Im Interview: Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer

Die Zeit zwischen den Jahren ist wie gemacht, um mit etwas Abstand auf das Jahr zurückzublicken. Ein zweites Jahr, das durch die Corona Krise geprägt wurde. Die Welt ist aus dem Takt geraten. Was macht Politik da? Sie fährt auf Sicht. Aber wohin? Sicherlich ist diese Zeit für Politiker keine einfache. Unter anderem darüber sprechen wir mit Malu Dreyer, der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin.

Markus Appelmann: Wir haben so kurz vor dem Jahreswechsel die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz heute zu Gast. Malu Dreyer. Herzlich willkommen! Schön, dass Sie da sind.
Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz: Ich grüße Sie, Herr Appelmann.
Markus Appelmann: Frau Dreyer, bevor wir zu den Themen kommen, gab es ein Jahr in Ihrem politischen Leben, dass Sie mehr gefordert hat als dieses Jahr 2021.
Malu Dreyer: Nein, das war mit Sicherheit das herausfordernde Jahr, was ich in der Politik erlebt habe. Und ich habe schon sehr, sehr viel erlebt, muss man sagen. Aber natürlich die Pandemie, die uns ja alle wirklich im Atem hält, dann die schreckliche Naturkatastrophe. Dann war es auch ein Jahr, wo wir dann natürlich auch zweimal im Wahlkampf waren. Also es war ein extrem anstrengendes Jahr, aber es war auch ein schweres Jahr.
Markus Appelmann: Stimmen Sie zu, dass die Herausforderungen – Sie haben sie gerade eben genannt – wie Pandemien und Naturkatastrophen nicht durch Koalitionsverträge erfasst werden können. Dass also hier politische Führung mit den Aufgaben wächst oder scheitert.
Malu Dreyer: Ja, das gilt sehr, sehr grundsätzlich. Man kann ja auch weiter zurückblicken, als die vielen Flüchtlinge zu uns kamen. Es gibt immer wieder Herausforderungen, die kann man nicht in einem Koalitionsvertrag festlegen, sondern sie sind einfach nicht vorhersehbar. Und deshalb ist es so wichtig, dass man vertrauensvoll miteinander zusammenarbeitet, um eben auch aktuelle Krisen gut miteinander bewältigen zu können. Neben den vielen Zielen, die man sich auch im Koalitionsvertrag vorgenommen hat.
Markus Appelmann: Frau Dreyer, lassen Sie uns direkt auf die erste Herausforderung, die wir schon angesprochen haben, kommen. Die sicherlich in der Geschichte der Bundesrepublik ihresgleichen sucht. Die Flutkatastrophe an der Ahr:

 

Die Nacht vom 14. auf den 15. Juli. Es ist die Nacht, in der im Ahrtal die Welt buchstäblich untergeht. Und es ist die Nacht, die das Leben tausender Menschen für immer verändert. Die Dimension der Zerstörung – unvorstellbar.
Andrea Kirsch, Einwohnerin von Kordel: „Das Wasser war in minutenschnelle da und die Sachen sind rausgeschwemmt worden aus der Straße. Tische, Bänke, alles. Und man ist machtlos, man kann nichts machen.“
Ernst Hoffmann, Einwohnerin von Schuld: „Es ist alles kaputt, weggeschwommen, Fenster rausgerissen. So eine Macht hatte das Wasser.“
Jan Lingen, Winzer aus Bad-Neuenahr-Ahrweiler:  „Es stand wirklich bis hier oben unter die Decke, es war Wahnsinn – wie eine Apokalypse.“
Jacqueline Dünker, Einwohnerin von Heppingen: „Es war ganz, ganz schlimm. Diese Hilfeschreie zu hören und noch viel schlimmer war eigentlich, dass man sie irgendwann nicht mehr gehört hat.“
In Sinzig sterben 12 Bewohner einer Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung – sie können sich nicht mehr rechtzeitig vor der Wucht der Flutwelle retten.
