Landtag debattiert Situation bei VW

Alarm ist auch bei Volkswagen, beim größten Autobauer Deutschlands. Die Konzernspitze hat die seit rund 30 Jahren geltende Jobgarantie aufgekündigt. Ab Mitte 2025 könnte es bei VW zu Kündigungen kommen. Die Beschäftigten am Standort Baunatal sind geschockt. Heute nun hat sich der Hessische Landtag mit der VW-Krise auseinandergesetzt. Eine Diskussion zwischen Verbrennermotor, E-Mobilität und Jobs, die auf der Kippe stehen.

Noch stehen die Zeichen bei Volkswagen in Baunatal ganz auf Wandel zur E-Auto-Produktion. Doch nach sinkendem Absatz bangen die Beschäftigten nun um ihre Jobs. In Wiesbaden wird im Hessischen Landtag deshalb heute sowohl über den Verbrennerausstieg als auch über Arbeitsplätze hitzig diskutiert. Für die schwarz-rote Landesregierung ist der Wegfall der Jobgarantie bei VW nicht hinnehmbar.
Tobias Eckert (SPD), Fraktionsvorsitzender Landtag Hessen
„Das Geraune von Werksschließungen, Massenentlassungen, Unsicherheit unter den Beschäftigten und ihren Familien zu streuen, das sind Töne, meine Damen und Herren, das sind Umgangsformen, die wir von Volkswagen bisher weder gewohnt waren und sind, noch solche, die wir akzeptieren werden.“
Wirtschafts- und Verkehrsminister Kaweh Mansoori, der die Beschäftigt in Baunatal bereits besucht hat, will nun Gespräche mit der niedersächsischen Landesregierung führen. Schließlich ist das Land Niedersachen zweitgrößter Anteilseigner bei Volkswagen. Die hessische CDU betont derweil die Wichtigkeit des VW-Werks für den Wirtschaftsstandort Baunatal.
Anna-Maria Schölch (CDU), Abgeordnete Landtag Hessen
„Seit Jahrzehnten spielt das Werk eine Schlüsselrolle für die wirtschaftliche Entwicklung Nordhessens. Es sichert Tausende Arbeitsplätze, direkt im Werk und viele weitere in der Zuliefererindustrie und bei Dienstleistern.“
Ministerpräsident Boris Rhein schließt eine Finanzspritze für das VW-Werk nicht aus. Den Bündnis-Grünen gehen die heutigen Regierungsaussagen nicht weit genug: Sie fordern angesichts der VW-Krise mehr staatliche Regulation.
Kaya Kinkel (Bündnis 90 / Die Grünen), Abgeordnete Landtag Hessen
„Es braucht keinen politischen Aktionismus, sondern es braucht klare, verlässliche Rahmenbedingungen und ein klares Bekenntnis zur Elektromobilität. Wer nicht mit der Zeit geht, der ‚geht‘ mit der Zeit – und genau das darf nicht passieren.“
Genau hierin sieht AfD das Problem. Sie fordert eine Rückkehr zum Verbrennermotor, das würde auch VW helfen.
Olaf Schwaier (AfD), Abgeordneter Landtag Hessen
„Die Krise bei VW und die Abwärtsspirale der deutschen Wirtschaft sind das Ergebnis staatlicher Überregulierung und einer klima- und energiepolitischen Irrfahrt.“
Die FDP sieht die Lösung in klimaneutralerem Treibstoff.
Stefan Naas (FDP), Fraktionsvorsitzender Landtag Hessen
„Verteufeln Sie den Verbrenner nicht, sondern setzen Sie auf synthetische Kraftstoffe, auf alternative Kraftstoffe, so wie wir es tun.“
Abseits der Debatte im Hessischen Landtag scheint der öffentliche Druck erste Auswirkungen zu haben: Die von VW ursprünglich für Oktober geplanten Gespräche mit der Gewerkschaft IG Metall sollen nun schon in knapp zwei Wochen stattfinden.
