Meinungsfreiheit in Krisenzeiten – Interview mit LPR-Direktor Joachim Becker

Die Welt von gestern – sie scheint nicht mehr zu existieren: Wohin man blickt, welche Nachrichten man schaut: Überall herrscht Krisenstimmung. Was macht das mit uns – und wie müssen freie Gesellschaften darauf reagieren? Darüber spreche ich gleich mit Joachim Becker, dem Direktor der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien. Doch wir starten mit einem Blick auf die Lage.

Massive Krisen reißen Deutschland spätestens seit 2015 mit dem Aufkommen der gewaltigen Flüchtlingsbewegung aus seinem Dornröschenschlaf.  2020 startete das Coronavirus seinen Lauf um die Welt – die Pandemie stellte das gewohnte Leben von uns allen auf den Kopf. Die Maske war das sichtbare Zeichen dieser Virusherrschaft – doch viel massiver wirkten die gewaltigen Lockdowns mit Schulschließungen und scharfen Ausgangssperren. Corona legt wie stets im Frühling eine kleine Pause ein – doch zum Atemholen kommen die westlichen Gesellschaften nicht: Am 24. Februar startet Putins Russland die Invasion in die Ukraine – mit unbeschreiblichem Terror und lange nicht mehr gekannter Gewalt. Ob sie das Zeug zum dritten Weltkrieg hat – wer weiß. Und der gefürchtete Klimawandel ist medial wie tatsächlich weiterhin präsent und bedroht alte Modelle, wie wir leben und wirtschaften. Fest steht: Die geballte Ansammlung von Krisen kann unübersehbare Folgen haben. In ihrem Gefolge drohen Demokratien instabil zu werden. Denn: Krisen bringen verengte Weltbilder hervor. Meinungen werden radikaler und lassen Gegenmeinungen nicht mehr zu. Hier kommen vor allem auf die Medien wichtige Aufgaben zu, wie ein Forum der LPR unlängst in Frankfurt konstatierte.
Prof. Viktor Mayer-Schönberger, Internet Governance and Regulation, University of Oxford: „Als Journalist oder als Journalistin kann ich den anderen die Bühne geben für ihre Meinungen. Für ihre Informationen. Aber das erlaubt mir auch, danach zu sagen, was ich davon halte.“
Auch Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann, CDU,  ist es sehr wichtig, dass die Presse vor allem in der Krise ihren Aufgaben ohne Behinderung und Einschränkungen nachgehen kann:
Eva Kühne-Hörmann, CDU, Justizministerin Hessen: „Die Initiativen, die wir jetzt starten, gehen über den Bundesrat. Zu versuchen, eben die Phänomene, die in der Praxis auftreten, nicht mehr straffrei zu lassen, sondern Straftatbestände zu bekommen, die das eben unter Strafe stellen, damit Journalisten dann auch ihrer Arbeit nachgehen können. Im Sinne der Berichterstattung, der Meinungsäußerung und der Demokratie.“
Wie können freie Gesellschaften widerstandsfähig werden, um diese Krisen zu meistern?  Resilienz heißt das Zauberwort. Zu Deutsch: Eine Demokratie muss widerstandsfähig sein oder werden – gerade in Krisenzeiten.
Das Interview mit Joachim Becker, Direktor Medienanstalt Hessen:
Eva Dieterle, Moderatorin: „Jetzt begrüße ich den Direktor der Medienanstalt Hessen bei mir, Joachim Becker. Herzlich willkommen.“
Joachim Becker, Direktor Medienanstalt Hessen. „Einen wunderschönen guten Tag.“
Eva Dieterle: „Herr Becker, Gesellschaften müssen widerstandsfähig sein, um in Krisen bestehen zu können. Welche wichtige Aufgabe kommt denn da den Medien zu?
