Kritik an digitalen Barrieren

Unter Barrierefreiheit kann sich wohl jeder etwas vorstellen. Neben einer Treppe muss es für Menschen mit Beeinträchtigung in einem Bahnhof zum Beispiel auch einen Aufzug geben – klar. Was viele aber nicht so auf dem Schirm haben: Auch die digitale Welt ist voller Barrieren. Nach einer EU-Richtlinie müssen zumindest alle öffentlichen Websites und Apps von Seiten des Landes und der Kommunen digital barrierefrei sein. Wie gut das klappt, haben wir uns in Koblenz angesehen.

Inhalte in leichter Sprache, angemessene Schriftgröße und Videos mit Untertiteln. Nur wenige Facetten der digitalen Barrierefreiheit.
Der Grundsatz: Jeder Mensch – unabhängig von Intellekt, Alter oder Beeinträchtigung – muss uneingeschränkten Zugang zu digitalen Informationen haben.
Dass das gelingt, soll die Überwachungsstelle für barrierefreie Informationstechnik in Koblenz, kurz Übit, sicherstellen. Sie prüft per Zufallsprinzip die Websites alle öffentlichen Stellen, also des Landes und der Kommunen und Landkreise in Rheinland-Pfalz.
Das Ergebnis: Auf wirklich Barrierefreie Websites stoßen sie quasi nie.
Karl Heinz Basten, Leiter der Überwachungsstelle
„Da hat man mit Sicherheit den Fokus falsch gelegt. Man wollte viele Inhalte irgendwo im Netz verfügbar machen und hat vergessen, dass es halt Menschen mit Beeinträchtigung gibt und dass man denen die Informationen auch zugänglich machen sollte.“
Ein Beispiel: Blinde Menschen nutzen eine Software, die ihnen eine Website vorliest. Ein Bild auf der Seite kann aber nicht vorgelesen werden. Dafür muss der Ersteller der Website jedes Bild mit einem sogenannten Alternativtext versehen, in dem er beschreibt, was auf dem Bild zu sehen ist. Das könnte die Software dem Sehbehinderten dann vorlesen. Aber:
Philip Rafael Lanio, Sachbearbeiter Übit
„Das wird eher stiefmütterlich behandelt, das ganze Thema. Hier in dem Fall ist zwar ein Alternativtext hinterlegt, allerdings sagt der einfach nur „Grundsteuer – Copyright www.pixabay.com.“ Also ein Alternativtext, der dem Nutzer so ziemlich gar nichts erklärt, nämlich vor allem nicht, was aus diesem Bild zu sehen ist.“
Oft kann auf Websites keine leichte Sprache ausgewählt werden und wenn Videos überhaupt Untertitel haben, sind sie oft zu schnell. Auch sehr häufig, vor allem auf den Seiten des Landes.
Christian Raskob, Sachbearbeiter Übit
„Wir haben Menüs, die nicht per Tastatur bedienbar sind. Das heißt, man kann die mit Maus ganz wunderbar bedienen, kommt auf alle Unterseiten. Mit der Tastatur hingegen geht es nicht. Das heißt, ich komme auf die oberste Ebene, kann aber die folgenden Seiten nicht erreichen. Ganz, ganz großes Problem.“
Dabei könnte digitale Barrierefreiheit so einfach sein, meint Christian Raskob.
Christian Raskob, Sachbearbeiter Übit
„Bei der baulichen Barrierefreiheit müssen wir bauen, da müssen wir immer viel Geld in die Hand nehmen, um irgendwas barrierefrei zu bekommen. Bei der digitalen Barrierefreiheit müssen zwar Sachen angepasst werden, allerdings sind die Kosten sehr, sehr gering. Und die Kosten sind vor allem dann sehr, sehr gering, wenn die Barrierefreiheit von Anfang an bei der Entwicklung mitgedacht wird. Dann kostet digitale Barrierefreiheit fast gar nichts.“
Die Übit informiert die Verantwortlichen über die Mängel ihrer jeweiligen Website. Sie merkt, dass …
Karl Heinz Basten, Leiter der Übit
„… oft kein böser Wille dahintersteckt, dass man Barrierefreiheit einfach ignorieren will, sondern, dass das Bewusstsein gar nicht da ist. Und dann beraten wir, wie man diese Seite besser und barrierefreier machen kann.“
Ob die Mängel tatsächlich behoben werden, überprüft die Übit nicht mehr. Dazu hat sie nach eigenen Angaben auch gar nicht genügend Mitarbeiter.
Christian Raskob und Philip Rafael Lanio wünschen sich, dass das Bewusstsein für Digitale Barrierefreiheit allgemein geschärft wird. Nur dann wird aus gut gemeint auch gut gemacht.
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Eva Dieterle, Moderatorin: Und dieses wichtige Thema wollen wir jetzt noch vertiefen, deshalb ist mir nun der Behindertenbeauftragte des Landes Rheinland-Pfalz zugeschaltet, Matthias Rösch, Guten Tag.
Matthias Rösch, Landesbehindertenbeauftragter Rheinland-Pfalz: Guten Tag, Frau Dieterle.
Dieterle: Herr Rösch, auch beim Thema Barrierefreiheit gibt es immer wieder neue Herausforderungen und es verliert niemals an Aktualität, wie man jetzt ja auch im Digitalen Bereich sieht, oder?
Rösch: Auf jeden Fall. Also bauliche Barrierefreiheit, Rampen statt eine Stufe – das ist schon ziemlich bekannt. Aber was bedeuten Barrieren im Internet oder digitale Barrierefreiheit? Das ist ein wichtiges Thema, das ist gerade in der Pandemie umso wichtiger geworden, weil wir viel über digitale Medien kommunizieren, Videokonferenzen machen etc.. Und da geht es darum, dass zum Beispiel blinde und sehbehinderte Menschen einen guten Zugang haben, dass die Texte vorgelesen werden, dass die Formulare nicht irgendwie Felder nicht verschlüsselt sind oder auch gehörlose, hörbehinderte Menschen einen guten Zugang haben. Auch Menschen mit Lernschwierigkeiten, geistig behinderte Menschen, auch Informationen in leichter Sprache finden. Das sind die Barrieren, das sind die Stufen im Internet.