Uli Martin, Einwohner von Sinzig: „Es ist das erste Mal, dass ich nicht heulen muss, wenn ich danach gefragt werde. Es ist schon furchtbar und relativiert natürlich alles andere. Also wir haben viel verloren, aber das ist angesichts dessen irgendwie wieder regelbar. Aber Menschenleben nicht – die sind verloren.“
Insgesamt verlieren alleine in Rheinland-Pfalz 134 Menschen ihr Leben. Die Behörden gehen im Ahrtal von rund 42.000 Betroffenen aus. 3.000 Gebäude werden zerstört, darunter auch viele Krankenhäuser und Schulen.
Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz: „Rheinland-Pfalz hat eine Katastrophe dieser Art noch nie erlebt. Das ist eine Naturgewalt, die wir hier erlebt haben, die uns alle sprachlos macht.“
Doch so groß die Tragödie ist, so groß ist auch die Hilfsbereitschaft. Freiwillige aus ganz Deutschland kommen ins Ahrtal, um Schutt abzutransportieren, um Essen auszuteilen und um beim Wiederaufbau zu helfen. Trotzdem: Monate nach der Katastrophe zeigt sich: Es wird noch sehr lange dauern bis das Ahrtal wieder so aussieht wie vor der Flut. Und dann sind da natürlich noch die psychischen Belastungen der Überlebenden, mit denen sie noch jahrelang zu kämpfen haben werden.
Die Nacht vom 14. auf den 15. Juli. Die Bilder der Flut, sie haben auch heute – über fünf Monate nach der Katastrophe – nichts von ihrem Schrecken verloren.
Markus Appelmann: Ja, Frau Dreyer, sind es Ereignisse, die einen in den Schlaf hinein begleiten, sitzt man da manchmal abends da und sagt, ich kann nicht mehr? Im Nachgang könnten Sie vielleicht darüber sprechen.
Malu Dreyer: Es geht ja am Ende gar nicht um mich. Aber es sind natürlich dramatische Situationen gewesen. Diese Naturkatastrophe hat, glaube ich, niemand unberührt gelassen, auch nicht mich. Man kann sagen, es hat unser Land im Mark getroffen, auch mich persönlich. Einfach weil so furchtbar viele Menschen verstorben sind, weil so viele ihre Existenz verloren haben und weil es einfach unvorstellbar war, mit welcher Wucht das Wasser wirklich das Leben ganz vieler Menschen verändert hat. Auf der anderen Seite steht, was im Film ja auch gezeigt worden ist, diese wahnsinnige Hilfsbereitschaft von so vielen Menschen. Auch, dass es tatsächlich so funktioniert. Alle helfen, alle packen an. Diese unvorstellbare Summe, 15 Milliarden, die der Bund und die Länder zur Verfügung stellen, um den Menschen vor Ort dann wirklich auch Unterstützung zu leisten. Also wir sehen auch eine überwältigende Art und Weise der Hilfe.
Markus Appelmann: Sie sprechen auch das Positive an. Was war denn die positivste Überraschung? Gab es da eine Begebenheit, die Sie besonders angefasst hat? Sie waren ja oft an der Ahr unterwegs.
Malu Dreyer: Das fällt schwer, nur einen Punkt herauszuholen, denn es gibt einfach wirklich Hilfe an jeder Stelle. Aber auch so Dinge wie, dass der Zug wieder fährt oder die Menschen einfach sagen, wie schön, dass es jetzt in diesem Zug wieder zur Arbeit fahren kann. Oder dass die Hauptgasleitungen in Bad Neuenahr-Ahrweiler wieder funktionierte und einfach ganz viele Energieunternehmen sich zusammengeschlossen haben, um in kürzester Zeit das auch möglich zu machen. Vor kurzem waren wir bei der Eröffnung des Traumahilfe-Zentrums, weil so viele, viele Menschen wirklich traumatisiert sind und auch an der Seele verletzt sind, dass sie die Unterstützung bekommen. Oder bei der Arche, wo wir dann gesehen haben, dass Handwerker von überall her kommen, um einfach zu helfen, dass Heizungen eingebaut werden und Ähnliches. Das ist schon sehr, sehr berührend. Es gibt viele, viele dieser Ereignisse und ich muss einfach sagen: Man ist jedes Mal wieder überwältigt davon, dass die Hilfe auch nicht nachlässt. Natürlich sind es jetzt nicht mehr so viele wie ganz am Anfang, aber es gibt ganz, ganz viele Menschen, die helfen. Und das ist schon auch sehr berührend im positiven Sinne.
