Kritische Stimme zum Wiederaufbau im Ahrtal

Mehr als drei Monate ist das verheerende Hochwasser an Ahr und Co. her und noch immer sind die betroffenen Gebiete weit entfernt von Normalität. Viele Gebäude sind weiterhin nicht bewohnbar, einige wurden so stark beschädigt, dass sie abgerissen werden mussten. Fast alle Häuser dürfen aber wieder an selber Stelle aufgebaut werden, das besagt ein Erlass des Landes. Ein hohes Risiko, denn das nächste Hochwasser kommt bestimmt.

Der Blick aus der Ferne lässt kaum erahnen, was sich hier in Dernau vor wenigen Monaten abgespielt hat. Das 1700-Seelen-Dorf am Fuße der Weinberge ist einer der am stärksten vom Hochwasser betroffenen Orte im Ahrtal. Fast neunzig Prozent der Gebäude wurden beschädigt. Wegziehen und woanders neu anfangen? Die meisten Dernauer denken gar nicht daran.
Alfred Sebastian (CDU), Ortsbürgermeister Dernau: „Neunzig Prozent wollen auf jeden Fall hierbleiben. Es sind einige wenige, die einfach nicht mehr mit der Angst leben können, dass so eine Flut, so ein starkes Hochwasser uns wieder erreicht. Aber das sind die Ausnahmen.“
Die meisten Anwohner wollen ihre Häuser sanieren oder wiederaufbauen – und dürfen das auch. Das hat das Land Rheinland-Pfalz beschlossen. Obwohl ein Großteil der Gebäude im hochwassergefährdeten Gebiet liegt. Ein riskanter Plan, findet Hochwasser-Forscher Thomas Roggenkamp.
Thomas Roggenkamp, Hochwasser-Forscher: „Aus Hochwasserrisikosicht ist es natürlich immer besser, dem Fluss möglichst viel Raum einzuräumen und möglichst viel Platz zu geben und der Platz ist einfach nicht mehr vorhanden im Ahrtal. Die meisten Gebiete, gerade im Mittel- und Unterlauf, sind fast vollständig besiedelt und gerade diese dichte Bebauung, die dichte Besiedlung sorgt natürlich auch eine erhöhte Gefahr, gerade was die Wasserstände angeht.“
Je dichter die Fläche besiedelt sei, desto mehr werde der Fluss aufgestaut und desto stärker steige folglich auch der Pegel. Am besten sei deshalb: In dem Gebiet, das immer wieder überschwemmt werde, keine Häuser mehr zu bauen. Doch wenn die Politiker dieser Empfehlung folgen würden, müssten sie eine Klagewelle und die Wut der Bürger fürchten.
Die Landesregierung hat deshalb nur für eine kleine Sperrzone ein Wiederaufbauverbot erlassen. In der sonstigen Überschwemmungszone ist ein Wiederaufbau unter besonderen Hochwasserschutz-Auflagen erlaubt. Ortsbürgermeister Alfred Sebastian befürchtet allerdings, dass durch diese neuen Auflagen der historische Charme des Dorfes verloren gehen und die Anziehungskraft für Touristen abnehmen könnte.
Alfred Sebastian (CDU), Ortsbürgermeister Dernau: „Nach dem Hochwasser musste man oder wollte man schnell entscheiden und ich hoffe, dass die Flächen nochmal überdacht werden, dass man wirklich die Flächen nur ausweist, die auch wirklich in einem Gefährdungsbereich sind und nicht den gesamten Ort beschlagnahmt.“
Doch auf der anderen Seite gibt es viele Experten, die einen viel stärkeren Hochwasserschutz fordern. Es könne nicht sein, dass in einem Überschwemmungsgebiet Häuser wieder aufgebaut werden, deren Eigentümer voraussichtlich keine Elementarversicherung erhielten. Nach der nächsten Überschwemmung müssten dann erneut die Steuerzahler den Wiederaufbau finanziert. Thomas Roggenkamp warnt außerdem: Die Daten, die den Berechnungen für die Einteilung der Zonen zugrunde liegen, seien nicht repräsentativ für die tatsächliche Gefahrenlage im Ahrtal.