Im Studiotalk: Nancy Faeser, die Landesvorsitzende der hessischen SPD

Es sind spannende Zeiten in der Politik – auch in Hessen. Obwohl erst in zwei Jahren ein neuer Landtag gewählt wird, macht sich bei der SPD Aufbruchsstimmung breit. Die Bundestagswahl ist für die Sozialdemokraten gut gelaufen und die schwarz-grüne Koalition ist deutlich angeschlagen. Bei uns zu Gast: die Oppositionsführerin im Landtag, SPD-Chefin Nancy Faeser. Sieht sie sich möglicherweise schon als kommende Ministerpräsidentin?

Das Urteil hat die schwarz-grüne Koalition schwer getroffen, auch wenn sich die Verantwortlichen nach Außen unerschüttert zeigen. Der hessische Staatsgerichtshof hat das Corona-Sondervermögen der Landesregierung für verfassungswidrig erklärt. Es ist ein Triumph für SPD und FDP, die gemeinsam gegen den von ihnen so genannten „Schattenhaushalt“ in Höhe von 12 Milliarden Euro klagt hatten. Und sie wollen ihre Chance nutzen und den angeschlagenen Regierungschef ins Taumeln bringen.
Nancy Faeser (SPD), Fraktionsvorsitzende hessischer Landtag, am 11.11.2021
„Dieser Schattenhaushalt war Ihr Schattenhaushalt. Deshalb ist dieser Verfassungsbruch auch ihr Verfassungsbruch. Und tun Sie nicht so, als hätte man das nicht wissen können. Wir hatten Sie gewarnt in mehrfachen Runden hier im Parlament. Hören Sie endlich auf sich zu verstecken und übernehmen Sie die Verantwortung für das Scheitern Ihrer Politik.“
Und die nächste Verfassungsklage steht schon im Raum. Vor wenigen Tagen ändert die schwarz-grüne Mehrheit das Beamtengesetz und macht damit den Präsidenten des Landeskriminalamtes zu einem politischen Beamten. Der LKA-Präsident müsse dem Rechtsstaat verpflichtet sein, nicht einer Partei, sagt die SPD.
Dass die Luft für schwarz-grün dünn ist, hat auch die Bundestagswahl gezeigt: Die SPD liegt in Hessen klar vor der CDU und könnte eine Ampelkoalition mit Grünen und FDP bilden. Erweisen sich die Koalitionsverhandlungen in Berlin also als Blaupause für Wiesbaden? Oder folgt nach einer möglichen Regierungsbildung im Bund eine rasche Ernüchterung, die die hochfliegenden Träume der Hessen-SPD auf den Boden holt?
Markus Appelmann, Moderator: Fragen, über die wir jetzt mit der Fraktionsvorsitzenden der SPD im Hessischen Landtag sprechen. Nancy Fraser, herzlich willkommen!
Nancy Faeser, SPD, Fraktionsvorsitzende Hessen: Vielen Dank.
Appelmann: Frau Faeser, lassen Sie uns im Bund starten. Sie waren bei den Koalitionsverhandlungen mit dabei, deswegen jetzt einfach auch mal die Frage: Steht der Zeitplan? Also wird Olaf Scholz rund um den Nikolaustag Kanzler von Deutschland werden? Und warum bringt er sich nicht viel aktiver jetzt schon in die Politik ein?
Faeser: Also ich glaube, der Zeitplan steht noch bislang. Die Verhandlungen sind bislang gut gelaufen. Ich höre auch aus der Verhandlungsgruppe rund um Olaf Scholz jetzt nichts anderes, insofern bin ich ganz zuversichtlich, dass es soweit läuft. Warum man nicht mehr von Olaf Scholz hört, ist, glaube ich, seine Form von sehr professioneller Arbeit, was ja jetzt sehr wohltuend für uns alle ist. Vielleicht nicht für Sie direkt, weil man nicht so viel berichten kann. Aber es ist ja so, dass viel geplaudert wird es aus den Runden, wo man gerade steht, um was es gerade geht …
Appelmann: Aber wir haben eine Pandemie in Deutschland momentan. Also da müsste er sich vielleicht auch mal einbringen.
Faesrr: Das hat er ja, das hat er ja. Er hat ja, als das Infektionsschutzgesetz eingebracht wurde im Deutschen Bundestag, da hat er sich ja eingebracht. Und er hat auch das Notwendige, was es dieser Tage braucht, an gesetzlichen Änderungen auf den Weg gebracht.
Apppelmann: Bei der Bundestagswahl, wir haben es gerade eben gesehen, hatte die SPD in Hessen die Nase vorn und bei einer aktuellen Landtagswahl-Umfrage ebenfalls die SPD. Gerade eben ist schon angeklungen, könnte denn die Ampel aus SPD, Grünen und FDP eine Blaupause für Hessen sein?
Faeser: Wenn es gut läuft, sicherlich. Aber ich glaube, es ist noch zu früh, darüber zu spekulieren. Wir haben noch zwei Jahre vor uns, wo wir jetzt einfach zeigen müssen, dass nach über 20 Jahren CDU-regierter der Landesregierung auch meinen Wechsel wieder her muss.
Appelmann: Aber streckt man da so ein bisschen die Fühler aus? Lassen Sie uns doch mal ein bisschen Mäuschen spielen.