Markus Appelmann: Frau Dreyer, wie haben Sie sich in dieser Zeit verändert, wenn Sie sich selbst beobachten, ist da ein bisschen Fröhlichkeit abhanden gekommen? Ist da Zuversicht weggebrochen?
Malu Dreyer: Also was einem die Zuversicht gibt – und ich glaube, das geht den Menschen im Alltag genauso wie mir – das ist das einfach, dass die Hilfe da ist, das ganz viele da sind, die sich solidarisch erklären. Aber man ist nicht unbelastet, auch ich nicht. Das ist einfach so einschneidend und ich glaube, so geht es ganz vielen. Aber was ich mutmachend finde, ist, dass auch die Leute im Ahrtal – vielleicht ist das auch das allerberührenste – dass sie zusammenhalten und dass sie nach vorne blicken und sagen: Wir wollen, dass unser Ahrtal auch wieder so wird, wie es mal war. Ein schönes Tal, wo wir gerne leben, wo die Menschen gerne hinkommen. Und das geht mir auch so, das gibt auch mir immer wieder die Zuversicht zu sagen: Wir müssen nach vorne schauen und wir müssen alles in Bewegung setzen, dass es tatsächlich auch wieder das schöne Ahrtal wird.
Markus Appelmann: Frau Dreyer, Sie sind im Land die ranghöchste Frau. Da kommen ganz viele Menschen auf Sie zu, haben ein Problem, laden es bei Ihnen ab und Sie müssen eine Lösung finden, wenn Sie Sorgen und Nöte haben. Wenn Sie so ein Problem haben, wer ist da Ihre erste Ansprechperson?
Malu Dreyer: Das ist natürlich meine Familie, das ist ja vollkommen klar. Also ohne den Rückhalt meines Mannes, meiner Familie wären auch so schwere Jahre eigentlich gar nicht gut zu bewältigen. Aber ich habe auch ein tolles Team. Ich habe wahnsinnig tolle Mitarbeiter. Wenn sie schauen, was in diesem Jahr geleistet worden ist. Auch auf dieser Ebene. Überall waren die Beamten und Beamtinnen, die Angestellten des öffentlichen Dienstes, die angepackt haben, die nicht auf Überstunden geschaut haben, die einfach auch funktionieren und sagen: Es geht uns alle an, wir müssen alle anpacken. Und das ist natürlich auch für eine Ministerpräsidentin wirklich sehr, sehr schön zu wissen.
