Im Interview: Stefan Schulte, der Vorstandsvorsitzende der Fraport AG

Der Frankfurter Flughafen war eigentlich immer geprägt durch ein ziemlich buntes Treiben, durch An- und Abflüge im Minutentakt, durch ständig neue Passagierrekorde – und dann kam Corona und mit der Pandemie nahezu der Stillstand. In den vergangenen Monaten hat sich die Situation an Deutschlands größtem Airport wieder entspannt, doch der Flughafenchef Stefan Schulte warnt vor einem „schwierigen Winter“. Er ist bei uns zu Gast im Studio.

Beitrag „Lage Flugverkehr“
März 2020: Deutschlands größte Arbeitsstätte gleicht einer Geisterstadt. Die Corona-Krise raubt den über 80.000 Beschäftigten am Frankfurter Flughafen ihre Arbeitsgrundlage. Stefan Schulte, Chef des Flughafenbetreibers Fraport, muss weite Teile seiner Belegschaft in Kurzarbeit schicken. Viele bis heute.
Oktober 2021: Mehr als anderthalb Jahre nach Beginn der Krise. Am Flughafen geht es seit ein paar Monaten wieder aufwärts. Im Sommer waren einige Reiseziele fast so gefragt wie früher. Ab November sind sogar Reisen in die USA endlich wieder möglich. Doch der Aufwind ist, verglichen mit dem Vor-Corona-Niveau, noch ein laues Lüftchen.
Ein Blick auf die Verkehrszahlen zeigt: Rund 3,3 Millionen Fluggäste hatte der Flughafen im August dieses Jahres. Das waren zwar doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres, aber nur halb so viele wie vor zwei Jahren. Und im Herbst rechnet man am Flughafen wieder mit sinkenden Passagierzahlen.
Es wird Jahre dauern, um die Rekordergebnisse aus Vor-Pandemie-Zeiten zu erreichen, sagt Flughafen-Chef Stefan Schulte. Doch selbst falls es so kommt, wird Corona Narben hinterlassen: Bis Ende des Jahres plant Fraport den Abbau von 4.000 der ehemals rund 22.000 Stellen.
Eva Dieterle, Moderatorin: Und jetzt begrüße ich den Fraport-Chef live bei mir im Studio. Stefan Schulte, schön, dass Sie hier sind.
Stefan Schulte, Vorstandsvorsitzender Fraport AG: Gerne.
Dieterle: Herr Schulte, wenn Sie diese Bilder von damals sehen, was geht Ihnen da durch den Kopf? Das sind wahrscheinlich Szenen, mit denen Sie auch nie gerechnet haben. Hätten Sie sich jemals vorstellen können, dass an Ihrem Flughafen mal nichts fliegt?
Schulte: Nein, ich konnte mir das nicht vorstellen. Überhaupt, dass man eine Welt so stoppen kann mit all den Bewegungen, das war schon – auch persönlich – ein sehr sehr frustrierendes Erlebnis. Diese Bilder im Fernsehen zu sehen, bei Ihnen jetzt noch mal in die Augen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gucken, die Angst hatten – was passiert da eigentlich -, die das gar nicht kannten – was ist mit meinem Arbeitsplatz, wird das irgendwie weitergehen -, aber andererseits auch zu sehen, wie eine Mannschaft dann reagiert, wie wir die ganzen Rückholflüge organisiert haben, wie wir sehr sehr schnell die neuen Konzepte umgesetzt haben, das war ja alles sehr sehr unsicher zu Anfang. Aber schon schwierige Zeiten, ja.
Dieterle: Wie schwer hat die Coronakrise den Frankfurter Flughafen getroffen, wenn sie die nackten Zahlen nehmen?
Schulte: Wir haben heute sicherlich zwei Milliarden mehr Verschuldung. Wir haben Verluste in einer Größenordnung von 700, 800 Millionen seitdem gemacht. Wir haben natürlich sehr schnell die Investitionen gestrichen, reduziert, gestreckt, um über eine Milliarde diese Aufwendungen reduziert.
