Insolvenzwelle bei Kliniken befürchtet

Stellen Sie sich vor, die Feuerwehr würde nur bezahlt werden, wenn es brennt; die Polizei nur, wenn es eine Schießerei gibt. Blieben Brände und Einsätze aus, würde so manche Polizeiwache oder Feuerwehr pleitegehen. Doch genau so finanzieren sich in Deutschland Krankenhäuser – sie müssen wirtschaften. Patienten müssen auch behandelt werden, um damit Geld zu verdienen. Doch immer mehr Kliniken machen Verlust. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft fürchtet, über die deutschen Kliniken könnte eine Insolvenzwelle rollen.

An dieser Patientin wird die Kreisklinik Groß-Gerau wohl kein Geld verdienen. Denn je nach Krankheit der Patienten erhält sie unterschiedlich viel Geld von den Krankenkassen. Lange Aufenthaltsdauer bedeutet meist ein finanzielles Minus. Das System nennt sich Fallpauschale. Für die Geschäftsführerin Erika Raab ist dieser Spagat zwischen Gesundheit und Ökonomie Alltag.
Erika Raab, Geschäftsführung Kreisklinik Groß-Gerau
„Hier sieht man das Prinzip einer Fallpauschale. Der Patient kommt ins Krankenhaus und liegt seine Zeit. Wir haben eine sogenannte mittlere Verweildauer: An diesem Tag sind Kosten und Erlöse so, dass man auf null ist. Ist der Patient kürzer da, macht man Gewinn, je länger er liegt, desto mehr Verlust mache ich.“
Gerade Covid-Patienten in der Pandemie hätten besonders lange Betten belegt – aus Angst vor einer Infektion hätten viele Menschen Operationen verschoben, die nach den Fallpauschalen für das Krankenhaus lukrativ gewesen wären. Auch Kinderkliniken, die zuletzt durch Atemwegserkrankungen überfüllt waren, rechnen sich oft nicht.
Erika Raab, Geschäftsführung Kreisklinik Groß-Gerau
„Das Prinzip der Fallpauschalen ist im Prinzip ausgelutscht. Wenn man mehr Geld haben möchte, muss man mehr Fälle haben. Mehr Fälle bedeutet, mit dem gleichen Personal mehr Patienten betreuen.“
Personal, dass nach drei Jahren Pandemie ausgelaugt ist. Mehr Geld, durch mehr Operationen zu verdienen, sei da nicht möglich. Und die nächste Krise ist schon da: gestiegene Energiekosten. Die können Krankenhäuser aber nicht einfach an Kunden weitergeben wie Unternehmen. Unterm Strich rechnet die Kreisklinik Groß-Gerau dieses Jahr mit einem finanziellen Minus.
Erika Raab, Geschäftsführung Kreisklinik Groß-Gerau
„Die Kliniken bekommen in diesem Jahr 4 % mehr von den Krankenkassen, aber wir haben 10% Inflationskosten. Jeder, der rechnen kann, weiß, dass da 6% fehlen.“
Die Kreisklinik Groß-Gerau ist kein Einzelfall: Eine Studie des Deutschen Krankenhausinstituts zeigt, dass 2022 ein Großteil der Kliniken rote Zahlen schreiben.
Gerald Gaß, Vorsitzender Deutsche Krankenhausgesellschaft
„Die bestehende Lage der deutschen Krankenhäuser ist noch nie so schlecht seit Bestehen der Bundesrepublik gewesen. Wir haben über 60% der Kliniken, die tiefrote Zahlen schreiben. Das ist Folge der Pandemie zum einen, zum anderen aber auch der galoppierenden Inflation, für die es bislang keine Antworten im Krankenhausfinanzierungssystem gibt.“
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft geht davon aus, dass 2023 nur noch 20% der Kliniken Gewinne erwirtschaften – bei den Kliniken drohe eine Pleitewelle. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat deshalb jetzt eine Reform der Krankenhausfinanzierung angekündigt. Die sieht unter anderem vor, die medizinische Grundversorgung soll durch feste Geldbeträge gesichert werden – unabhängig von den Fall-Pauschalen.
Aber: Mehr Geld insgesamt sehe die Reform nicht vor, kritisieren Erika Raab und Gerald Gaß.
Erika Raab, Geschäftsführung Kreisklinik Groß-Gerau
„Also steht eigentlich im Programm, dass wir ein Kliniksterben haben werden. Beziehungsweise es weniger Kliniken geben wird, die als Krankenhaus Geld bekommen können.“
Gerald Gaß, Vorsitzender Deutsche Krankenhausgesellschaft
„Das ist gerade in ländlichen Regionen ein großes Problem, wo es nicht so viele Krankenhäuser gibt. Dadurch werden die Wege der Rettungsfahrzeuge länger, die Patienten müssen deutlich länger auf Behandlung warten und damit würde sich die Versorgung natürlich massiv verschlechtern.“
Und vorerst bleibt der Druck für Krankenhäuser, Patienten schneller zu entlassen, um Gewinne zu erwirtschaften – was in einer alternden Gesellschaft immer schwerer werden dürfte.