Kündigungswelle am Uniklinikum Marburg – viele Pflegekräfte schmeißen hin

Viele Pflegekräfte in deutschen Krankenhäusern fühlen sich überlastet. Das hat auch mit der Corona-Pandemie zu tun. An der Universitätsklinik in Marburg hat das jetzt zu dramatischen Folgen geführt: Dort hat in einer Station fast das gesamte Pflegepersonal auf einen Schlag gekündigt.

Die Kündigungswelle von Marburg: In der Abteilung Gefäßchirurgie der Universitätsklinik haben 14 von 15 Pflegerinnen und Pfleger zeitgleich hingeschmissen. Eine Station musste vorübergehend geschlossen werden. Unter vorgehaltener Hand spricht man von schlechten Arbeitsbedingungen, langen Nachtschichten und zu vielen Patienten pro Pflegekraft. Vor der Kamera möchte sich niemand der Betroffenen äußern, der Betriebsrat hat die Probleme hautnah mitbekommen.
Frank Eggers, Betriebsratsvorsitzender Universitätsklinik Marburg
„Krankenpflege ist ein Hochleistungsberuf. Wir haben eben im Moment durch plötzliche Personalausfälle unter Umständen auch mal Leistungsverdichtungen. Und dann macht sich schleichend in dem Moment ein Ermüdungsprozess bei den Leuten breit.“
Auch eine Hals-Nasen-Ohren-Station musste in Marburg schon wegen Pflegekräftemangel geschlossen werden. Die Geschäftsführung der Universitätsklinik beschwichtigt auf Anfrage von 1730 Sat.1 Live und verweist auf 50 Stellen, die dieses Jahr neu geschaffen worden seien. Aber:
Dr. Gunther K. Weiß, Geschäftsführung Universitätsklinikum Gießen und Marburg
„Wir nehmen die jetzige Situation zum Anlass, unsere eigenen Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen zu überprüfen und zu verbessern.“
Die 14 Pflegerinnen und Pfleger wechseln nun an eine andere Klinik in Gießen.
Nicht nur in Mittelhessen wird die Konkurrenz unter den Krankenhäusern größer, manche Klinik zahlt bereits hohe Einstellungsprämien.
Für Thomas Busse von der Frankfurt University of Applied Sciences lässt sich der Pflegekräftemangel auch an einer Zahl ablesen: Im Pflegebereich bleibe eine offene Stelle im Schnitt über 230 Tage unbesetzt. Die Unzufriedenheit der Beschäftigten habe auch mit strukturellen Problemen zu tun.
Prof. Thomas Busse, Direktor Zentrum für Gesundheitswirtschaft
„Die Kommunikation zwischen Ärzten – Pflege ist eine Katastrophe. Die Pflege ist im Prinzip nicht informiert über die Ärzte und Ärzte sind nicht informiert über Pflege. Das ist also ein Kulturthema. Und die Krankenhäuser können nicht immer erwarten, dass die große Politik kommt, sondern sie müssen selber mal an dieses Thema rangehen.“
Laut den jüngsten Hochrechnungen müssen in den nächsten zwölf Jahren rund eine halbe Millionen Pflegekräfte ersetzt werden, die in Rente gehen. Außerdem müssten knapp 200.000 Pflegekräfte zusätzlich eingestellt werden. Auch für den Marburger Betriebsrat ist offensichtlich, dass es an Nachwuchs fehlt.
Frank Eggers, Betriebsratsvorsitzender Universitätsklinik Marburg
„Es hat aus meiner Sicht der Dinge damit zu tun, dass man das Image der Pflege eigentlich bei Zeiten hätte aufwerten müssen. Und es genügt nicht, in Anlass von Corona nur zu klatschen.“
Für den Betriebstrat stehen nun erst mal Gespräche mit der Geschäftsführung an. Die scheint durch die Kündigungswelle in Marburg zumindest alarmiert zu sein.