Markus Appelmann: Frau Dreyer, kommen wir zur zweiten Krise, die im letzten Jahr begann und deren Ende heute nicht absehbar ist die Corona-Pandemie. Immer wieder gibt es kleine Lichtblicke und dann hat man das Gefühl, wir stehen doch wieder ganz am Anfang:

 

Im Dezember steht die Politik vor dem gleichen Problem wie im Januar: Zu wenig Impfstoff. Lief die Impfkampagne zu Beginn des Jahres schon nur schleppend an, so erklärt der Gesundheitsminister kurz vor Weihnachten, er benötige massiv mehr Impfstoff, um die Bestellungen der Ärzte für das kommende Quartal erfüllen zu können. Ein Symptom dafür, dass die Politik beim Thema Corona nach wie vor den Ereignissen hinterherläuft. Dabei hatte das Jahr doch so optimistisch begonnen- mit einer klaren Aussage des Chefs des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler:
Lothar Wieler, Präsident Robert Koch-Institut, am 14.01.2021: „Am Ende dieses Jahres werden wir diese Pandemie kontrolliert haben, meine Damen und Herren.“
Wie schon 2020, so war auch 2021 geprägt von Krisensitzungen und Verordnungen, von Lockdowns und Regelwirrwarr. Doch trotz aller – oft teuren – Anstrengungen, hat uns die Pandemie nach wie vor im Griff. Obwohl mehr als zwei Drittel der Menschen in Deutschland bereits geimpft wurden, sind die Intensivstationen am Limit, in manchen Regionen sogar darüber hinaus. Und mitten in den Start der Kampagne für Booster-Impfungen kommt die Nachricht von der hochansteckenden Omikron-Variante, gegen die die Impfung offenbar nur schwächer schützt. Ein Grund für die Situation: Die Zahl der Menschen, die sich nicht impfen lassen, ist zu groß. Daher sieht sich die Politik zu einem Schritt gezwungen, den sie immer vehement ausgeschlossen hatte – eine Impfpflicht für Mitarbeiter von Krankenhäusern sowie Alten- und Pflegeheimen.
Karl Lauterbach (SPD), Bundesgesundheitsminister, am 09.12.2021: „Eine solche Impfpflicht ist notwendig; denn am Ende des zweiten Jahres der Pandemie ist es in keiner Weise akzeptabel, dass in Einrichtungen, wo Menschen leben, die sich unserem Schutz anvertraut haben, noch unnötigerweise Menschen sterben, weil Ungeimpfte dort gearbeitet haben.
Und das ist möglicherweise nur ein Vorbote für eine allgemeine Impfpflicht. Für die politisch Verantwortlichen wird auch das Jahr 2022 kein Spaziergang.

 

Markus Appelmann: Ja, das neue Jahr wird wohl eine allgemeine Impfpflicht bescheren, weil immer noch zu viele Menschen nicht geimpft sind. War das ein großer Fehler von vielen Politikern, diese allgemeine Impfpflicht so lange ausgeschlossen zu haben? Sie haben das auch getan.
Malu Dreyer: Ja, ich war am Anfang wirklich absolut davon überzeugt, dass wir keine Impfpflicht brauchen. Es hat auch ein bisschen was damit zu tun, dass wir die Pandemie eigentlich gar nicht richtig einschätzen konnten und dass ich mir auch eigentlich erwartet hätte, dass sich viel mehr Menschen impfen lassen. Wir haben jetzt die Impfpflicht für Einrichtungen, da stehe ich auch dazu, weil wir tatsächlich auch den besonderen Schutz der vulnerablen Gruppen im Blick haben müssen. Und deshalb ist diese Konsequenz dann einfach auch getroffen worden. Und ich denke, es ist richtig. Ich finde es aber auch richtig, dass Anfang des Jahres auch noch mal umfassend diskutiert wird, erst mal über die allgemeine Impfpflicht.
Markus Appelmann: Aber Sie schwenken auch um in Richtung allgemeine Impfpflicht.
Malu Dreyer: Ich diskutiere auf jeden Fall sehr viel offener zum Thema allgemeine Impfpflicht. Ich glaube aber schon, dass die Fragen, die im Moment noch gestellt werden, auch gestellt werden müssen. Der Bundestag hat sich ja überlegt, dass wahrscheinlich der Ethikrat dazu eine Stellung gibt. Es muss auch geklärt werden, wie soll das eigentlich dann auch funktionieren, das Ganze? Ich habe aber auch die Hoffnung, Herr Appelmann, dass jetzt, wo wir so viele Menschen auch im Moment am Impfen sind und auch viele, die jetzt sich zum ersten Mal impfen lassen und die einrichtungsbezogene Impfpflicht da ist, dass wir dann doch noch mal diesen Ruck in der Gesellschaft hinbekommen, dass die Menschen sagen: Ja, wir lassen uns impfen. Es wird einen harten Kern geben, der wird es nie tun. Aber wir müssen auch alles daran setzen, die noch zu überzeugen, die einfach nach wie vor unsicher sind. Das finde ich es auch nach wie vor eine Aufgabe der Politik und aller Menschen, die damit zu tun haben.
