NSU 2.0 – Angeklagter beschuldigt die Polizei

Weiter geht es mit dem Prozess in Frankfurt um die Drohschreiben des sogenannten „NSU 2.0“. Gestern schon hat der Angeklagte angekündigt, dass er hochmotiviert sei, auszusagen. Heute nun hat er das Wort ergriffen und alle Schuld von sich gewiesen. Nicht er, sondern die Mitglieder einer Chatgruppe im Darknet – im verborgenen Teil des Internets – seien die wahren Täter. Darunter seien auch viele hessische Polizisten.

Der zweite Prozesstag beginnt heute mit einer Entschuldigung des Angeklagten: Es tue ihm leid, den Kameraleuten gestern beide Mittelfinger entgegengestreckt zu haben – er sei nur verärgert gewesen, weil die Presse so viele Unwahrheiten über ihn berichtet hätte. Danach schildert Alexander M. rund eine Stunde lang seine Sicht der Dinge: Kein einziges der NSU 2.0-Drohschreiben stamme von ihm, er kenne viele der bedrohten Personen noch nicht einmal, und rechtsradikal sei er schon gar nicht. Stattdessen habe er sich in einem politischen Forum im Darknet schützend vor die Juden gestellt. Darüber seien ebenfalls am Chat beteiligte Polizisten aus Hessen wohl derart verärgert gewesen, dass sie die von ihnen verfassten Drohmails nun ihm in die Schuhe schieben wollten. Er habe auch niemals, wie behauptet, als falscher Beamter bei der Polizei angerufen, um an nicht-öffentliche Daten der späteren Opfer zu gelangen.
Antonia von der Behrens, Nebenklage
„Wir haben grundsätzlich überhaupt keine Zweifel an seiner Täterschaft. Aber es gibt ein ganz großes Problem: Es ist nicht aufgeklärt, wo am 2.8. die Daten herkommen, die von Frau Basay-Yildiz abgerufen wurden. Die Staatsanwaltschaft stellt sich hin und tut so, als ob das aufgeklärt sei, beziehungsweise egal ist. Und das ist es nicht. Diese Lücke nutzt der Angeklagte jetzt aus, um zu behaupten, in irgendwelchen komischen Foren hätte er irgendwelche Polizeibeamte getroffen, und die hätten all das gemacht.“
Der Angeklagte bleibt heute dabei: Er diene den wahren Tätern nur als nützlicher Idiot. Und: Er könne auch Namen nennen, wenn er dafür in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen würde. Dann wird es im Gerichtsaal laut: Als die Nebenklage Alexander M. auf vermeintliche Widersprüche in seiner Aussage hinweist, fällt der 54-jährige Berliner den Anwältinnen trotz mehrfacher Ermahnung durch das Gericht immer wieder ins Wort. Er wirkt dabei aggressiv und fahrig.
Kristin Pietrzyk, Nebenklage
„Ich finde, dass das Verhalten des Angeklagten eigentlich genau dieses Weltbild, was wir in der Anklageschrift in den Schreiben gehört haben. Der Angriff auf Frauen, die sprechfähig sind, die laut sind, die etwas zu sagen haben in ihrem Fachgebiet, das stößt ihm auf. Da geht er sofort rein. Da hat er überhaupt gar keinen Respekt.“
Die Verteidiger von Alexander M. sehen das anders: Obwohl für ihren Mandanten wie für alle Angeklagten zunächst die Unschuldsvermutung gelte, sei er bereits vielfach vorverurteilt. Und auch die fast einjährige Untersuchungshaft habe ihre Spuren hinterlassen.
Ulrich Baumann, Verteidiger
„Hier wird dann versucht, das auf irgendeine sexistische Ebene dann herabzuspielen. Was uns, – möchte ich fast sagen – peinlich ist, was heute hier abgelaufen ist.“
Am Montag soll der Prozess gegen Alexander M. fortgesetzt werden. Dann soll unter anderem die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz, die immer wieder Drohschreiben erhalten hatte, als Zeugin aussagen.