Joachim Becker: „Also den Medien kommt exakt die Aufgabe zu, die sie immer wahrgenommen hat. Und das sind in erster Linie saubere Recherche. Sachverhalte entsprechend ermitteln, dann einordnen, diese Sachverhalte bewerten, gegebenenfalls auch und natürlich Hintergründe erläutern, für die Menschen. Und wenn das gemacht wird, dann ist schon mal eine ganz, ganz wesentliche Aufgabe der Medien erfüllt.“
Eva Dieterle: „Wir haben es erlebt. Es gibt doch viele Menschen, die sich vom klassischen Journalismus abwenden, die nur noch Plattformen aufsuchen die ihre eigene Meinung verstärken. Dann entsteht so eine Meinungsblase. Haben denn die klassischen Medien dieses Rennen in den Krisen schon verloren?“
Joachim Becker: „Ich bin der Meinung, das Rennen beginnt eigentlich jetzt erst und zwar unter etwas anderen Vorzeichen. Bislang war man es ja immer gewohnt, insbesondere in den klassischen journalistischen Medien, so ein gewisses Links Rechts Denken etwa. Mittlerweile haben wir aber andere Protagonisten mit auf dem Feld. Wir haben sehr, sehr viele semiprofessionelle Journalisten, teilweise Laien-Journalisten. Und für alle gilt Sie müssen sich an gewisse Spielregeln halten. Das gilt auch für die Semiprofessionellen oder für die Laien-Journalisten. Dass sie sich an ein Mindestmaß an journalistischen Grundsätzen zu orientieren haben. Den anderen klassischen Medien, den professionellen Medien, den unterstellt man das ja sowieso. Und meine Erfahrung zeigt in jedem Fall, dass das ja auch immer eingehalten wird. Das heißt also, die Aufgabe wird immer wichtiger.“
Eva Dieterle: „Diese Weigerung, das Denken anderer zu akzeptieren. Wie fatal ist denn so was in unserer freien Gesellschaft.“
Joachim Becker: „Um das gleich mit dem Ergebnis zu beantworten Das wäre total fatal. Eine offene Gesellschaft lebt vom offenen Diskurs. Und wenn ich mich nur in entsprechenden Blasen bewege, dann entsteht kein Diskurs mehr. Das heißt, wir brauchen Mut und Willen zur Auseinandersetzung. Das ist eine echte Herausforderung für die gesamte Gesellschaft. Dazu bedarf es natürlich auch der Bildung. Aber ohne die Auseinandersetzung funktioniert eine offene Gesellschaft und damit eine Demokratie nicht.“
Eva Dieterle: „Wie besorgt macht Sie das? Dass es auch viele Menschen gibt, die eine gewisse Nachrichten-Müdigkeit bei all diesen Krisen entwickelt haben. Die sagen ach, lass mich damit in Ruhe, ich möchte heute keine schlechten Nachrichten hören.“
Joachim Becker: „Ich habe ein gewisses Verständnis dafür. Auch unsere Erfahrungen zeigen, dass das auch sehr, sehr häufig in der jüngeren Generation der Fall ist. Aber es gibt auch genau das andere Phänomen. Gerade klassische Medien werden auch verstärkt wiederum genutzt, weil das Informationsbedürfnis schlicht und ergreifend steigt. Und von daher bin ich eigentlich auch ganz optimistisch. Aber auch hier ist es wieder gefragt, dass wir den Bildungsaspekt betonen. Und wir müssen schon bei Kindern und Jugendlichen damit anfangen. Wir müssen in die Schulen gehen und wir müssen ab einem bestimmten Alter – 10 bis 12 jährige- diese mit diesen Phänomenen auch konfrontieren. Und das muss zum täglichen Bildungsstandard gehören.“
Eva Dieterle: „Ein ganz wichtiger Appell zum Schluss in diesem schwierigen Umgang mit den Krisen. Herr Becker, vielen Dank, dass Sie heute zum Interview hier waren.“
Joachim Becker: „Ich darf mich bedanken. Vielen Dank.“