Markus Appelmann: Aber mit so einer Kehrtwende geht doch immer auch ein bisschen politisches Vertrauen verloren. Das muss man doch ganz ehrlich sagen.
Malu Dreyer: Ja, im Rückblick muss man schon sagen, dass man das heute noch mal zu entscheiden hätte, es zumindest nicht komplett 100% ausgeschlossen hätte. Für mich war das eine ganz große Überzeugung, weil ich auch finde, dass das tatsächlich immer eine nicht ganz einfache Entscheidung ist. Sie ist eben auch medizinethisch zu begründen. Und trotzdem ist es nun eben so, dass wir sehen, in den Einrichtungen sterben immer noch Menschen und es geht eben nicht, dass wir die Gefährdung nach wie vor haben, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dann eben sagen: Wir lassen uns nicht impfen. Insofern stehe ich hinter dieser einrichtungsbezogenen Impfpflicht, ganz und gar. Und ich bin auch ganz und gar der Meinung, dass es richtig ist, dass am Anfang des Jahres der Deutsche Bundestag intensiv über diese Fragen diskutiert, was die allgemeine Impfpflicht betrifft.
Markus Appelmann: Gedanklich sind viele immer noch in der vierten Welle. Da spricht der neue Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach schon von einer massiven fünften Corona-Welle. Wie sehr beschäftigt Sie die Frage, ob der Staat jegliches Lebensrisiko absichern muss? Das tut er in anderen Bereichen ja auch nicht. Und hundertprozentige Sicherheit ist doch eine Illusion.
Malu Dreyer: Die darf man wirklich auch gar nicht vermitteln. Also was hilft uns eine Impfung? Sie hilft uns, dass wir nicht schwer krank werden, aber ansonsten kann man natürlich nicht jedes Risiko nehmen. Wir haben aber die Möglichkeit durch den Impfstoff. Wir hätten niemals uns erträumen lassen, dass wir innerhalb von so kurzer Zeit auch einen wirksamen Impfstoff haben gegen diese schreckliche Pandemie. Und deshalb müssen wir uns damit auseinandersetzen, auch mit der jetzt aufgekommenen neuen Welle. Insofern ist es unsere Verpflichtung, tatsächlich immer auch wieder zu überlegen, wie kommunizieren wir und was wir kommunizieren können, ist ein Impfschutz. Ist gut, damit man nicht schwer krank wird. Und das ist tatsächlich ein großer Schutz für die Menschen, vor allem die, die besonders vulnerabel sind.
Markus Appelmann: Ein großes Thema derzeit ist die Spaltung der Gesellschaft. Der neue Bundeskanzler Olaf Scholz hat dem widersprochen. Eine kleine extremistische Minderheit habe sich von unserem Staat abgewandt, sagt er. Aber es geht ja nicht um die Menschen, die gegen die Corona-Regeln auf die Straße. Es geht doch auch um die Menschen, die heute immer noch ungeimpft sind – bei den über 18-jährigen sind es immerhin knapp 16% ohne Impfung. Das ist doch keine Minderheit, die Deutschland spaltet. Das sind 13 Millionen Menschen, die ungeimpft sind.
Malu Dreyer: Nicht jeder, der im Moment noch ungeimpft ist, ist gleichzeitig jemand, der Gesellschaft spaltet. Ich finde, das sollte man schon genau hinschauen. Es gibt einfach auch Menschen, die kritisch sind und die müssen jetzt einfach noch ins Boot bringen. Aber es gibt in der Tat eine kleine Minderheit, die inzwischen sehr gewaltbereit ist, die sehr extremistisch auftritt und die auch Gesellschaft bedroht, die Hass und Hetze verbreitet. Und da muss man natürlich das große große Stoppschild hochhalten. Sie gefährden tatsächlich den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Und da stehen wir eigentlich auch sehr klar in Rheinland-Pfalz. Aber es ist schon erschreckend, wie gewaltbereit auch dieser kleine Teil der Gesellschaft geworden ist. Umso wichtiger ist, dass der Staat wehrhaft ist und auch sehr klar ist an der Stelle.
