„Klimaterroristen“ ist „Unwort des Jahres“ – Kommentar von Chefredakteur Richard Kremershof

Die Jury rund um das Unwort des Jahres hat sich wieder zu Wort gemeldet. Seit 1991 befindet sie darüber, welcher Begiff das abgelaufene Jahr im negativen Sinne besonders geprägt hat. „Pushback“, „Corona-Diktatur“ und „Klimahysterie“ waren die Vorgänger – heute wurde das neue Unwort des Jahres in Marburg vorgestellt.

„Klimaterroristen“ – das Unwort des Jahres Zweitausendzweiundzwanzig. Nach Ansicht der Jury sei der Begriff im öffentlichen Diskurs dazu verwendet worden, um Klima-Aktivisten und deren Protest zu diskreditieren.
Prof. Dr. Constanze Spieß, Institut für Germanische Sprachwissenschaft Marburg „Terroristen haben, der vergangenen Zeit, haben Mord, Tot und aggressive Gewalt in Kauf genommen. Haben das auch bewusst so geplant, man denke aber nur an Bombenattentate und so weiter. Und das trifft die Klimabewegung natürlich nicht. Und darin sehen wir einen stigmatisierenden Gebrauch.“
Nachdem sich Menschen auf die Straße geklebt oder Gemälde in Mitleidenschaft gezogen hatten, um für mehr Klimaschutz zu protestieren, hatten Politiker und Medien diese als „Klimaterroristen“ bezeichnet. Der Begriff würde auch den Diskurs von den inhaltlichen Forderungen der Aktivisten weglenken.
Die sechsköpfige Jury aus Sprachwissenschaftlern erhielt fast 1.500 Einsendungen. Gesucht wurde ein Wort, das besonders gegen das Prinzip der Menschenwürde oder der Demokratie verstoße, Menschen diskriminiere und in die Irre führe. Eine gute Wahl?
Marie Baten
„Ja, finde ich schon. Also weil gerade, dass die Klimaaktivisten auch gerade etwas Gutes erreichen wollen und deswegen finde ich das in dem Zusammenhang nicht gut.“
Carina Krott
„Es kommt drauf an. Also für Demonstrationen würde ich sagen, das würde ich nicht als Klimaterroristen bezeichnen aber zum Beispiel Klimakleber, wo einfach Sachen zerstört werden oder eben ja Klimakleber auf den Straßen und Verkehr behindern da würde ich schon sagen, dass Terroristen mehr oder weniger dem entspricht.“
Laura Walerowiz
„Klimaterrorist. Das finde ich ein Unwort ja. Safe. Die sind doch keine Terroristen.“
Evelin Rusch
„Es geht ja um die Demonstranten, die dagegen demonstrieren, dass da eben die Klimapolitik nicht so gemacht wird, wie es eigentlich sollte. Und das finde ich schon ist eine Form von Terrorismus.“
Auf Platz zwei setzt die Jury der Sprachkritischen Aktion „Sozialtourismus“. CDU-Chef Friedrich Merz verwendete den Begriff im Zusammenhang mit Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Unter den Einsendungen waren auch Begriffe wie „Spezialoperation“, „Sondervermögen“ und „Doppelwumms“.

————————————

Worte, die das Jahr im negativen Sinne geprägt haben. Eine klare Meinung zur Kürung der Jury hat jetzt unser 17:30 SAT.1 LIVE Chefredakteur Richard Kremershof. Hier ist sein Kommentar:
Sie gehört zu den gepflegten Ritualen des deutschen Medienbetriebes: Die Entscheidung, welches Wort zum Unwort des Jahres aufsteigt. Beim Tor des Jahres in der Sportschau – da dürfen alle mitmachen. Aber da geht’s ja nur um Fußball. Bei sowas Ernstem wie dem Unwort des Jahres, da ist und wird der Bürger nicht gefragt; denn: dabei könnte ja was Falsches herauskommen. Das Unwort ist einer kleinen Jury vorbehalten. Die ist alles andere als repräsentativ zusammengesetzt. Und diese exklusive Runde befindet, was man künftig besser nicht mehr sagen soll. Das darf die Jury übrigens gerne tun, das ist ihr gutes Recht. Dass jedoch das Unwort des Jahres in der veröffentlichten Meinung in den Rang einer nationalen Größe erhoben wird – dies gibt zu denken. Diskutiert wird das Votum kaum, kritisiert ebenso wenig! Das Unwort des Jahres würde besser in die politischen Systeme von China oder Russland passen. Aber hier in Deutschland will ich keine Sprachwächter, die letztlich vorschreiben wollen, was gesagt werden kann – und was nicht. Im Jurydeutsch klingt dies natürlich vornehmer: man wolle für angemessenen Sprachgebrauch werben, formuliert man dort. Es gibt ein Wort, das den Titel Unwort des Jahres wirklich verdient hätte und das vom russischen Präsident Wladimir Putin stammt: Er nannte seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine eine „Spezialoperation“. Eine Verschleierung ungeheuren Ausmaßes. Dagegen ist das jetzt erkorene Unwort „Klimaterroristen“ der traurige Versuch, wichtige Diskussionen in der Gesellschaft flach zu halten und in politisch vermeintlich korrektere Bahnen zu lenken. In einer offenen Gesellschaft muss – im Rahmen bestehender Gesetze – aber vor allem die Sprache offen bleiben. Sonst wird jenen Vorschub geleistet, die behaupten, man dürfe nicht mehr das sagen, was man denkt.