Kinderkliniken in der Krise

Bettenmangel, Notlage, Überlastung: Kinderkrankenhäuser schlagen immer wieder Alarm. Die im Dezember teils dramatische Situation in den Kinderkliniken in Deutschland sowie der enorme Ansturm auf Kinderärzte hat sich zwar etwas entspannt, die Lage ist aber weiter angespannt. Die Infektionen mit RS-Viren, mit Influenza – also der Grippe – und mit Corona sind eine Mammutaufhgabe für die Pädiatrie – also für die Kinder- und Jugendmediziner. Sie sagen: Wir waren in den letzten Wochen nicht nur am Limit, sondern über dem Limit.

Markus Appelmann, Moderator: Darüber sprechen wir jetzt mit Prof. Markus Knuf, der Chefarzt der Kinderklinik des Klinikums Worms. Guten Abend.
Prof. Markus Knuf, Chefarzt Kinderklinik Klinikum Worms: Guten Abend, Herr Appelmann.
Appelmann: Herr Prof. Knuf, wie konnte es so weit kommen, dass es in der Kinder- und Jugendmedizin so große Probleme gibt?
Knuf: Ich denke, wir haben jetzt in der Zeit vor Weihnachten die Spitze eines Eisbergs erlebt, der schon sich seit langem angebahnt hat. Über die letzten Jahre oder Jahrzehnte, kann man fast sagen, hat man gedacht, Betten für die Akutmedizin, akute Infektionen in der Pädiatrie nicht mehr in dem Umfang vorhalten zu müssen, wie das tatsächlich benötigt wird. Die Kinder- und Jugendmedizin steht unter erheblichem wirtschaftlichen Druck und ist deswegen als nicht besonders attraktive Fachdisziplin in vielen Krankenhäusern auch eher was die Kapazität angeht zurückgefahren worden, sodass jetzt in dieser besonderen Situation mit einer sehr starken RSV-Saison, kombiniert mit Influenza- und Coronaviren dann letzten Endes das Fass zum Überlaufen kam, aber das Fass was wir immer schon in den Jahren zuvor auch randvoll.
Appelmann: Habe ich ihre Analyse gerade richtig verstanden? Die Kinder- und Jugendmedizin ist wirtschaftlich wenig interessant. Ich sage es mal einfach: Weil es wenig zu verdienen gibt, hat man immer mehr Betten in den Kinderkliniken zurückgefahren?
Knuf: Ja, grundsätzlich ist es ja nicht ehrenrührig zu verdienen. Natürlich muss auch eine Pädiatrie durchfinanziert sein, aber das ist sie in dem derzeitigen System nicht. Wir sind einfach mit einer starken Saisonalität, einem hohen Anteil an Vorhaltebetten und einer starken Breite im Fach – stellen Sie sich bitte vor, dass in Kinderkliniken Menschen mit 400 Gramm und 140 Kilogramm betreut werden, was bedeutet, dass eine sehr besondere Art der Vorhaltung betrieben werden muss.
Man braucht eben nicht nur eine Bettengröße, sondern mehrere. Und das gilt für alle Instrumente und Behandlungsnotwendigkeiten und eben auch für die in einer Kinderklinik arbeitenden Menschen, die eine sehr besondere Ausbildung benötigen. Es ist einfach ein komplexes, teures und aufwändiges Fach.
Appelmann: Nun soll es für Kinderkliniken in diesem und im nächsten Jahr jeweils 300 Millionen Euro zusätzlich geben. Wird damit das Problem gelöst?
Knuf: Ja, grundsätzlich ist es sehr zu begrüßen, dass Minister Lauterbach und auch andere erkannt haben, dass die Pädiatrie nicht nur jetzt in Rheinland-Pfalz, sondern sich an allen Standorten in der Bundesrepublik in einer Schieflage befindet und deswegen eine Unterstützung erfährt.
Der Punkt ist allerdings: Wir haben gut 300 Kinder-und-Jugendabteilung und Kliniken. Und wenn Sie das runterbrechen, ist das 1 Million für jede Abteilung. Das ist zwar eine große Summe, aber auch schnell weg, weil, wie Sie sich vorstellen können, erhebliche Strukturmängel und Infrastrukturmaßnahmen da sind, die mit einer selbst so großen Summe nicht zu beheben sind. Sondern was es wirklich braucht, ist ein echter Systemwandel hin zu einer daseinsfürsorglichen Vorhaltemedizin in der Pädiatrie, die wir uns einfach leisten wollen, so wie wir uns die Feuerwehr leisten.
Appelmann: Ganz kurz noch zu einem weiteren Problem. Seit Wochen sind wichtige Medikamente für Kinder – wie Fiebersäfte und Schmerzzäpfchen – nicht oder nur schlecht zu bekommen. Nun wurde beschlossen, dass die Festbeträge für bestimmte Medikamente für drei Monate ausgesetzt werden. Bringt das wenigstens Entspannung?
Knuf: Gestatten Sie mir die Bemerkung, dass ich das skandalös finde, dass mitten in unserem Land Medikamente nicht verfügbar sind. Wir reden jetzt nicht über eine hochspezialisierte Medikamente, sondern einfache Antibiotika, einfache Schmerzmittel sind nicht verfügbar. Das Ganze ist Folge einer hemmungslosen Ökonomisierung über die letzten Jahre. Da hat man sicher sehr kurz gedacht. Natürlich ist es richtig, von der Festpreisbindung abzukommen.
Drei Monate sind allerdings ein Zeitraum, die, das stelle ich mir so vor, keinen Unternehmer oder eine Unternehmerin dazu bringen werden, grundsätzlich die Produktion zu ändern.
Appelmann: … sagt Prof. Markus Knuf, Chefarzt am Kinderklinikum Worms. Danke Ihnen.
Knuf: Vielen Dank für das Gespräch.