Und wir haben leider 4.000 Mitarbeiter weniger an Bord. Das sind auch 4.000 Schicksale, das muss man auch wissen. Davon etwa die Hälfte sozialverträglich mit Abfindungen, die andere Hälfte durch Auslaufen befristeter Verträge – verschiedene weitere Maßnahmen also. Das wird uns noch viele viele Jahre treffen.
Aber wir müssen ja irgendwann auch die Verschuldung zurückzahlen. Das ist ja das Hauptthema dabei.
Dieterle: Viele Mitarbeiter sind jetzt auch noch in Kurzarbeit. Wann wird sich das denn ändern?
Schulte: Wir haben die Kurzarbeit zum Glück jetzt im Sommer stark reduzieren können. Und das ist auch das bisschen Zuversicht, was ich auch mitnehmen kann. Wir haben ja im Sommer gesehen, als die Reisebegrenzungen gefallen sind, dass wir alle wieder fliegen wollen. Wir haben in den Flughäfen – bei uns, in Griechenland, in Antalya, in der Türkei – schon wieder 80, 90 Prozent des Vorkrisenniveaus gehabt, in Frankfurt um die 50 Prozent. Das hängt damit zusammen, dass Interkon, China und USA alles noch geschlossen waren, und wir eben nicht nur auf Warmwasser-Destinationen fliegen. Aber 50 Prozent immerhin schon – und das auch stark „gepeakt“, wie wir es in unserer Branche nennen – also auf wenige Wellen die Flugbewegungen verteilt.
Und dazu braucht man dann oft mehr Mitarbeiter. Und deswegen haben wir die Kurzarbeit im Sommer schon so auf nur noch ca. 10, 15, 20 Prozent reduzieren können. Und wir sind noch ein bisschen zuversichtlich jetzt für den Herbst.
Dieterle: Sie sind auch Präsident des Flughafen Verbandes ADV und haben somit auch einen Überblick über die anderen Flughäfen. Wird die Fraport denn schneller aus der Krise kommen als andere?
Schulte: Ja, was wir in der Krise jetzt schon gesehen haben, ist, dass die Airlines, denen es ja genauso schlecht geht wie uns, die auch hohe Verschuldung eingefahren haben etc., in so einer Krise natürlich die Verkehre auf den Platz vor allem konzentrieren, wo dann noch eine Auslastung generieren können, indem sie einfach konzentrieren.
Insofern ging es manchen Regionalflughäfen wesentlich schlechter als uns jetzt im Sommer, wo wir eben auf Warmwasser-Destinationen alle miteinander geflogen sind. Da sind natürlich Flüge auch von den Regionalflughäfen gegangen. Aber ich bin sicher, wir werden als Branche in Summe sehen, dass wir wieder rauskommen. Die Prognosen sind da zuversichtlich, denn wir wollen fliegen, wir müssen auch wieder fliegen. Auch das Geschäftsreise-Fliegen wird wiederkommen.
Wir haben verschiedene Studien gerade gesehen, wo auch die Top-Manager dieser Welt sagen, sie werden zu 70, 80 Prozent auch die Geschäftsreisen wieder aufnehmen, einfach weil wir Märkte erschließen müssen, weil wir den persönlichen Kontakt am Ende doch brauchen. Da, wo Sie gute Kontakte haben, können Sie eine Zeitlang digital unterwegs sein. Aber da, wo neue Kontakte auf der anderen Seite sind, muss man sie auch wieder persönlich neu erfinden, die Kontakte, und neu festigen.
Dieterle: Sie mussten jetzt die Eröffnung des neuen Terminals erst mal auf 2026 verschieben. Können Sie denn heute überhaupt sicher sagen, dass Sie das jemals auslasten werden, das neue Terminal?