Faeser (lacht): Was heißt: Streckt man die Fühler aus? Sie haben ja Arbeitszusammenhänge und die sind ja durchaus zu den Kolleginnen und Kollegen von FDP oder Grünen auch nicht schlecht. Und insofern versucht man natürlich jetzt ein bisschen mehr noch mal daran anzuknüpfen und es wird sich sicher auch das Kräfteverhältnis im Parlament noch mal ein bisschen verändern. Im Gegensatz zu der jetzt starren Front aus Schwarz-Grün gegen Rot-Gelb. Ich glaube, das wird sich durch eine Ampelregierung im Bund jetzt auflösen. Zumindest ein bisschen. Sie werden zu ihrer Koalition stehen, aber sie merken ja auch, sie kommen nicht voran in dieser Konstellation. Schwarz-Grün ist sehr starr. Man hat manchmal sehr weit auseinander liegende Meinungen und das bringt natürlich ein Land nicht gerade voran.
Appelmann: Wir haben gerade eben das Corona-Sondervermögen gesehen. Die SPD macht da einen „Fall Boddenberg“ daraus. Sie haben den Finanzminister zum Rücktritt aufgefordert. Ist das der richtige Zeitpunkt, um über Personalien zu sprechen, jetzt, wo es um die Zukunft des Landes geht?
Faeser: Ich glaube, es war der richtige Zeitpunkt nach einem solchen Verfassungsbruch. Die hessische Landesregierung hat sich letztes Jahr mal eben einen Schattenhaushalt in Höhe von 12 Milliarden, das ist 1/3 des gesamten Landeshaushaltes, geschaffen u nd das für vier Jahre, ohne dass das Parlament weiter mitreden kann. Das war schon sehr einmalig. Und diese Form ist jetzt ja aufgehoben worden, sehr eindrucksvoll vom Staatsgerichtshof für verfassungswidrig erklärt worden. Und dass man dann sagen muss: „Naja, für so ein Debakel muss auch jemand die Verantwortung übernehmen“, ist, glaube ich, auch richtig. Auch wenn es jetzt erst mal um wichtige Fragen des Gesundheitsschutzes für die Bevölkerung geht, muss es erlaubt sein, solche Dinge dann auch zu benennen, zu sagen: „Wer trägt ja eigentlich die Verantwortung?“.
Appelmann: Und lassen Sie uns genau bei diesen wichtigen Fragen anknüpfen, bei Corona. Am Donnerstag läuft die epidemische Notlage aus. Die Ampel-Parteien hatten sich darauf verständigt. Wenn jetzt das auch nicht heißt, dass die Schutzmaßnahmen enden, ist das der richtige Zeitpunkt so eine Notlage auslaufen zu lassen?
Faeser: Ich glaube, es war sehr wichtig, der Bevölkerung zu sagen, dass dieses Jahr etwas anders ist als letztes Jahr. Deswegen hat man ja auch die epidemische Lage als Begriff auslaufen lassen, hat jetzt aber sehr wirksame Maßnahmen nach wie vor. Und ich sage mal, die letzten Wochen und Monate, die sind ja von den aktuellen Regierungen viel zu wenig genutzt worden, gerade auch hier in Hessen. Es gab ja den gesamten Instrumentenkoffer. Wir haben sehr frühzeitig davor gewarnt, die Impfzentren zuzumachen – es war ein Fehler, das sagt jetzt heute jeder – und es wäre sicherlich richtig gewesen, frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen. Ich finde es ein starkes Signal, dass die zukünftige Regierung in Berlin jetzt schon in der Lage ist, sich zu verständigen auf wesentliche Punkte in der Pandemiebekämpfung, weil das hat es ja historisch so auch noch nicht gegeben, dass dann im Parlament schon neue Mehrheiten dafür genutzt werden. Es gibt eine Reihe von guten Maßnahmen, unter anderem 2G oder 2G+, das heißt, dass man nur noch geimpft / genesen plus Test irgendwo reinkommt. Das führt zu viel mehr Sicherheit und führt aber auch zu einer Entlastung der Geimpften, weil wir müssen auch sehen, dass wir mehr Druck auf die Ungeimpften ausüben.
Appelmann: Da waren Sie ja früh dabei, dass Sie den Druck auf Ungeimpfte weitergegeben haben. Klare Frage zum Abschluss: Sind Sie für eine Impfpflicht für alle in Deutschland?
Faeser: Ich glaube, es war ein Fehler, von vornherein in der Pandemie das auszuschließen. Und es ist sicher etwas, wo man sehr genau juristisch draufgucken muss. Es ist keine epidemische Lage, die ich durch Impfen ausrotte. Das ist verfassungsrechtlich eine schwierige Frage. Deswegen würde ich nicht sagen, dass man eine Impfpflicht braucht, weil man vermutlich vorm Verfassungsgericht damit scheitert. Aber den Druck nach wie vor auf Ungeimpfte zu verstärken, halte ich für richtig. Und man muss jetzt gute Kampagnen machen, um die Menschen zu erreichen, insbesondere die vielen, die über 60 sind und noch nicht geimpft sind, ihnen einfach auch aufzuzeigen: „Schaut mal, wie wenige Geimpfte jetzt auf der Intensivstation landen und wie viele Ungeimpfte“, um ihnen zu sagen: „Hier, ihr könnt euren Beitrag dazu leisten, dass unser aller Leben wieder ein bisschen normaler wird“.
Appelmann: Danke schön an die Fraktionsvorsitzende der SPD im hessischen Landtag, an Nancy Fraser.
Faeser: Vielen Dank!