Im Studio: RLP-Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD)

Es heißt oft, das Gesundheitssystem sei krank. Heilung soll jetzt eine Krankenhausreform bringen. Darüber spricht Eva Dieterle mit dem rheinland-pfälzischen Gesundheitsminister Clemens Hoch.

Patient Gesundheitssystem. Die Diagnose: chronische Unterfinanzierung mit dringendem Behandlungsbedarf.
Der Blick in die Krankenakte zeigt: Erst die Corona-Krise, dann die Inflation, steigende Energiekosten und höhere Löhne setzen die Krankenhäuser unter Druck. Immer mehr Kliniken fürchten eine Insolvenz, auch in Hessen und Rheinland-Pfalz.
Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern sind sich deshalb einig: Es braucht eine Reform, um das wirtschaftliche Überleben vieler Kliniken zu sichern.
Bisher bekommen die Krankenhäuser ihr Geld vor allem aus zwei Quellen. Die Kosten für Investitionen, zum Beispiel in neue Gebäude, übernehmen die Länder. Die laufenden Betriebskosten, etwa für das Personal, zahlen die Krankenkassen. Dabei orientieren sie sich an sogenannten Fallpauschalen, die für eine bestimmte Behandlung eine bestimmte Vergütung vorsehen. Das führt allerdings dazu, dass auch kleine Krankenhäuser versuchen, möglichst viele Patienten zu bekommen und schwierige Operationen durchführen.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will das jetzt ändern: Künftig soll nicht mehr das Prinzip „Alle machen alles“ gelten.
Die Kliniken sollen stattdessen in 3 Level eingeteilt werden.
Alle medizinischen Leistungen – die sogenannte Maximalversorgung vom gebrochenen Arm bis hin zur Organtransplantation – bieten dann nur noch sogenannte Level-III-Häuser an, etwa Universitätskliniken.
Level-II-Häuser beschränken sich auf bestimmte Fachgebiete, haben zum Beispiel eine Abteilung für Erkrankungen des Nervensystems oder für Herzpatienten.
Level-I-Häuser sollen nur eine Basisversorgung und eine Notaufnahme anbieten.
Sie sollen künftig unabhängig von der Zahl der Patienten eine Pauschale dafür erhalten, dass sie Personal und Geräte bereithalten.
Fazit: Patient Gesundheitssystem muss sich auf eine langwierige Rundumbehandlung einstellen.
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Eva Dieterle, Moderatorin: Jetzt begrüße ich den rheinland-pfälzischen Gesundheitsminister live bei mir im Studio, Clemens Hoch. Guten Abend.
Clemens Hoch, SPD, Gesundheitsminister Rheinland-Pfalz: Guten Abend.
Dieterle: Herr Hoch, wie ernst ist denn die Lage im Bereich der Krankenhäuser und Kliniken in Rheinland-Pfalz? Was würde passieren, wenn es auf absehbare Zeit keine Reform geben würde?
Hoch: Wir haben in Rheinland-Pfalz noch eine ziemlich gute Lage, gemessen am Bild bundesweit, denn wir haben viele gute, dezentral funktionierende Klinikstandorte und wir haben hochmotiviertes und ausgebildetes Fachpersonal. Und trotzdem ist es richtig, dass jetzt eine Krankenhausreform angestrengt wird, weil wir auch sehen, dass wir an zwei Stellen mehr Spezialisierung brauchen. Wir brauchen aber mehr ambulante Leistungen und wir brauchen vor allem in der Fläche und im ländlichen Raum eine gute Verzahnung aus stationären Häusern, die eine Grundversorgung anbieten, aber auch Anlaufstelle sein können für den Notfall, für Patientinnen und Patienten.
Dieterle: Genau, lassen Sie uns mal auf ganz Rheinland-Pfalz schauen, auf den ländlichen Raum. Viele Rheinland-Pfälzer haben die Befürchtung, dass sie dann im medizinischen Notfall nicht mehr die adäquate Hilfe vor Ort bekommen. Ist das eine Gefahr, die Sie sehen oder sagen Sie: “Das passiert nicht”?
Hoch: Das wird nicht passieren. Ganz im Gegenteil. Wir erhoffen uns, dass wir mit der jetzt angedachten Reform – die gerade erst erarbeitet wird, aber es gibt ein paar kluge Vorschläge für den ländlichen Raum – Notfall-Anlaufpunkte schaffen, vielleicht sogar dann besser ausgestattet als heute. Und verlässlicher vor allem für den wirklichen medizinischen Notfall, den wir heute kennen über den Notarzt, aber auch für den Notfall, den man subjektiv hat. Also, man hat nachts einen gequetschten Finger und der Fingernagel blutet und man möchte gerne, dass ein Arzt darauf schaut. Das ist heute zunehmend schwierig. Und wenn es demnächst Zentren gibt, die dann auch besetzt sind, dann wäre das eine große Erleichterung für den ländlichen Raum.