Markus Appelmann: Frau Dreyer, so viel zum Thema Corona. Jetzt kommen wir hier in der Sendung zu einem Exportschlager aus Rheinland-Pfalz, zur Ampel-Regierung, SPD, Grüne und FDP, die im Land Rheinland-Pfalz schon seit fünf Jahren zusammen regieren. Sie tun es jetzt auch im Bund unter einem sozialdemokratischen Bundeskanzler Olaf Scholz. Anfang des Jahres war die Sozialdemokratie noch im Tal der Tränen. Jetzt ist sie wieder da:
 
Wer vor einem Jahr behauptet hätte, die SPD werde den nächsten Kanzler stellen – nun, die oder der wären wohl ausgelacht worden. Denn:  Die SPD lag noch bis zur Jahresmitte politisch am Boden. Nun, auch Malu Dreyer hätte ein Comeback der SPD im Bund nicht ernsthaft garantieren können. Und im März, da hatte sie ja auch noch ihre eigene Landtagswahl zu bestreiten – und die gewann sie im Endspurt. Denn es war ein Sieg, der keineswegs monatelang in trockenen Tüchern schien.
Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin Rheinland-Pfalz, am 14.03.2021: „Es ist ein glücklicher Tag für die Sozialdemokratie in RLP. Ich bin ein glücklicher Mensch. Wir haben es geschafft unser Wahlziel zu erreichen – wir sind mit Abstand die stärkste Partei, wir haben einen ganz klaren Regierungsauftrag bekommen.“
Der Architekt des Wahlsieges der SPD bei der  Bundestagswahl: Dies ist wohl ihr damaliger Generalsekretär und heutiger Co-Parteivorsitzender Lars Klingbeil. Und der dürfte sich wiederum so einiges bei den Genossen in Rheinland-Pfalz abgeschaut haben: Vor allem, wie man als Partei geschlossen auftritt. Klingbeil organisierte die bedingungslose Unterstützung für Olaf Scholz. Und Scholz –  der machte vor allem eines: keine Fehler! Dies überließ er der Union – und die machte dafür jeden Fehler, den sie machen konnte. Am Ende verloren CDU und CSU alles, was sie hatten – und die SPD holte einen völlig unerwarteten  Sieg.  
Olaf Scholz (SPD), Kanzlerkandidat, am 26.09.21: „Ich freue mich so viele so zu sehen und natürlich freue ich mich über das Wahlergebnis, das die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes gewählt haben. Sie haben entschieden, dass die sozialdemokratische Partei bei allen Balken nach oben geht und das ist ein großer Erfolg.“
Die SPD am Ende eines für sie irren Jahres:  Ihr Wiederaufstieg aus dem politischen Abgrund hoch ans Licht – ein fast unglaublicher Beleg für die These, dass Totgeglaubte wirklich länger leben. Mag sein, dass jemand wie Malu Dreyer dies irgendwie immer schon geahnt hat!  
Markus Appelmann: Frau Dreyer war am Anfang des Jahres mit Blick auf sein Ende das Glas für die SPD halbvoll oder war es ganz leer?
Malu Dreyer: Nein, bei mir war das schon halb voll. Ich bin ohnehin ja ein sehr zuversichtlicher Mensch, aber ich finde, die SPD hat ziemlich viel richtig gemacht. Sie hat sich 2017 vorgenommen, erstens gut zu regieren, zweitens sich zu erneuern und drittens geschlossen hinter dem Kandidaten dann zu stehen. Und das hat sie auch alles erfüllt. Sie hat sie erneuert, sie hat sich programmatisch erneuert. Und was für viele ja auch überraschend ist, sie ist seit längerer Zeit schon eine geschlossene Partei und hat den richtigen Kanzlerkandidaten gestellt. Insofern waren das beides wirklich ganz, ganz tolle, beeindruckende Abende, die Sie jetzt eben in dem Film gezeigt haben.
