Interview mit dem Professor für Energiewirtschaft Sebastian Herold

Eva Dieterle spricht mit dem Energiewirtschaftsexperten über die weitere Abhängigkeit von russischem Gas und wie schnell man wirklich unabhängig davon werden könnte.

Eva Dieterle, Moderatorin: Darüber wollen wir jetzt mit Sebastian Herold sprechen, Professor für Energiewirtschaft von der Hochschule Darmstadt. Guten Tag!
Prof. Sebastian Herold, Hochschule Darmstadt: Hallo, grüße Sie.
Dieterle: Herr Prof. Herold, wie abhängig ist Deutschland denn noch von russischem Gas?
Herold: Wir sind vom russischen Gas immer noch abhängig, trotz aller Bemühungen, das zu ändern. Im letzten Jahr kamen immer noch rund die Hälfte des Gases, das wir beziehen, aus Russland und wir unternehmen gerade eine Reihe von Maßnahmen, die auch helfen werden, diese Abhängigkeit zu reduzieren. Bis zu einer wirklichen Unabhängigkeit ist das allerdings ein weiter Weg und mindestens diesen Winter und sicherlich auch anteilig im kommenden Winter werden wir noch von russischem Gas abhängig sein.
Dieterle: Sie haben es gerade gesagt, wir müssen unabhängiger vom russischen Gas werden. Wie können wir es ersetzen?
Herold: Es gibt ja gerade sehr intensive Bestrebungen, statt des russischen Gases zukünftig verflüssigtes Erdgas zu beziehen über Tankschiffe, sogenanntes LNG. Dafür wird die entsprechende Infrastruktur aufgebaut, die Anlageterminals an den Küsten. Das ist aber nicht nur eine Frage, dass diese Infrastruktur geschaffen wird, sondern das Gas muss auch erst mal vorhanden sein auf dem Weltmarkt und deshalb benötigt das etwas Vorlaufzeit, sodass für diesen Winter davon keine größeren Entlastungen zu erwarten sind.
Dieterle: Wie sieht es mit anderen Energie-Quellen aus. Könnten die auch das russische gas zum Teil ersetzen?
Herold: Wir haben drei wesentliche Verbrauchsgruppen beim Erdgas. Es gibt die Großindustrie und das Gewerbe, das macht fast die Hälfte des Verbrauchs aus. Dann gibt es das Gas, was zum Heizen benötigt wird für unsere Wohnungen, das ist auch ein großer Anteil und der kleinste Anteil, das ist das Gas zur Stromproduktion. Und hier gibt es die meisten Möglichkeiten, weil wir hier Alternativen haben in Form von Kohlekraftwerken, die gerade schon wieder ertüchtigt werden, dass sie entsprechend weiterlaufen. Kernkraftwerke wären eine weitere Möglichkeit. Das alles hilft. Das alles wird aber nicht dazu führen, dass wir in diesem Winter wirklich unabhängig werden von russischem Gas.
Dieterle: Es wird derzeit auch diskutiert, ob man unsere letzten Atomkraftwerke länger laufen lassen sollte, ist das denn technisch überhaupt möglich?
Herold: Es gibt dafür einige Voraussetzungen, die geschaffen werden müssten. Diejenigen, die dort arbeiten, müssten bereit sein, über das Jahresende hinaus weiter tätig zu sein. Die Brennstäbe, die momentan dort genutzt werden, könnten vielleicht ein Stückchen weit noch gestreckt werden, aber anschließend müssten neue beschafft werden. Bislang kommt ein großer Teil der Brennstäbe auch aus Russland. Wenn man das nicht möchte, gibt es Alternativen, beispielsweise Kanada und Australien. Aber auch hier braucht man etwas Vorlaufzeit. Gleichwohl wäre das eine Möglichkeit, eben die russische Abhängigkeit noch ein Stückchen weiter zu reduzieren.
Dieterle: Müssen wir damit rechnen, dass die Gaspreise in absehbarer Zeit steigen werden?
Herold: Wir haben aktuell bereits ein sehr hohes Niveau. Die Frage wird sein, ob die russischen Gaslieferungen, die momentan ja schon reduziert sind, ob die noch weiter reduziert werden. Wenn das passieren sollte, könnten wir im Winter tatsächlich in eine Gasmangelsituation gelangen und dann wäre die Situation, dass nicht nur die Gaspreise an den Großhandelsmärkten an den Börsen steigen, sondern dass in einer solchen Mangelsituation auch die Gasversorger das Recht haben, ihre Gaspreise gegenüber den Kunden sehr kurzfristig zu ändern, also zu erhöhen, selbst wenn das vertraglich eigentlich nicht vorgesehen ist.
Dieterle: Herr Prof. Herold, vielen Dank für Ihre Einschätzungen.
Herold: Sehr gerne.