Im Interview: Robert Schäfer, der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen

Die Corona-Pandemie ist aber nicht nur ein Problem für die Wirtschaft, sondern auch für die Sicherheitsbehörden. Immer wieder gibt es Proteste gegen die Schutzmaßnahmen, auch in vielen Städten in Hessen und Rheinland-Pfalz. Gleich sprechen wir darüber mit dem Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hessen. Zuerst aber schauen wir auf die Querdenker- und Impfgegner-Szene, die zunehmend radikaler wird.

Als im September ein 20-jähriger Tankstellenverkäufer in Idar-Oberstein erschossen wird, mutmaßlich weil er einen Kunden auffordert, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, ist das der bisherige Höhepunkt einer Entwicklung, die den Sicherheitsbehörden große Sorge macht. Die Corona-Pandemie und die Maßnahmen dagegen haben die Gesellschaft gespalten.
Auch wenn die Tat von Idar-Oberstein der bislang einzige Mord ist, der dem Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen zugeschrieben werden kann, die Attacken werden radikaler und sie gehen bis zur persönlichen Bedrohung von Politikern.
Als im November im südhessischen Erbach eine Bäckerei für wenige Tage geschlossen wird, weil der Inhaber sich nicht an Hygiene-Regeln hält, erhält der Bürgermeister der Stadt massive Drohungen:
Peter Traub, FDP, Bürgermeister Erbach
„’Wie skurril muss jemand sein, der Schergen vor Geschäfte stellt, um Bürger vom Einkaufen von Grundversorgungsgütern abzuhalten. Ihr seid offenbar schon wieder um achtzig Jahre zurückgefallen als die Nazi-Schergen gewütet haben. Ich möchte nicht in eurer Haut stecken wenn abgerechnet wird‘. Solche Mails erhalte ich.“
Ein Blick nach Sachsen zeigt einer weitere Eskalationsstufe. Dort demonstrierten Rechtsextreme vor dem Privathaus von Gesundheitsministerin Petra Köpping. Und gegen Ministerpräsident Michael Kretschmer soll es in einer Messenger-Gruppe von Impfgegnern Mordpläne gegeben haben.
Nachrichten, die auch den hessischen Verfassungsschutz alarmieren. Die Radikalisierung der Querdenker-Szene birgt ein nicht zu unterschätzendes Problem-Potential.
Eva Dieterle, Moderatorin: Und darüber spreche ich jetzt mit dem Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hessen, mit Robert Schäfer. Guten Abend!
Robert Schäfer, Präsident Landesamt für Verfassungsschutz Hessen: Guten Abend.
Dieterle: Herr Schäfer, staatliche Maßnahmen zu hinterfragen und auch zu kritisieren, das ist ja vollkommen legitim. Wo ist für Sie eine Grenze überschritten, wo Sie sagen: Das geht nicht mehr?
Schäfer: Ja, da muss man erst mal festhalten, dass Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit gewährleistet werden muss. Und jeder kann gegen Maskenpflicht. demonstrieren. Aber immer dann, wenn man gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung vorgeht, wenn man also Menschenwürde antastet, Demokratie und Rechtsstaatsprinzip negiert, immer dann gerät man natürlich in den Fokus des Verfassungsschutzes. Wer also den Rechtsstaat mit einer Diktatur vergleicht, mit dem NS-Regime gleichsetzt und so etwas tut, der kommt in den Fokus des Verfassungsschutzes.
Dieterle: Wo verorten Sie denn den radikalen Teil der Demonstranten? Ausnahmslos rechts?
Schäfer: Nein, es gibt keine Schublade, in die alles hineinpasst. Es ist sehr heterogen. Wir haben erstmal ganz, ganz viele Bürgerinnen und Bürger, die auf die Straße gehen, die ihr verbrieftes Recht wahrnehmen, nämlich Meinung zu äußern und Versammlungsfreiheit in Anspruch zu nehmen. Aber wir haben natürlich auch Menschen, die aus dem esoterischen Bereich kommen, Mobilfunkgegner, Impfgegner. Aber wir stellen von Anfang an fest, dass wir auch Rechtsextremisten unter diesen Menschen haben, mittlerweile Hardcore-Rechtsextremisten, Reichsbürger und Selbstverwalter. Die versuchen natürlich, an diese Mitte der Gesellschaft sozusagen anzudocken, mit ihrer Ideologie dort Meinung zu machen und Menschen zu gewinnen, die dann mitmachen.