Schulte: Wir sind da sehr zuversichtlich. Wir haben zum einen verschoben, um jetzt Cash zu sparen, um ganz offen zu sein, denn jetzt ist „Cash is King“, also es geht um Geld. Und damit haben wir die Investitionen gestreckt. Und zum anderen, weil wir auch erwarten, dass der Markthochlauf etwas langsamer sein wird.
2026, gehen wir heute davon aus, werden wir wieder über das Vorkrisenniveau hinauskommen, und damit brauchen wir das Terminal 3. Und da sind wir aber auch ein Stück flexibler in der Zukunft, wie wir Terminals nutzen. Denn wir waren ja vorher schon sehr sehr stark an der Kapazitätsgrenze.
Dieterle: Eine andere spannende Situation, auch für den Flughafen, ist der Prozess der Regierungsbildung nach der Bundestagswahl. Was können die politischen Entscheidungen für den Flughafen bedeuten? Darüber sprechen wir gleich. Zunächst ein Blick auf den aktuellen Stand der Dinge.
Beitrag „Mögliche Auswirkungen der neuen Bundesregierung“
Die meisten Flughäfen werden auch in diesem Jahr tiefrote Zahlen schreiben, doch viele rechnen in Zukunft sogar mit steigenden Kosten. Denn die Politik macht beim Thema Klimaschutz im Flugverkehr Ernst und das könnte teuer werden.
Besonders harte Forderungen finden sich zum Beispiel im Bundestagswahlprogramm der Grünen, die den Umstieg auf erneuerbare Energien schneller vorantreiben wollen. Gelingen soll das durch einen höheren CO2-Preis, eine Kerosinsteuer und eine Quote zur Beimischung alternativer Kraftstoffe. Künftig sollen Flughäfen keine staatlichen Subventionen mehr erhalten und mehr in die Bahninfrastruktur investiert werden, sodass sich Inlandsflüge nicht mehr rechnen. Alle Entwicklungen in der Flugbranche müssten sich am Ziel der Klimaneutralität messen lassen.
Schon im Juli hat die EU ein Klimapaket mit dem Namen „Fit for 55“ vorgelegt. Es schreibt der Flugbranche eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes von 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 vor.
„Fit for 55“, so Fraport-Chef Stefan Schulte, wird die deutsche Luftverkehrsbranche rund 5 Milliarden Euro kosten.
Dieterle: Herr Schulte, die Grünen werden aller Voraussicht nach auf jeden Fall ein Teil der neuen Bundesregierung sein. Ist das ein Schreckgespenst für den Flughafen?
Schulte: Nein, gar nicht. Wir haben eine Verantwortung, alle miteinander, die in der Industrie unterwegs sind, in der Gesellschaft und wir als Luftverkehr auch. Wir begrüßen … Wir brauchen auch als Luftverkehr, ganz konkret eine Beimischungsquote. Wir müssen klimaneutral werden. Das ist ein bisschen anstrengend, ein bisschen schwieriger als Umstieg von einem Verbrennungsmotor auf einen E-Motor, aber wir müssen den Weg gehen. Und deswegen begrüßen wir das Paket der EU „Fit for 55“, Sie haben es gerade angesprochen, was die Beimischungsquote angeht. Was heißt das? Da geht es um synthetischen Kraftstoff, den man heute schon produzieren kann, zunächst aus biogenen Stoffen, das sind Abfälle und so weiter, später rein synthetisch. Das kann CO2-neutral passieren, sodass wir dann CO2-neutral fliegen können.
Das ist nur noch zehnfach teurer als normales Kerosin. So tankt also jetzt keiner freiwillig und auch kein Bürger bucht es, was ja heute schon zum Beispiel bei Lufthansa könnte. Also brauchen wir hier einen Markt. Wir brauchen eine Vorgabe der EU, dass es beigemischt werden muss. Dann wird sehr sehr schnell der Markt entstehen. Dann wird Fliegen teurer. Aber das ist richtig. Das muss auch so sein, denn auch wir müssen klimaneutral werden als Luftfahrtbranche in Summe, also sprich: die Airlines. Wir haben auf der einen Seite also mehr Klima-Anstrengungen, auf der anderen Seite müssen Sie natürlich auch Wirtschaftlichkeit, und damit die Arbeitsplätze, im Blick behalten.
