseren Wohnungen frieren, weil Russlands Präsident Vladimir Putin uns den Gashahn zudreht? Fest steht, dass unsere derzeitigen Vorräte nicht reichen, um unseren Gas-Bedarf für einen langen, harten Winter zu decken. Dabei ist Erdgas ist nicht nur knapp, sondern auch teuer wie nie zuvor: Bis zur nächsten Nebenkostenabrechnung könnte sich der Preis fast vervierfachen. Gute Gründe also, sich große Sorgen zu machen. Doch es gibt auch Ausnahmen: So blicken etwa die Menschen im Dörfchen Bergheim in der hessischen Wetterau dem Winter recht gelassen entgegen. Denn dort hat man sich schon vor vielen Jahren von Gas und Heizöl unabhängig gemacht.

Das Kraftwerk der Energiegenossenschaft Bergheim am Ortsrand der 650-Seelen-Gemeinde: In diesem großen Ofen werden Holzschnitzel verbrannt. Hergestellt aus besonders günstigem Holz aus heimischen Wäldern. Die dabei erzeugte Wärme reicht aus, um fast den gesamten Ort zu heizen und mit warmem Wasser zu versorgen. Im Moment steht der Ofen aber still – dank dieser Solarthermie-Anlage. Hier wird Wasser durch enge, dunkle Rohre geleitet und von der Sonne auf etwa 90 Grad erhitzt.
Hartmut Langlitz, Energiegenossenschaft Bergheim: „Mit dieser Anlage machen wir im Sommer quasi den ganzen Ort warm. Warmwasser und Heizung wird nicht viel gebraucht im Sommer. Aber diese Anlage schafft das ganz alleine, weil wir ungefähr ne Leistung von einem Megawatt haben, also 1000 Kilowattstunden. Nur alleine durch die Sonne.“
Auch der Strom für das Kraftwerk, etwa für die Pumpen, wird mit der Kraft der Sonne erzeugt – mit dieser Photovoltaik-Anlage, die zusätzlich durch ein Notstromaggregat abgesichert ist. Dass die rund 160 angeschlossenen Haushalte auch mitten in der Nacht nicht auf eine heiße Dusche verzichten müssen, ist nicht zuletzt auch zwei riesigen Tanks zu verdanken, in denen das erhitze Wasser zwischengespeichert wird.
Hartmut Langlitz, Energiegenossenschaft Bergheim: „Das Netz ist in den letzten zehn Jahren nicht ein einziges Mal kalt geworden. Es konnte jeder immer warm duschen. Und sich auch auf die Heizung und unser Netz verlassen.“
Das kann auch Gerhard Frank bestätigen: Der 82jährige ist nicht von den stabilen Preisen, sondern auch von der Zuverlässigkeit der dorfeigenen Wärmeversorgung begeistert. Und – er nennt noch weitere Vorteile.
Gerhard Frank, Mitglied Energiegenossenschaft: „Ich habe keine Wartung mehr. Was hier passiert, ist Energiedorf-Sache. Und habe keinen Kaminfeger mehr. Brauche ich auch nicht mehr. Und habe zwei Räume gewonnen.“
Sowohl die sperrige Heizungsanlage als auch die großen Öltanks sind aus seinem Keller verschwunden. Heißt: Mehr Platz für andere Dinge. Auch wenn der Strom in Bergheim immer noch von außerhalb kommt, ist das eigene Nahversorgungsnetz ein großer Vorteil für die Menschen im Dorf. Denn Heizung und Warmwasser machen rund 85 % des Gesamtenergieverbrauchs privater Haushalte aus. Und beides gibt es in Bergheim so günstig wie sonst wohl nirgends. Gesamtkosten für die Anlage und die Verlegung der Rohre im Dorf: Rund 4,4 Millionen Euro. Gut investiertes Geld, wie Hartmut Langlitz findet.
O-Ton Hartmut Langlitz, Energiegenossenschaft Bergheim: „Das hat sich gelohnt. Und das wird sich weiter erst recht lohnen, wenn irgendwann hier auch die Anlage mal abbezahlt ist. Dann werden wir eher drüber nachdenken, den Preis zu senken, als ihn erhöhen zu müssen.“
In Zeiten der Energiekrise klingt das fast zu schön, um wahr zu sein. Kein Wunder also, dass sich inzwischen auch viele andere Städte und Gemeinden in Hessen für das Bergheimer Modell interessieren. Eins zu eins auf jeden beliebigen Ort übertragbar ist das aber nicht. Kompliziert wird es etwa, wenn auch energieintensive Unternehmen ans Netz angeschlossen werden sollen. Gerade für kleinere Dörfer könnte ein eigenes Nahwärmenetz aber durchaus das Modell der Zukunft sein. Mit stabilen Energiepreisen – und unabhängig vom schwierigen Gas- und Ölmarkt.