Interview mit dem Frankfurter Virologen Martin Stürmer

Gensenenstatus von neun auf drei Monate verkürzt und womöglich eine vierte Impfung? Markus Appelmann hat viele Fragen an Dr. Martin Stürmer.

Markus Appelmann, Moderator: Vieles was wir jetzt vertiefen können – daher schalten wir nun zum Frankfurter Virologen Dr. Martin Stürmer. Guten Tag.
Dr. Martin Stürmer, Virologe IMD Labor Frankfurt : Schönen Tag, ich grüße Sie!
Appelmann: Herr Stürmer, so viele Corona-Neuinfektionen an einem Tag wie noch nie in Deutschland – 133.000 neue Fälle wurden gemeldet. Auf was müssen wir uns in den nächsten Wochen einstellen?
Stürmer: Ja, es ist zu befürchten, dass das noch nicht das Ende der Fahnenstange ist. Ich rechne mit weiter steigenden Zahlen. Wir müssen nur in die Nachbarländer schauen, die früher die Omikronwelle abbekommen haben, was dort an Infektionen möglich gewesen ist.
Und dementsprechend müssen wir davon ausgehen, dass das auch an uns nicht komplett spurlos vorbeigeht, sondern dass die Zahlen weiter steigen. Wir haben halt Omikron gegenüber zwar die Boosterung und wir haben die Kontaktbeschränkungen, aber wir sehen, dass eben beides nicht im gleichen Maße wirksam ist wie gegenüber der Delta-Variante.
Insofern, wenn man nicht noch weitere Rekordzahlen hinterher haben möchten, müssen wir vielleicht überlegen, noch ein bisschen gegensteuern zu müssen.
Appelmann: Das wird Thema auf der Ministerpräsidentenkonferenz am Montag sein, genau wie auch weitere Impfungen. Sollte es bald eine vierte Impfung für alle geben?
Stürmer: Die vierte Impfung ist ein wichtiges Thema, aber ich glaube nicht, dass wir sie für die breite Masse mit dem alten Impfstoff anvisieren sollten. Es gibt sicherlich Menschen, gerade Risikopatienten, bei denen die Boosterung schon so lange zurückliegt, dass man da über einen Zwischenschritt, eine Zwischenimpfung nachdenken sollte, bis tatsächlich der Omikron angepasste Impfstoff auf dem Markt ist. Für das Gros der Bevölkerung, denke ich, ist es sinnvoll, auf diesen Impfstoff zu warten und mit diesem Impfstoff die nächste Impfung durchzuführen.
Appelmann: Kurze Nachfrage mit der Bitte um kurze Antwort: Müssen wir uns an ständige Auffrischimpfungen womöglich im 3-Monats-Abstand gewöhnen?
Stürmer: Ja, man bekommt aktuell den Eindruck, dass das so wäre, dass man regelmäßig alle drei Monate sich impfen lassen muss. Ich gehe aber davon aus, dass mit den angepassten Impfstoffen, mit mehr Erfahrung, einfach auch ein längerer Abstand möglich sein wird, wie mit der normalen Grippeimpfung zum Beispiel.
Appelmann: Nach einer überstandenen Corona-Infektion galt man bislang sechs Monate als genesen. Seit Samstag ist der Nachweis laut RKI nur noch drei Monate gültig. Ist diese Änderung im Hauruck-Verfahren wissenschaftlich unterfüttert?
Stürmer: Das ist ein doch auch für mich sehr überraschend gekommenes Statement gewesen, dass plötzlich der Genesenenstatus auf drei Monate reduziert worden ist. Sicherlich hat man sich die Omikron-Daten angeschaut und gesehen, dass zum Beispiel auch der Schutz nach einer Boosterimpfung nach drei Monaten anfängt zu bröckeln, und möglicherweise hat das als Aufhänger genommen, um eben auch diesen Abstand bei den Genesenen zu verkürzen. Auf der anderen Seite erhöht die Schweiz gerade den Abstand auf zwölf Monate. Jetzt muss man sich hinterfragen: Haben Sie andere Daten? Ist es ein anderes Virus? Insofern ist da, glaube ich, noch viel Diskussionsstoff drin und deswegen denke ich auch, dass das vielleicht zum jetzigen Zeitpunkt vertretbar ist, aber auch gerade in der Kommunikation sehr unglücklich gelaufen.
Appelmann: Bleiben wir noch ganz kurz dabei. Man müsste doch sogar meinen, dass Genesene im Fall Omikron einen besseren Schutz haben als Geimpfte?
Stürmer: Eigentlich sollte man tatsächlich davon ausgehen, dass jemand, der die Omikron-Infektion jetzt aktuell durchmacht, natürlich gegenüber Omikron einen optimalen Schutz hat, auch über die drei Monate hinaus.
Deswegen ist es auch gerade schwierig. Natürlich muss man unterscheiden, wer hat eine Delta-Infektion gehabt, der wird möglicherweise als Genesener dem Omikron nicht viel entgegenzusetzen haben. Und da ist es natürlich schwierig, dann wirklich diese Differenzierung zu machen. Da müsste man tatsächlich ein „genesen nach Omikron“, „genesen nach Delta-Infektion“ definieren und dann wird das ganze sicherlich zu kompliziert und zu umfangreich.
Es ist viel Diskussionsbedarf dort und ich bin mir nicht sicher, ob das RKI sich damit einen Gefallen getan hat, das so ad hoc zu machen. Auf der anderen Seite sind das erfahrene Experten, die dort diese Entscheidung treffen. Insofern wird da sicherlich auch irgendwo eine wissenschaftliche Begründung vorliegen.
Appelmann: Danke an den Frankfurter Virologen Dr. Martin Stürmer.
Stürmer: Sehr gerne.