Dieterle: Was fordern Sie diesbezüglich ganz konkret von einer neuen Bundesregierung?
Schulte: Was wir konkret fordern ist, dass die Beimischungsquote wirklich kommt, in Stufen aufwachsend, auch gerne ambitioniert. Zweitens: Wir fordern, dass das ganze wettbewerbsneutral passiert, also keine Kerosinsteuer. Weil die Kerosinsteuer würde nur dazu führen, wenn der Flug 100 Euro teurer ist über Frankfurt zu fliegen statt über Istanbul, aber weiter nach Bangkok in beiden Fällen geht, dann haben Sie fürs Klima gar nichts gemacht, sondern Sie haben nur ein Konjunkturprogramm für den Nahen, für den Mittleren Osten aufgelegt. Also ja, Beimischungsquote auf jeden Fall.
Fliegen muss auch teurer werden, aber bitte wettbewerbsneutral, sodass wir die Arbeitsplätze in Deutschland, in der EU erhalten und kein Konjunkturprogramm für den Mittleren Osten auflegen.
Dieterle: Sie haben das jetzt aus Sicht des Flughafens geschildert. Schauen wir mal auf die Auswirkungen für die Fluggäste. Teurer werden ist da das Stichwort. Früher hat man ja gewitzelt, dass selbst das Taxi zum Flughafen teurer ist als später das Ticket nach Malle. Diese Zeiten sind definitiv vorbei?
Schulte: Die Berechnungen heute mit den CO2-Preisen, die gesetzt werden Richtung Jahr 2030, zeigen, dass in ca. acht Jahren, also zehn Jahren, Fliegen auf einer Strecke Frankfurt – Mallorca vielleicht etwa 60 Euro pro Richtung teurer werden wird. Ja, es wird teurer und wir müssen eben da den Übergang hinbekommen.
Das muss die Politik entscheiden, wie weit wir das soziale abfedern können. Ich habe selbst die Grünen so verstanden im Wahlkampf, dass sie ja auch sehr deutlich gesagt haben: Wir brauchen hier eine Abfederung, wir müssen auch dort helfen, wo der Übergang sehr teuer wird zu Anfang. Auf Dauer müssen wir uns dem Markt aber dann stellen.
Also, ja, es wird sicherlich nicht einfach, aber das ist die Herausforderung, die wir haben in vielen vielen Bereichen, wenn sie klimaneutral werden wollen – und das müssen wir alle miteinander.
Dieterle: Am kommenden Montag beginnen in Hessen und Rheinland-Pfalz die Herbstferien. Was erwartet denn da die Flugreisenden? Wird es da verlängerte Wartezeiten beim Check-In geben? Mit was muss man rechnen?
Schulte: Also, zunächst mal freut mich ja, dass schon wieder sehr sehr viel Angebot im Schaufenster ist. Wir alle können schon wieder auf ganz viele Ziele fliegen. Wir können ab Anfang November auch wieder in die USA fliegen etc. Aber ja, es werden etwas längere Wartezeiten sein, weil die ganzen Dokumentenprüfungen, wenn Sie interkontinental fliegen, doch noch eine gewisse Zeit brauchen, weil auch die Grenzkontrollprüfungen und die Sicherheitskontrollen alles noch ein bisschen länger ist als normal durch die Abstandsegelungen, die Hygieneregelungen etc., die dort existieren. Also planen Sie bitte etwas mehr Wartezeit ein, aber freuen Sie sich richtig auf Ihr Urlaubsziel.
Dieterle: Also rechtzeitig kommen und vor allen Dingen auch gut organisiert sein, das sagt der Chef des Frankfurter Flughafens und der muss es wissen. Herr Schulte, vielen Dank, dass Sie heute live hier waren.
Schulte: Vielen Dank Ihnen.