Dieterle: Und was ist bei Schlaganfall, bei Herzinfarkt, bei den schlimmen Sachen, wo es um Minuten geht – da ist dann die Hilfe auch noch gewährleistet?
Hoch. Im Moment hat die Expertenkommission einen Vorschlag vorbereitet, der an manchen Stellen so wirkt, als ist er wirklich nur am grünen Tisch erarbeitet. Wir haben deshalb als Ländergemeinschaft, angeführt durch uns, durch Rheinland Pfalz, gesagt: Es gibt zwei Dinge, die sind uns in der Fläche nicht verhandelbar. Das ist eine flächendeckende Geburtshilfe und eine flächendeckende Schlaganfallversorgung. Die wollen wir auch jenseits der großen Zentren in der Fläche weiter gewährleisten. Und dafür wollen wir Länder-Öffnungsklauseln haben.
Dieterle: Kommen wir zu den Fallpauschalen. Die wurden ja eingeführt, damit eben Patienten nicht mehr lange in den Krankenhäusern bleiben, möglichst schnell wieder entlassen werden. Sagen Sie heute: “Das setzt falsche Anreize, das müssen wir wieder ändern”?
Hoch: Ja, auf jeden Fall. Als die Fallpauschalen eingeführt wurden, ging es darum, Effizienzen im System zu heben, ud das ist gelungen. Aber jetzt, nach über zehn Jahren, gilt es zu sagen: Wir brauchen eine vernünftige, qualitativ hochwertige Versorgung in den Zentren. Wer zum Beispiel eine Hüft-OP braucht, der wird sich einen Spezialisten suchen und dafür gerne auch ein paar Kilometer weit fahren. Aber wer den Notfall hat, der will vor Ort behandelt werden, und deswegen freuen wir uns über den Vorschlag des Bundesgesundheitsministers zu sagen, in den kleinen Häusern, in der Fläche soll man auch Vorhaltekosten bezahlen können, eben dafür, dass Menschen einen Anlaufpunkt für den Notfall haben.
Dieterle: Wenn es dann künftig sozusagen Kliniken und Krankenhäuser erster, zweiter und dritter Klasse geben wird, entsteht doch unweigerlich ein Imageschaden für die Kliniken, die quasi schwächer eingestuft sind. Das werden doch nicht alle so mitmachen.
Hoch: Das sind ja keine Qualitätseinstufungen, sondern das sind Einstufungen des Leistungsspektrums, die angeboten werden. Also ich weiß, ich bin zum Beispiel mit einem Knochenbruch oder einer einfachen Notfalluntersuchung oder einer Verwundung gut aufgehoben in einem Level-I-Krankenhaus. Bei schwereren Operationen und vor allem bei planbaren schweren Operationen oder zum Beispiel Krebsbehandlungen oder neurologischen Behandlungen gehe ich eben geplant in die Spezialklinik, die auch ein bisschen weiter weg sein kann. Und das dient in erster Linie der Qualität und deswegen gibt es keine qualitativ Unterschiede zwischen den drei Häusern, aber es gibt andere Leistungsangebote.
Dieterle: Jetzt soll ja diese bundesweite Reform helfen, das Ganze auf einheitliche Beine zu stellen. Es kostet natürlich unheimlich viel Zeit, alleine schon der Einigungsprozess. Wäre das nicht deutlich schneller umsetzbar, wenn die Länder das für sich selbst entscheiden würden?
Hoch: Wir haben im Moment die Herausforderung, dass wir ein duales System haben. Also die Länder machen die Krankenhausplanung und tragen die Investitionskosten, der Bund und die Kostenträger tragen aber die laufenden Aufwendungen und deswegen gibt es ein gleichgerichtetes Interesse, das zu verzahnen. Und weil wir schnell vorankommen wollen, haben sich Bund und Länder darauf geeinigt, jetzt ganz oft zu tagen. Die Minister tagen sogar im Monatsrhythmus.
Darunter gibt es Facharbeitsgruppen, die fast täglich sich einzelne Bereiche angucken. Und wir wollen bis zum Sommer ein erstes Konzept haben.
Dieterle: Aber die Umsetzung des Ganzen wird sich weit über den Sommer hinaus ziehen.
Hoch: Ja, natürlich. Der Umbau eines solchen Systems, auch mit unterschiedlichen Leistungsgruppen, der wird sich dann über Jahre hinweg ziehen. Aber wenn der Startschuss gegeben ist, dann kann man in der Planung auch sehr genau darauf Rücksicht nehmen. Und dann werden sich manche Dinge auch sehr schnell miteinander fügen.
Dieterle: Auf jeden Fall ein großes Thema, wenn es um die Zukunft der Gesundheit geht. Herr Hoch, vielen Dank, dass Sie dazu heute live im Studio waren.
Hoch: Sehr gerne.