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Markus Appelmann, Moderator:
Soweit also die Landtagsdebatte zu Volkswagen. Wir wollen noch etwas tiefer einsteigen in die Diskussion, was ein Aus von VW in Baunatal bedeuten könnte? Dazu spreche ich mit dem Wirtschaftswissenschaftler Professor Guido Bünstorf von der Universität in Kassel.
Prof. Guido Bünstorf, Wirtschaftsexperte Universität Kassel:
Ich grüße Sie, Herr Appelmann.
Appelmann:
Wie sehr ist das VW-Werk in Baunatal durch die angekündigten Sparplänen aus Ihrer Sicht gefährdet?
Bünstorf:
Das ist für Außenstehende wie mich gar nicht so leicht einzuschätzen, aber VW hat grundsätzlich angekündigt, dass ganze Werke geschlossen werden könnten. Damit ist VW in Baunatal natürlich gefährdet, wie alle anderen Werke auch. Zugleich kann ich mir sehr gut vorstellen, dass es darum geht, erst mal ein Zeichen zu setzen an die Öffentlichkeit, an die Belegschaft: “Es ist ernst, wir müssen ernsthaft über Maßnahmen nachdenken, um die langfristige Wettbewerbsfähigkeit des Werkes und des Konzerns insgesamt zu erhalten.” Und letztlich kann man ja auch sagen, die Schließung, die angedrohte Schließung wäre die akute Gefahr für Baunatal. Aber diese Maßnahmen nicht durchzuführen, die dafür sorgen können, dass VW langfristig seine Wettbewerbsfähigkeit stärkt, wäre ebenso eine Gefahr für Baunatal. Schleichend, aber nicht unbedingt weniger schlimm.
Appelmann:
Lassen Sie uns in Hessen bleiben. Welche Konsequenzen hätte denn eine Schließung des Volkswagen Standorts Baunatal für die wirtschaftliche Region Nordhessen?
Bünstörf:
VW in Baunatal ist mit Abstand der größte Arbeitgeber in der Region und der ist auch für die relativ bevölkerungsarme Region eigentlich ein überproportional großer Arbeitgeber. Das heißt, die Region ist stark abhängig von VW in Baunatal. Und wenn das Werk tatsächlich ganz geschlossen würde oder große Teile davon geschlossen würden, dann wäre das ein immenser ökonomischer Schock für die Region, denn es würden die Arbeitsplätze verloren gehen, es würden die damit einhergehenden Einkommen verloren gehen, es würde Kaufkraft verloren gehen. Das würde sich auf den Einzelhandel auswirken. Das würde sich auf die Dienstleistungen, auf die Gastronomie Auswirken. Das würde sich auf Immobilienpreise auswirken. Zulieferer in der Region würden Aufträge verlieren. Das ist schon ein ganzer Rattenschwanz an Folgeeffekten, der für die Region durchaus bedrohlich ist.
Appelmann:
Abschließende Frage mit der Bitte um Kürze: Hessens Ministerpräsident Boris Rhein prüft derzeit Hilfen für Volkswagen in Baunatal. Ist das Ihrer Meinung nach der richtige Weg?
Bünstorf:
In aller Kürze: Ich sehe nicht, dass das Land hier wirklich etwas Sinnvolles machen kann. Das Land, die Landespolitik sollte sich überlegen, wie man mittel- und langfristig die Region stärken kann durch Gründungsförderung, durch die Schaffung attraktiver Bedingungen für Investoren, aber insbesondere dadurch, dass man die Menschen in der Region dazu bringt, dazu befähigt und dazu bringt, innovative Unternehmen zu gründen und erfolgreich zu führen.
Appelmann:
… sagt Professor Guido Bünstorf, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität in Kassel. Danke Ihnen.
Bünstorf:
Ich danke Ihnen, Herr Appelmann.