Kehrtwende bei der EZB?

Der radikale Umbau der deutschen Energieversorgung ist – dies zeigt sich immer deutlicher – nicht zum Nulltarif zu bekommen. Zum Jahresbeginn haben mehr als 300 der 800 deutschen örtlichen Energieversorger ihre Preise um durchschnittlich 15 Prozent erhöht – und wir stehen erst am Beginn der Energiewende. Dass die galoppierenden Energiepreise einen gehörigen Einfluss auf die Inflation haben, dämmert mittlerweile auch der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Im Dezember lag Inflation bereits bei 5 Prozent. Nun deutet sich ein Umdenken bei der EZB an.

Lange Zeit  wollte die Europäische Zentralbank in Frankfurt von Inflation nichts wissen und nichts hören. Nun überraschte am Wochenende die deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel mit einer Aussage, die aufhorchen ließ. Die Auswirkungen der Energiewende auf die Inflation seien bislang nicht ausreichend berücksichtig worden. Und sie ging noch weiter: Das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bei Brennstoffen wie Gas und die steigenden CO2-Abgaben würden sich nachhaltig und länger auf die Inflation auswirken.
Isabel Schnabel, Direktorin Europäische Zentralbank
„Die Energiewende stellt also ein messbares Risiko dafür dar, dass sich die Inflation mittelfristig oberhalb unserer Prognose bewegen wird.“
Eine anhaltende Inflation sorgt dafür, dass das Vermögen und die Löhne der Menschen weniger wert sind. Sie schafft Verunsicherung und schwächt dadurch auch die Wirtschaft. „Greenflation“ nennen Experten den Teil der Inflation, der durch die Energiewende ausgelöst wird.
Professor Christian Rieck, Frankfurt University of Applied Sciences
„Greenflation ist eigentlich eine beschönigende Bezeichnung, also ein Euphemismus für den Sachverhalt, das dadurch, dass wir jetzt grüner werden ganz einfach die Preise steigen. Und Preise steigen, das ist ein bisschen auch eine Verschleierung dessen, was wirklich passiert. Wir sind danach nämlich einfach ärmer.“
Auch der neue Präsident der Deutschen Bundesbank Joachim Nagel warnte heute bei seiner offiziellen Amtseinführung in Frankfurt vor einer anhaltend hohen Inflation. Er wolle die vorsichtige Geldpolitik seines Vorgängers Jens Weidmann fortführen, sagte er mit Blick auf EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Denn während Banken in den USA und England zuletzt angekündigt hatten, ihre Zinsen im Kampf gegen die steigenden Preise anheben zu wollen, sagte EZB-Chefin Christine Lagarde erst im Dezember es sei „sehr unwahrscheinlich“, dass man im kommenden Jahr die Zinsen anheben werde.
Eine Haltung, die bei vielen Finanzexperten für Kopfschütteln sorgt.
Dr. Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank AG
„Ja, jetzt ist die Inflation erst einmal hoch wegen Corona, aber sie muss ja auch mal wieder runterkommen. Und sie wird nicht runterkommen, wenn die EZB weiter Vollgas gibt. Und sie wird auch nicht runterkommen, wenn die EZB weiter mit negativen Leitzinsen operiert. Also, die EZB muss dringend den Fuß vom Gas nehmen, damit aus einem einmaligen Inflationsproblem, nicht ein dauerhaftes Inflationsproblem wird.“
Sicher aber ist jetzt schon eines: Für die Verbraucher wird es ungemütlich, sollte es nicht gelingen die Inflation in den Griff zu bekommen. Zwar können sich Schuldner freuen, denn der reale Wert ihrer Schulden schmilzt. Für alle anderen hingegen drohen schwere Zeiten anzubrechen, denn neben hohen Verbraucherpreisen mit ständig steigenden Lebenshaltungskosten, verliert auch das Sparvermögen kontinuierlich an Wert.