Mauern der alten Synagoge in Gießen entdeckt

Kommen wir jetzt zu einem ganz besonderen Fund in Gießen. Hier wurden bei Bauarbeiten an der Kongresshalle Überreste der ehemaligen Synagoge entdeckt, die 1938 zerstört wurde. Der Fund gilt als hochbedeutsam und soll erhalten bleiben.

Auch für Archäologe Björn Keiner ein sensationeller Fund – die Grundmauern der um 1867 erbauten Synagoge, mitten im Gießener Stadtzentrum. Denn während der Reichspogromnacht 1938 brennen die Nationalsozialisten die Synagoge nieder, seitdem galt das Gebäude samt Fundament als verloren. Ein Irrtum, wie sich jetzt bei Bauarbeiten an der Gießener Kongresshalle zeigte.
Björn Keiner, Stadtarchäologe Gießen
„Schon vor Beginn der Bauarbeiten war klar, dass sich die Synagoge hier befunden hat. Allerdings haben wir aus dem Jahr 1938 einen Bericht an den Reichsstadthalter, in dem klar gemacht wird, dass die Reste dieser Synagoge vollständig entfernt wurden. Deswegen haben wir damit gerechnet, dass es vielleicht kleinere Reste des Gebäudes gibt. Einzelne kleine Mauerzüge. Was jetzt aber hier freiliegt, damit hat wirklich niemand gerechnet. Das ist ein viel, viel größerer Umfang der Erhaltung und auch ein viel besserer Erhaltungszustand, als jeder hier angenommen hätte.“
So sah die Synagoge einst aus und hier stand sie bis sie von den den Nationalsozialisten niedergebrannt und anschließend gesprengt wurde. Durch die Freilegung der Überreste wurden die Spuren der Verwüstung wieder sichtbar gemacht.
Björn Keiner, Stadtarchäologe Gießen
„Das Gebäude war natürlich mit hölzernen Möbeln ausgestattet, Holzbalken, Holzdachstuhl. Und als die Nationalsozialisten das Gebäude in der Reichspogromnacht angezündet haben, hat dieses Feuer so heiß gelodert, dass einzelne Metallteile aus dem Gebäude hier in den Kellerboden geschmolzen sind.“
Für die Stadt Gießen ist der Fund Geschenk und Herausforderung zugleich. Denn eigentlich sollte die Kongresshalle bis Ende des Jahres baulich erweitert werden. Aber aus der Baustelle wurde jetzt eine Fundstelle.
Frank-Tilo Becher, SPD, Oberbürgermeister Gießen
„Der Baufortschritt bei der Sanierung und Umbau der Kongresshalle wird jetzt an dieser Stelle sich verzögern müssen. Das ist so. Dafür ist dieser Fund zu wichtig. Es ist der Ort, wo wir Jahr für Jahr der Reichspogromnacht gedenken und jetzt haben wir sozusagen einen Einblick nochmal auf das Geschehen im wahrsten Sinne des Wortes, indem wir auf die Grundmauern dieser Synagoge blicken.“
Und deshalb wird jetzt nach einer Lösung gesucht, die beides ermöglicht: die Erhaltung der Synagogenreste und den Ausbau der Kongresshalle. Auch für die Jüdische Gemeinschaft Gießen kam die Freilegung des Fundaments völlig überraschend.
Lawrence de Donges-Amiss-Amiss, Vorstand Jüdische Gemeinde Gießen
„Wir möchten gerne, dass hier ein würdiges Mahnmal für alle Opfer des Holocaust entsteht. Wir haben bereits angefangen, eine Expertenkomission zusammenzustellen, aus Archäologen, Denkmalpflegern, Historikern, um dann hier einen gangbaren Weg, mit der Stadt Gießen und den Bürgern gemeinsam zu finden.“
Mittlerweile hat Gießen eine neue Synagoge. Und damit einen wichtigen Treffpunkt für die jüdische Gemeinschaft. Mit dem Überraschungsfund an der Kongresshalle soll jetzt ein weiterer Treffpunkt hinzukommen. Denn mit dem Erhalt der Grundmauern – als öffentlich zugängliche Gedenkstätte – könnte ein bedeutsames Stück Gießener Stadtgeschichte für die Nachwelt erhalten werden.