Kommunen fordern mehr Geld für Flüchtlinge

Wir sind am Limit. Das ist der Satz, den man aus den Kommunen wohl gerade am häufigsten hört, wenn es um die Unterbringung von Geflüchteten geht. Seit Monaten suchen tausende Menschen auch in Rheinland-Pfalz Schutz. Bund und Länder helfen nun mit viel Geld. Doch das reicht wohl bei weitem nicht aus, sagen die Kommunen. Wie es jetzt weitergeht, darüber sprechen wir gleich mit Michael Mätzig, Direktor des Städtetags Rheinland-Pfalz. Vorher ein kurzer Überblick.

Diese Gesichter spiegeln die aktuelle Stimmung in den Kommunen wieder. Nach dem Flüchtlingsgipfel mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer ist die Enttäuschung groß. Die Vertreter der Kommunen haben sich mehr erhofft. Für die Unterbringung von Flüchtlingen erhält Rheinland-Pfalz dieses Jahr vom Bund 180 Millionen Euro.  Zwei Drittel davon fließen an die Kommunen, den Rest behält das Land für die eigenen Erstaufnahmeeinrichtungen. Ein faires Angebot findet die Ministerpräsidentin.
Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz am 25.05.2023: „Natürlich verstehe ich, dass die Kommunen sagen: Wir hätten gerne alles, was uns Flüchtlinge kosten, auch gern ersetzt an Finanzen. Aber schlicht und ergreifend sage ich: Wir geben sehr, sehr viel Geld. Und wir haben eine gemeinsame Aufgabe in dieser Sache und wir müssen alle schauen, dass wir es zusammen hinbekommen.“
Die Kommunen fordern jedoch drei Mal so viel, um die vielen Geflüchteten unterzubringen. Denn dieses Jahr wurden deutschlandweit schon über 100 000 Asylanträge gestellt. 78% mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Dazu kommen über eine Million Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind. All diese Menschen müssen die Kommunen unterbringen und versorgen. Doch das ist kompliziert. Zeltstädte sind teuer. Flüchtlinge leben dort in unwürdigen Umstände. Wohnungen gibt es kaum auf dem Markt. Dazu sollen die Menschen auch integriert werden. Doch es fehlt an Personal für Sprachkurse, Schulen und Kitas. Große Aufgaben, die viel Geld kosten. Geld das die Kommunen nicht haben und das Land selbst nicht zur Verfügung stellt. Und so wird sich die Stimmung in den Kommunen was das Thema Flüchtlinge angeht wohl erstmal nicht bessern.
Eva Dieterle, Moderatorin: „Und über genau diese Stimmung spreche ich jetzt mit dem geschäftsführenden Direktor des Städtetags Rheinland Pfalz, mit Michael Mätzig. Guten Abend.“
Michael Mätzig, Geschäftsführender Direktor Städtetag Rheinland-Pfalz: „Guten Tag.“
Dieterle: „Sie kennen die Situation vor Ort in den Kommunen. Sie haben den Überblick. Wie dramatisch ist denn die Lage?“
Mätzig: „Also es ist wirklich dramatisch. Es ist wirklich auch sehr angespannt von der Situation her, und zwar in den Kreisen, Gemeinden und Städten. Es fehlt vor allem an Unterbringungsmöglichkeiten. Wir versuchen nach wie vor aufzustocken, so gut es geht, aber kommen kaum hinterher. Aber noch entscheidender ist, dass wir kaum mehr in der Lage sind, Flüchtlinge wirklich hier zu integrieren, weil das Personal schlicht nicht mehr da. Also da fehlt wirklich die Manpower, um da noch wirklich, wirklich human vorgehen zu können.“
Dieterle: „Sie haben gerade gesagt, in den Kreisen, Gemeinden und Städten heißt das, das Problem verteilt sich über das Land gleichermaßen.“
Mätzig: „Zunächst schon, aber dann sehen wir schon eine Konzentration gerade in den Städten, weil auch Flüchtlinge, die zunächst in Gemeinden kommen, dann doch in die Städte gehen. Da, wo auch schon Communities sind und natürlich ganz wichtig auch Familiennachzug, dann auch natürlich stattfindet, wieder in die Städte. Und das heißt, dass dort die Infrastruktur noch mehr ausgelastet wird. Gerade Schulen und Kitas. Da haben wir heute schon teilweise Migrationsanteil von so ungefähr 90 %. Also da wird es dann auch entsprechend schwer, überhaupt noch Lerninhalte zu vermitteln. Also da wird die Integration deutlich erschwert.