Dieterle: Kann man also sagen, die Pandemie, die liefert sozusagen einen Nährboden für diverse Gruppierungen, die dem Staat kritisch gegenüberstehen? Ist das so was wie ein Sammelbecken?
Schäfer: Das ist so etwas wie ein Sammelbecken. Das kann man durchaus so formulieren. Und das erleben wir auch. Und wir haben zu Beginn festgestellt, dass gerade Rechtsextremisten da sehr vorsichtig waren, ob man überhaupt teilnimmt. Und dann hat man sich vielleicht anonym erst mal beteiligt. Aber mittlerweile treten sie ganz offen auf mit Transparenten, wie jetzt erst ganz jüngst geschehen in Frankfurt am Main. Es gibt ja in dieser Szene ganz verschiedene Verschwörungsideologien, das ist ja noch nicht verboten und auch noch nicht strafbar.
Dieterle: Und trotzdem sagen Sie, das ist schon gefährlich. Warum?
Schäfer: Ja, Verschwörungsnarrative sind sehr gefährlich. Sie sind Radikalisierungsbeschleuniger und sie motivieren natürlich zum Widerstand und können letztendlich zur Legitimation, zur Begehung von schwersten Straftaten herangezogen werden. Und deshalb weisen wir natürlich darauf hin, dass davon schon eine große Gefahr ausgehen kann.
Dieterle: Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die sozialen Netzwerke?
Schäfer: Das ist natürlich die Kommunikation überhaupt. Sie ist sehr schnell. Es gibt so gut wie überhaupt keine Einengung in der Reichweite. Man erreicht sehr schnell viele, viele, viele Menschen. Und deshalb werden die sozialen Netzwerke und die Messengerdienste natürlich jetzt benutzt. Und schauen Sie, wann immer man etwas postet, man hat ganz schnell Menschen, die die gleiche Meinung haben und dann fühlt man sich in einer Gruppe schon sehr wohl und glaubt auch, dass diese Meinung mehrheitsfähig ist und kann letztendlich dann sogar der Auffassung sein, dass man am Ende etwas umsetzen muss, weil man irgendwo mal ein Stopp-Zeichen setzen muss und es könnte zu schwersten Straftaten dann kommen.
Dieterle: Eine Sonderrolle spielt ja der Messengerdienst Telegram in diesem ganzen Zusammenhang, weil sich dort eben besonders viele Menschen tummeln, die sich mit diesem Thema beschäftigt. Wie gut können Sie da überwachen oder auch eingreifen? Oder können Sie das überhaupt?
Schäfr: Das ist ein Messenger wie natürlich viele andere auch. Der ist jetzt in besonderem Maße beliebt. Wir haben insgesamt natürlich den Blick auf die sozialen Netzwerke und versuchen, dort natürlich auch genau das herauszufiltern, um das es geht, nämlich Menschen, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung vorgehen.
Dieterle: Einen Blick in die Zukunft möchte ich zum Schluss noch wagen. Wächst Ihrer Meinung nach mit der Dauer der Corona-Pandemie auch die Zahl der Corona-Skeptiker? Also laufen wir da auf eine Bewegung zu, die noch größer wird? Glauben Sie, da wird noch mehr Radikalisierung stattfinden?
Schäfer: Ich glaube ja, weil wir schon spüren, dass diese Radikalisierungsspirale in Gang gesetzt wurde. Und die Sicherheitsbehörden und insbesondere natürlich auch der Verfassungsschutz müssen dort klug differenzieren und den Job machen, den uns das Gesetz zuschreibt. Aber auch die Gesellschaft, die Bürgerinnen und Bürger müssen ganz klare Stopp-Zeichen stellen und sich eben nicht gemein machen mit der Ideologie von z.B. Rechtsextremisten und sich distanzieren und klipp und klar sagen: „Mit euch wollen wir hier nichts zu tun haben. Wir bringen unseren Protest auf die Straße, aber wir wollen nicht von irgendeiner Ideologie eingenommen werden und diese vielleicht auch noch dann am Ende auch noch Teil werden von dieser Ideologie“.
Dieterle: Herr Schäfer, vielen Dank für Ihre Einschätzungen. Danke für das Interview.
Schäfer: Sehr gerne.