Interview mit Cihan Çelik, Leiter der Corona-Station am Klinikum Darmstadt

Eva Dieterle spricht mit Cihan Çelik über die Lage am Klinikum Darmstadt.

Eva Dieterle, Moderatorin: Guten Tag.
Dr. Cihan Çelik, Leiter Covid-Station Klinikum Darmstadt: Guten Tag.
Dieterle: Herr Çelik, wie ist die aktuelle Situation bei ihnen vor Ort am Klinikum in Darmstadt?
Çelik: Seit Februar hat sich die Situation deutlich verändert. Zu Beginn war es bei der Omikron-Welle tatsächlich so, dass der Altersschnitt sehr viel jünger war. Wir wissen, damals waren vor allem jüngere Menschen von den Infektionen, von den Hochzahlen der Infektion betroffen. Diese Menschen waren tatsächlich eher mit und nicht wegen Covid im Krankenhaus. Aber wir haben auch damals schon davor gewarnt, dass dieses Virus sich in die höheren Altersgruppen vorarbeiten wird und dann wir wieder mehr schwere Verläufe sehen werden, die im Krankenhaus auch wegen Covid behandelt werden. Und genau so ist es auch gekommen. Momentan haben wir in Hessen einen Anteil der älteren Patienten, der mittlerweile wieder bei 15 bis 20% bei den Neuinfektionen liegt, und von denen ist anteilig eben sehr höhere Gefahr, dass die im Krankenhaus behandelt werden müssen. Und der Altersschnitt aktuell bei uns auf der Station liegt bei 80 unserer teilweise geimpften Patienten. Der Altersschnitt der ungeimpften Patienten die auch in Relation zur Bevölkerung stehen, was die Anzahl angeht, ist aber deutlich jünger. Dieser dieser Schnitt ist aktuell auf unserer Station bei 31 Jahren.
Dieterle: Man hatte ja eigentlich das Gefühl, dass sich die Lage nun zusehends entspannt, dass auch verschobene Operationen jetzt endlich nachgeholt werden können. Das ist aber nicht der Fall, oder?
Çelik: Das erwarten wir jetzt in den kommenden Wochen. Wir sehen, dass die Infektion zurückgehen. Wir sehen auch ganz vorsichtig, dass es etwas weniger Neuaufnahmen mit schweren Verläufen gibt. Und die Erfahrung zeigt uns natürlich, dass die Neuinfektionen, die sinken, dann auch zur Folge haben, dass wir nach eins zwei Wochen weniger stationäre Fälle sehen werden. Von daher glauben wir, dass in den nächsten zwei, drei Wochen eine weitere Station, die bisher für Covid-Patienten reserviert war seit Februar, wieder geöffnet werden kann für Nicht-Covid-Patienten. Und dann können wir wieder diese aufgeschobene Arbeit, diese ganzen Eingriffe, die wir vor uns herschieben, wo die Patienten zu Hause sitzen und auf den Anruf aus der Klinik warten, um diesen Eingriff zu bekommen, endlich nacharbeiten.
Dieterle: Das heißt Ihre Mitarbeiter gehen weiterhin am Limit. Was fordern Sie, damit sich die Lage für das Personal entspannt?
Çelik: Für das Personal brauchen wir keine kurzfristigen Bonus-Lösungen oder Gesten zur Wertschätzung, sondern tatsächlich strukturelle Verbesserung und Veränderung. Ich kann nicht für die Pflege sprechen, aber natürlich spreche ich mit der Pflege. Von daher weiß ich, dass es vor allem die Vereinbarkeit von Privatleben und Arbeitsleben sehr leidet und vor allem in der Pandemie sehr gelitten hat. Die Work-Life-Balance in der Pflege stimmt nicht, auch bei der Ärzteschaft ist das so. Man ist unterm Strich bei sehr dünnen Personaldecken dauerhaft in Bereitschaft. Es kann ein Kollege ausfallen und dann ist schon die Schicht nicht mehr zu bewältigen und weitere Kollegen müssen angerufen werden. Und in die Klinik kommen aus dem Frei. Das ist absoluter Standard in ganz Deutschland und daran muss sich etwas ändern. Dann können sich wahrscheinlich auch viele Menschen vorstellen, auch länger als nur ein paar Jahre in diesem Bereich zu arbeiten.
Dieterle: Ein Blick in die Zukunft ist immer schwer. Dennoch würde mich Ihre Prognose interessieren. Wie wird es in den Kliniken in den nächsten Monaten weitergehen, was erwartet sie?
Çelik: Wir erwarten einen verhältnismäßig ruhigen Sommer, so wie wir das jetzt auch schon gekannt haben. Wir werden einen gewissen Teil unserer Covid-Station noch weiter gesperrt lassen für Covid-Patienten. Das wird nie auf Null gehen. So war es auch in der Vergangenheit. Aber mit Blick auf den Herbst erwarten wir, dass wir mit einer noch nicht ganz klaren und unbekannten Variante wieder vor neuen Herausforderungen stehen. Also ist es wichtig, sowohl in der Klinik als auch für die Bevölkerung zu wissen, das Covid wahrscheinlich nicht erledigt ist, sondern dass wir natürlich noch im Spätsommer mehr wissen werden, welche Variante uns bevorsteht und dann müssen wir die richtigen Maßnahmen ergreifen. Entweder eine angepasste Impfung oder eine erneute Auffrischung, aber mehr Information, konkrete Informationen werden wir erst im Laufe des Sommers bekommen und dann ist es aber auch wichtig, dass wieder alle mitmachen, dass wir nicht im Kopf diese ganze Geschichte, die Pandemie abschließen. Es wird wieder ein Thema für uns alle werden.
Dieterle: Weiterhin viel Arbeit für Sie und Ihr Team. Herr Dr. Çelik, vielen Dank für das Interview.
Çelik: Gern.