Dieterle: „Das kostet natürlich auch alles viel Geld. Geben Sie uns mal eine Dimension Was kostet diese Unterbringung die Kommunen denn zusätzlich?“
Mätzig: „In diesem Jahr rechnen wir mit ungefähr 300 Millionen € mehr für die Gemeinden, Städte und Kreise. Das heißt, das ist Geld, was weder Bund noch Land erstatten und was die Kommunen selber vorstrecken müssen, notfalls auch über Steuererhöhungen oder aber, indem anderweitig Leistungen zurückgefahren werden. Oder Investitionen in Zustand, den die Kommunen natürlich nicht wollen. Aber letztlich werden sie dazu gezwungen sein, wenn Bund und Land hier nicht mehr Geld geben.“
Dieterle: „Wir haben es gerade gesehen. Es gab ein Gespräch mit der Ministerpräsidentin. Wir haben auch gesehen Große Zufriedenheit sieht anders aus. Was hat das Gespräch aus Ihrer Sicht gebracht?“
Mätzig: „Also es gibt schon bei vielen Themen ein gewisses Grundverständnis, ein gemeinsames, dass wir da eine gemeinsame Aufgabe zu bewältigen haben, dass aber auf jeden Fall festgestellt, dass auch der Bund, der mehr gefordert ist und mehr, noch mehr tun muss. Auch das war Konsens. Aber dennoch Es gibt halt auch Aufgaben, die das Land leisten muss. Und es gibt halt einfach auch Gesetze, Landesgesetze, die das Land anhalten, diese entsprechend auch zu finanzieren. Und dazu gehört halt, dass wir auch Geld bekommen, um Flüchtlinge entsprechend human unterbringen zu können. Und da gab es leider überhaupt keine Bewegung.“
Dieterle: „Wenn es da weiterhin keine Bewegung gibt. Sie fordern ja auch zwingend mehr Geld vom Land. Was passiert dann? Werden Sie den Druck erhöhen?
Mätzig: „Also uns fehlt in diesem Jahr mal mindestens 200 Millionen € und das müssen die Kommunen einfach selbst schultern. Und das kann bedeuten, dass vereinzelt Steuersätze erhöht werden müssen, dass woanders weniger investiert wird. Das heißt, dass vielleicht Sportstätten nicht erweitert, nicht gebaut werden können. Das schmerzt natürlich. Insofern ist es schon unser Ansatz, erst mal politisch eine Lösung zu finden. Wenn wir das nicht schaffen, dann sind wir jetzt auch dabei, mal zu schauen, welche rechtlichen Möglichkeiten haben wir? Und dann eventuell auch zu prüfen Können wir den Weg der Klage beschreiten gegen das Land, um unsere finanziellen Ansprüche entsprechend durchsetzen zu können.“
Dieterle: „Sollte sich jetzt an der Situation nichts ändern, werfen wir einen Blick in die Zukunft. Was droht dann oder was? Was sehen Sie zum Beispiel nächstes Jahr auch Kommunalwahl?“
Mätzig: „Also ich sehe so zwei große Punkte. Das eine ist, wenn wir in den Städten nicht für Entlastung sorgen, wenn da das Land nicht bereit ist, ein anderes Verteilsystem anzusetzen und sich weiter konzentriert auf die Städte, dann werden uns mittel und langfristig auch in Rheinland Pfalz hier Parallelgesellschaften drohen, weil die Integration schlicht nicht mehr geht. Das geht einfach nicht, weil dafür die Schule, die Kitaplätze nicht reicht, das Personal nicht da ist. Das ist schon eine Sache, die wir sehr, sehr ernst nehmen sollten. Und das zweite Thema, Sie sprachen es an Wir haben nächstes Jahr Kommunalwahl, danach ist die Bundestagswahl, dann Landtagswahl. Also genug Gelegenheiten, auch die Flüchtlingspolitik entsprechend abzustrafen und natürlich auch zu schauen, wer geht damit auf Stimmenfang? Und das wird natürlich vor allen Dingen der rechte Rand sein, der da profitiert. Darum ist es wichtig, dass wir die Themen auch wirklich ansprechen, dass wir uns ehrlich frei machen und die Themen auch öffentlich diskutieren und zu ordentlichen, tragfähigen Lösungen kommen.“
Dieterle: „Es ist eine mehr als angespannte Situation aktuell. Ich glaube, das ist deutlich geworden. Herr Mätzig, vielen Dank für das Interview.“
Mätzig: „Sehr gerne.“