Im Interview: Dr. Cihan Çelik, Oberarzt und Leiter der COVID-Station am Klinikum Darmstadt

Der Darmstädter Lungenexperte Dr. Cihan Celik warnt: Er geht davon aus, dass es im Oktober wieder steigende Patientenzahlen geben wird. Wir sprechen mit Dr. Celik über die Situation auf der Covid-Stadion im Darmstädter Klinikum.

Eva Dieterle, Moderatorin: Und das Thema vertiefen wir jetzt mit Dr. Cihan Celik, dem Oberarzt am Klinikum in Darmstadt. Guten Tag.
Dr. Cihan Celik, Oberarzt Klinikum Darmstadt: Guten Tag.
Eva Dieterle: In vielen Kliniken hat sich die Anzahl der Corona-Intensivpatienten in diesem Monat mehr als verdoppelt. Viele befürchten zum Herbst hin wieder eine starke Belastung der betreffenden Krankenstationen. Wie ist die Situation konkret auf Ihrer Station?
Dr. Cihan Celik: Also, wir haben in den letzten drei, vier Wochen gesehen. Die ersten Ausläufer der Herbstwelle sind bei uns eingetroffen und mittlerweile hat sich die Situation seit dieser Woche auch etwas wieder entspannt. Aber die Patienten, die in den letzten Wochen zu uns gekommen sind und intensivpflichtig geworden sind, liegen zum Großteil immer noch auf der Intensivstation. Von daher war das für uns so etwas wie ein Vorgeschmack für das, was uns im Herbst erwarten könnte, wenn das Leben sich wieder auf die Innenräume zurückziehen wird und die Infektionen wieder steigen. Aktuell haben wir für den Moment den Peak dieser vierten Welle, dieses ersten Ausläufers überstanden.
Eva Dieterle: Hospitalisierungsinzidenz und Intensivbettenbelegung sind nun die neuen Leitindikatoren zur Bestimmung der pandemischen Lage. Viele Ihrer Kollegen kritisieren, dass diese Indikatoren erst viel zu spät Alarm schlagen. Wie schätzen Sie das ein?
Dr. Cihan Celik: Es gibt sicherlich gerechtfertigte Kritik an diesen Indikatoren und ich sehe das auch so. Ein ganzer Mix an Parametern wäre sicher die bessere Variante gewesen, aber wir dürfen ja nicht aus den Augen verlieren, was genau der Zweck dieses Indikators ist – und zwar Maßnahmen zu steuern. Und daher hat es schon Sinn gemacht, sich von der Inzidenz an sich erstmal zu verabschieden, weil die Höhe der Inzidenz nicht mehr mit derselben Krankheitslast im Krankenhaus und auf der Intensivstation korreliert wie in den bisherigen Wellen. Die Höhe ist anders, aber die Hospitalisierungsinzidenz reagiert deutlich später und da die Hospitalisierungen häufig auch später gemeldet werden, gibt es einem noch mehr Zeit, einen noch stärkeren zeitlichen Verzug. Es gibt also ein gewisses Worst-Case-Szenario, von dem wir nicht hoffen, dass es eintritt. Aber wenn es in der vierten Welle zu einem sehr starken Anstieg der Hospitalisierung kommen würde, die auch Maßnahmen einer Kontaktreduzierung erforderlich machen würden, dann würden wir sehr spät reagieren tatsächlich, wenn niemand dazwischen sagt, jetzt ist aber der Zeitpunkt, jetzt müssen wir darauf achten und warten nicht, dass die Hospitalisierung ansteigt, denn wir sehen das Unheil schon kommen. Da braucht es also auch politischen Mut.
Eva Dieterle: Auf ihrer Station landen auch Corona-Leugner, die auch nach schwerem Covid-Krankheitsverlauf bei ihrer verfestigten Meinung bleiben. Mal ganz persönlich gefragt: Wie sehr schüttelt man da mit dem Kopf?
Dr. Cihan Celik: Ich denke, etwas mit dem Kopf zu schütteln gehört dazu, wenn man in einem so sensiblen Bereich arbeitet und sich der Gesundheit der Menschen verpflichtet fühlt und kein Vertrauen zurückkommt, das ist auch zu einem gewissen Maß eine neue Erfahrung für uns Ärzte im Krankenhaus. Aber man darf auch nicht vergessen, dass es eine Minderheit ist, die zwar sehr viel Aufmerksamkeit auf sich zieht aktuell. Ich hoffe, dass es nicht noch mehr wird, denn es macht die Arbeit auf der Station schwieriger, auch emotional herausfordernder. Aber ich hoffe weiterhin, dass es nicht der Regelfall sein wird, dass unsere Patienten uns als Gegner betrachten.
Eva Dieterle: Bei etwa 95 Prozent der Corona-Patienten auf den Intensivstationen stellt sich heraus, dass sie sich nicht durch eine Impfung haben schützen lassen. Welche Menschen sind das, die immer noch schwer krank bei ihnen mit Covid behandelt werden müssen?
Dr. Cihan Celik: Das sind ganz normale Menschen. Menschen, die vielleicht etwas arztferner sind, also weniger dem medizinischen Rat der Behörden oder ihrer Hausärzte zuhören, oft sehr verunsichert waren, vielen Fake-News und falschen Behauptungen über die Impfung aufgesessen sind. Es ist wichtig, natürlich ganz faktenbasiert über die Impfung aufzuklären, auch die bestehenden und berichteten Nebenwirkungen ganz klar anzusprechen, denn die gibt es ja. Aber eben gegenüberzustellen mit den Risiken der Erkrankung. Und momentan, so sieht es auch die STIKO, ist für alle Altersgruppen über 12 das Risiko durch die Erkrankung sehr viel höher als die Risiken, die es gibt von der Impfung. Und das ist eine eindeutige Empfehlung aktuell. Und diese Botschaft müssen wir an viele Menschen tragen. Denn bei denen es nicht klappt, die sehen wir leider auch hier bei uns im Krankenhaus.
Eva Dieterle: Sehr einprägende Schilderungen von Ihnen, Herr Doktor Celik. Vielen Dank für das Interview.
Dr. Cihan Celik: Gern.