Interview mit dem Virologen Dr. Martin Stürmer

Wie geht es weiter mit Corona? Zu diesem Thema ist uns der Frankfurter Virologe Dr. Martin Stürmer zugeschaltet.

Maike Dickhaus, Moderatorin: Guten Abend.
Dr. Martin Stürmer, Virologe IMD Labor Frankfurt: Ich grüße Sie.
Dickhaus: Wir haben es eben im Beitrag gesehen: In den jüngeren Altersgruppen gibt es teilweise sehr hohe Inzidenzen, in den Schulen haben wir aber trotzdem Präsenzunterricht. Ist das zu verantworten, die Pandemie da jetzt einfach so durchlaufen zu lassen?
Stürmer: Also, der Präsenzunterricht an sich kann meiner Meinung nach durchaus stattfinden, weil wir haben ja in den letzten Monaten gelernt, wie schädlich es letztendlich für die Kinder ist, wenn sie eben nicht vernünftig in den Unterricht gehen können. Aber man muss natürlich angesichts des Infektionsgeschehens und der hohen Inzidenz in dieser Altersgruppe eigentlich vernünftige Vorsichtsmaßnahmen treffen, dass es dort eben nicht zu Ausbrüchen kommt. Dazu gehört für mich ganz klar auch das Masketragen in Innenräumen und während des Unterrichts.
Da ist ja die Diskussion in Richtung Abschaffung und teilweise ist es ja schon abgeschafft worden. Das halte ich für kontraproduktiv, weil das widerstrebt meinem Befinden. Ich möchte gerne, das Infektionsgeschehen auch in gerade dieser Altersgruppe so gering wie möglich halten.
Dickhaus: Noch wissen wir nicht viel über Long Covid, also die Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung – auch bei Kindern – und vielleicht wird das auch noch Jahre dauern. Das würde ja heißen, wenn man den Begriff Long Covid ernst nimmt, dass wir die Schutzmaßnahmen noch jahrelang laufen lassen müssten.
Stürmer: Ach, nein. Long Covid ist natürlich eine ganz wichtige wichtige Diskussion, weil das ist genau mein Argument. Die Kinder werden ja in der akuten Phase gar nicht richtig schwerkrank. Es gibt selten Krankenhauseinweisungen, noch weniger Todesfälle. Insofern wird damit immer argumentiert: Lass es doch laufen bei den Kindern. Aber Long Covid ist eben ein Problem. Ich sehe es etwas anders.
Wir werden zur Normalität zurückkehren müssen, auch über kurz oder lang. Ich denke auch Anfang nächsten Jahres, vielleicht Richtung Sommer, können wir darüber diskutieren, wenn dann die Impfung für alle da ist. Ich habe dann aktiv die Chance, auch als junger Mensch, als Jugendlicher, mich vor dieser Erkrankung zu schützen und auch vor den Folgeschäden zu schützen.
Weil es ist ja schon so, dass durchaus aufgrund der Impfung eben auch weniger mit Long Covid zu rechnen ist. Insofern macht das dann schon Sinn, auch wieder zur Normalität zurückzukehren, auch in Bezug auf Long Covid.
Dickhaus: Der Virologe Christian Drosten hat zuletzt mit seiner Aussage für Wirbel gesorgt, dass es für das Immunsystem durchaus von Vorteil sei, wenn man sich bei vollständigem Impfschutz mit dem Virus infizieren würde. Was halten Sie denn von einer solchen Aussage?
Stürmer: Ja, es ist sicherlich jetzt rein wissenschaftlich formuliert. Das war keine praktische Handlungsanweisung, dass sich jetzt jemand, der geimpft ist, nochmal zusätzlich mit dem Virus infizieren sollte, um eine noch breitere Antwort zu bekommen. Aber natürlich ist es so, dass wir mit dem Impfstoff ja im Prinzip eine Antikörperproduktion anregen, wo wir das Immunsystem in eine Richtung stimulieren, nämlich in der Hinsicht, dass wir dieses sogenannte Spike-Protein verwenden.
Wenn ich mich mit dem Vollvirus infiziere, bekomme ich natürlich eine viel breitere Immunantwort gegen andere Virus-Proteine, die ich durch die Impfung eben nicht bekomme und habe damit natürlich eine etwas breiter aufgestellte Immunantwort. Das ist aber rein wissenschaftlich. Ich glaube, dass wir anhand der Zahlen sehen, wie gut die Impfung funktioniert, dass es da nicht notwendig ist, sozusagen ein Wildvirus-Booster mit einzuführen.
Dickhaus: Die Ständige Impfkommission empfiehlt derzeit eine Auffrischungsimpfung für Über-70-Jährige und Pflegepersonal. Wenn wir dadurch besser geschützt sind, sollte nicht jedem zeitnah eine solche Booster-Impfung angeboten werden?
Stürmer: Es ist eine Frage der Zeit, wann wir die Booster-Impfung für alle bekommen werden. Letztendlich fehlen uns noch aktuell genaue Handlungsrichtlinien, ab welchem Zeitpunkt insgesamt eine dritte Impfung für wen sicher ist – oder notwendig ist, sagen wir es mal so rum. Sicher ist sie auf jeden Fall, aber ob sie notwendig ist und ob wir nicht Ressourcen verballern, die wir für andere Dinge benutzen, also erst mal für uns selber, um Noch-nicht-Geimpfte impfen zu können.
Aber auch im Hinblick auf die weltweite Bedrohung, weil die Pandemie ist ja ein weltweiter Prozess und nicht ein deutschlandspezifischer. Wir müssen schon zusehen, um das Ganze insgesamt besser kontrollieren zu können, dass wir auch in der Welt mehr impfen. Ich bin noch nicht bereit, den Impfstoff jetzt für alle freizugeben in eine dritte Impfung, weil ich glaube, da fehlt uns noch der Handlungsspielraum. Aber es wird kommen.
Wir werden aus den Studiendaten lernen, ab wann es eben auch für jüngere Menschen notwendig sein wird, die Auffrischunsimpfung zu bekommen. Es kann durchaus sein, dass es ähnlich wie die jährliche Grippeimpfung in dem gleichen Schema ablaufen wird in Zukunft.
Dickhaus: Eine Einschätzung war das von Dr. Martin Stürmer, Virologe aus Frankfurt vielen Dank für das Gespräch.
Stürmer: Sehr gerne.