Impfpflicht ja oder nein oder doch vielleicht?

 Das Mainzer Pharma-Unternehmen BioNTech und sein US-Partner Pfizer haben erste klinische Studien mit einem Impfstoff begonnen, der speziell auf die Omikron-Variante zugeschnitten ist. Beide Unternehmen teilten heute mit, dass sie bereits mit der Produktion des neuen Impfstoffs begonnen haben. Sie seien bereit, den Impfstoff im März auszuliefern, wenn die Behörden die erforderlichen Genehmigungen erteilten. Gleichzeitig wird in Deutschland intensiv über eine allgemeine Impfpflicht diskutiert. Morgen soll es zu diesem Thema eine Bundestagsdebatte geben. Wir haben Spitzenpolitiker in Hessen und Rheinland-Pfalz nach ihrer Meinung gefragt.

In einem Punkt sind sich die Ministerpräsidenten der Länder einig: Um die Corona-Pandemie einzudämmen, muss die Impfquote steigen. Bisher sind gerade mal 61 Millionen Deutsche mindestens doppelt geimpft. Das entspricht einer Quote von 73,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Hessen und Rheinland-Pfalz liegen mit 72,1 und 72,7 Prozent knapp darunter. 20,4 Millionen Deutsche sind bisher nicht geimpft.
Die Regierungschef von Hessen und Rheinland-Pfalz, Volker Bouffier und Malu Dreyer, fordern deshalb eine allgemeine Impfpflicht, genau wie ihre Gesundheitsminister.
Clemens Hoch, SPD, Gesundheitsminister Rheinland-Pfalz
„Wir sehen, wie ansteckend Corona ist und wir wissen, das Virus geht nicht mehr weg. Wir werden auch noch mehr Wellen haben in den nächsten Wintern. Und wenn dann die Gesamtbevölkerung einmal grundimmunisiert ist, dann werden die Wellen einfach schwächer werden und wir brauchen nicht so viele Maßnahmen.“
Kai Klose, B‘90/Die Grünen, Gesundheitsminister Hessen
„Und es ist ja völlig eindeutig, dass die ungeimpften Personen diejenigen sind, die vor allem auch das Gesundheitswesen, die Krankenhäuser belasten. Die weit überwiegende Zahl der Menschen, die in Hessen in Krankenhäusern versorgt werden müssen, gerade auch auf Intensivstationen, sind ungeimpft, und deshalb auch ist es wichtig, jetzt dann auch zur Impfpflicht zu greifen.“
Tatsächlich sind zwei Drittel aller Corona-Intensivpatienten nicht geimpft. Anders als bei den letzten vier Corona-Wellen führen die Neuinfektionen aber nur noch selten zu einem Krankenhausaufenthalt. FDP-Politiker wie René Rock stehen deshalb einer Impfpflicht kritisch gegenüber.
René Rock, FDP, Fraktionsvorsitzender Landtag Hessen
„Die Umsetzbarkeit ist natürlich hochproblematisch und spaltet diese Gesellschaft, zumindest mal einen gewissen Teil, der sich absolut der Impfpflicht verweigert. Und darum muss man das sensibel machen und das kann man auch nicht mit knapper Mehrheit irgendwo durchdrücken.“
Es sei wichtig, dass es bei der Abstimmung im Bundestag keinen Fraktionszwang gebe und jeder frei nach seinem Gewissen entscheiden könne. Die Bundesregierung wird beim Thema Impfpflicht aber keinen Gesetzentwurf vorlegen. Stattdessen erarbeiten Abgeordnete über die Fraktionsgrenzen hinweg Gruppenanträge, die dann dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden. Die CDU kritisiert dieses Vorgehen.
Christian Baldauf, CDU, Fraktionsvorsitzender Landtag Rheinland-Pfalz
„Es ist die typische Vogelstraußmentalität: Mal was erzählen und dann den Kopf in den Sand stecken. Da muss man auch mal zu seiner Meinung stehen. Und ich erwarte, dass jetzt umgehend das umgesetzt wird, was der Bundeskanzler, die Ministerpräsidentin vorgeschlagen haben: Im Februar, März eine Impfpflicht einführen.“
Das dürfe aber nur dann passieren, wenn alle milderen Mittel ausgeschöpft sind, um die Pandemie in den Griff zu bekommen, meint die Linke.
Elisabeth Kula, Die Linke, Fraktionsvorsitzende Landtag Hessen
„Unserer Meinung nach ist da viel zu wenig passiert. Im letzten Jahr wurden sogar noch Impfzentren geschlossen, das war ein gravierender politischer Fehler. Dennoch halte ich es jetzt für richtig, diese Abstimmung im Bundestag freizugeben, zu einer Gewissensentscheidung zu machen. Ich persönlich würde zu diesem Zeitpunkt zähneknirschend für eine Impfpflicht stimmen.“
Ein solches Bekenntnis kommt Joachim Streit von den Freien Wählern in Rheinland-Pfalz nicht über die Lippen. Er spreche sich klar für die Impfung aus, nicht aber für eine Pflicht.
Joachim Streit, Freie Wähler, Fraktionsvorsitzender Landtag Rheinland-Pfalz
„Aus rechtlichen, ethischen und gesellschaftlichen Gründen. Rechtlich weil der Bund ja eine epidemische Lage nationaler Tragweite nicht weiter ausgerufen hat und das eine bedingt halt auch das andere. Ethisch deshalb, weil auch Menschen, die geimpft sind, können den Virus weiter übertrage. Und gesellschaftlich ist es kritisch, weil der Totimpfstoff noch nicht auf dem Markt ist.“
Es sei davon auszugehen, dass sich die Impfquote ab Mitte Februar von selbst erhöhe. Dann, wenn der erste Totimpfstoff in Deutschland eingesetzt werden kann.
Auch die AfD argumentiert gegen eine Impfpflicht.
Michael Frisch, AfD, Fraktionsvorsitzender Landtag Rheinland-Pfalz
„Die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht wäre ein massiver Eingriff in die körperliche Selbstbestimmung und damit auch in die Grundrechte unserer Bürger. Das ist allenfalls dann gerechtfertigt, wenn man eine außerordentlich medizinische Notlage hat oder das Gesundheitssystem zu kollabieren droht. Beides sehen wir nicht gegeben.“
Ob es eine Impfpflicht geben wird oder nicht, das hängt vor allem davon ab, wie sich die Bundestagsabgeordneten von FDP und CDU bei der finalen Abstimmung im März positionieren. Gut möglich, dass sich das Parlament auf eine altersbezogene Impfpflicht einigt.