Dieterle: Digitale Barrierefreiheit ist das eine – aber Sie haben es auch schon gesagt, ganz analog gibt es weiterhin viel zu tun. Fangen wir vielleicht mal mit dem an, was sich schon zum Positiven verändert hat. Wo findet denn heute Barrierefreiheit schon viel mehr statt, als noch vor zehn Jahren?

Rösch: Ja, also auch aus meine eigenen Erfahrungen. Ich bin auf den Rollstuhl angewiesen. Tut sich ja gerade in Bezug bei Mobilität einiges in Bezug auf Barrierefreiheit, also zugängliche Bussen und Bahnen, Niederflurbusse, ist inzwischen Standard geworden. Auch dass bei den neuen Zügen, zum Beispiel hier bei den Regionalzügen, auf Kontraste geachtet werden, dass die Durchsagen, die Haltestellendurchsagen, deutlich kommen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt für Barrierefreiheit. Und das ist ein Schlüssel für Selbstbestimmung und Inklusion, dass man sich frei bewegen kann.
Aber da gibt es auch noch eine ganze Menge zu tun. Die Bahnstationen werden nach und nach umgebaut. Es ist noch längst bei den Haltestellen nicht umfassende Barrierefreiheit hergestellt. Also das ist ein Bereich, wo es viele Fortschritte gibt, auch bei den öffentlich zugänglichen Gebäuden, jetzt von den öffentlichen Trägern gibt es einiges, wo es halt große Schwierigkeiten gibt, gibt es halt noch so bei den privaten Anbietern öffentlicher Angebote.
Dieterle: Jetzt haben Sie schon viel Positives genannt, aber auch gesagt, dass natürlich noch Nachholbedarf besteht. Wo kommen wir denn in Deutschland, gezielt natürlich auch in Rheinland-Pfalz, nicht oder nur langsam weiter, wenn es darum geht, Menschen mit Einschränkungen das Leben zu erleichtern?

Rösch: Also ich denke, bei dem Thema digitale Barrierefreiheit, man sieht es ja in dem Bericht, den Sie schon gedreht haben, gibt es noch eine ganze Menge zu tun. Und da natürlich insbesondere auch für die privaten Anbieter:innen öffentlich zugängliche Angebote, also die Webshops, die Webseiten von privaten Unternehmen, aber natürlich auch im baulichen Bereich, die Gaststätte, die Arztpraxis, das Kino, die sind oft noch nicht barrierefrei. Und da fehlt uns noch eine Gesetzgebung, die hier Regelungen trifft, wie wir es in anderen Ländern schon seit Jahren und Jahrzehnten, seit 1990 in den USA, kennen.

Dieterle: Was signalisiert Ihnen denn die Politik, wann es den entsprechenden Gesetzesrahmen dafür geben wird?

Rösch: Also wir haben einmal eine EU-Vorgabe, wo auch die privaten Unternehmen für Güter und Dienstleistungen, vor allem im Internet oder Service-Terminals, dass da eine Frist zur Barrierefreiheit ist. Ab 2025 läuft das an, teilweise noch für Bankautomaten oder ähnliches, sehr lange Übergangsfristen. Das haben wir auch als Landesbeauftragte, Behindertenbeauftragte zusammen kritisiert.
Und was sehr erfreulich ist, dass im Koalitionsvertrag des Bundes steht, dass die privaten Anbieter:innen auch zur Barrierefreiheit verpflichtet wird. Da kommt es jetzt natürlich darauf an, werden da auch richtig gute Fristen gesetzt, die den Menschen mit Behinderung und das kommt allen zugute, dass barrierefreie Angebote auch richtig weiterhelfen?
Und vor allen Dingen: Sind diese Regelungen auch einklagbar? Kann ich dagegen auch selbst vorgehen?

Dieterle: Es bleibt weiterhin viel zu tun, Herr Rösch, vielen Dank für das Interview.

Rösch: Herzlichen Dank auch.