Markus Appelmann: Ja, nicht nur im Bund hat die SPD gewonnen. Sie haben gerade eben auf die zwei schönen Abende hingewiesen – aus Ihrer Sicht. Auch im Land haben Sie in diesem Jahr eine Landtagswahl gewonnen und stellen jetzt wieder die Ampel-Regierung. Gab es denn irgendwann irgendwo auch mal die Möglichkeit, richtig schön, das zu genießen, zu feiern, angesichts dieser vielen Probleme, die wir haben?
Malu Dreyer: Ich hatte mir vorgenommen, den 18. Mai so richtig zu genießen und das habe ich auch. Es ist ein wirklich so wichtiger Tag. Und wenn es geschafft ist, noch mal die Wahl zu gewinnen und man zur Ministerpräsidentin gewählt wird. Das ist schon ein wirklich ganz, ganz besonderer Tag. Das heißt, der 18. Mai von morgens bis abends. Ich habe ihn wirklich genossen und es war ein wunderbarer Tag. Den werde ich auch nicht vergessen, auch das Vertrauen der Bevölkerung wieder zu haben – das ist sehr, sehr wichtig. Und das wir eine Ampel wieder hinbekommen haben, die gut dasteht, die gut miteinander kooperiert. Das sind gute Voraussetzungen, auch schwierige Phasen in einer Regierungszeit gut zu meistern.
Markus Appelmann: Die andere Regierung im Bund ist frisch im Amt. Wir haben es gerade eben gesagt. Anfang Dezember war es soweit. Hat es Ihnen denn nicht in den Fingern gejuckt, auch ein Ministeramt in Berlin anzustreben?
Malu Dreyer: Gar nicht. Überhaupt nicht. Weil ich gerade vor fünf Monaten vereidigt worden bin und geschworen habe, dass ich meine ganze Kraft für die Bürger und Bürgerinnen in Rheinland-Pfalz gebe. Und genau das tue ich. Ich werde niemals auf die Idee kommen, nach dieser kurzen Zeit nach Berlin zu gehen.
Markus Appelmann: Frau Dreyer, da machen wir eine Zäsur, blicken noch ganz kurz nach vorne. Silvester steht bevor, ein Silvester schon wieder in Pandemie Zeiten, muss man sagen. Wie werden Sie Silvester feiern? Wir werden sie ins neue Jahr starten?
Malu Dreyer:. Also ich werde auf jeden Fall mit meinem Mann Silvester feiern und zwar ganz in Ruhe. Das Jahr war wirklich anstrengend und es hatte so viele Seiten. Wir werden das ganz gemütlich angehen. Mein Mann und ich.
Markus Appelmann: Frau Dreyer, zum Ende der Sendung möchte ich Ihnen noch das Wort erteilen. Sie haben die Möglichkeit, unseren Zuschauern noch eine Botschaft fürs neue Jahr mit in den Weg zu geben. Diese Kamera bitte.
Malu Dreyer: Ja, ich wünsche natürlich  allen Bürgern Bürgerinnen vor allem, dass es ein gutes, ein gesundes Jahr wird und dass sie zuversichtlich in dieses neue Jahr gehen. Die Pandemie fordert uns alle und auch die Menschen, die im Ahrtal leben, die stehen unter ganz besonderen Herausforderungen. Dennoch die Zuversicht hat uns immer geholfen, im Land zusammenzuhalten und nach vorne zu schauen. Und ich wünsche Ihnen das im Persönlichen wie im Gemeinsamen. Dass ist ein gutes neues Jahr wird für uns alle.
Markus Appelmann: Danke schön, Frau Dreyer, das wünsche ich Ihnen auch. Danke, dass Sie heute bei uns im Studio waren, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz.
Malu Dreyer: Vielen Dank Herr Appelmann, Ihnen auch.