Im Interview: Der Kapuzinermönch Bruder Paulus

Kurz vor Weihnachten sprechen wir traditionell mit dem bekanntesten Fernseh-Mönch Deutschlands: Bruder Paulus aus Frankfurt. Seit Jahrzehnten setzt sich der Großstadt-Seelsorger für Menschen am Rande unserer Gesellschaft ein.

Wenn alle möglichst zu Hause bleiben sollen, man selbst aber kein zu Hause hat:
Obdachlose gehören zweifellos zu denjenigen, die die Corona-Krise besonders hart getroffen hat. Überfüllte Notunterkünfte, geringe Spendenbereitschaft, kaum noch Pfandflaschen: Umso wichtiger also, dass Menschen in Not in diesen schweren Zeiten Unterstützung finden.
So oft wie möglich geht Bruder Paulus raus auf die Straße, hin zu den Menschen: Etwa auf die Zeil, wo er mit Obdachlosen ins Gespräch kommt und sie in den Franziskustreff einlädt.
Hier im Liebfrauenkloster bekommt jeder für gerade einmal 50 Cent ein reichhaltiges Frühstück. Ein wichtiger Anlaufpunkt für alle, die wenig oder gar nichts haben. Wegen Corona ist der Aufenthalt im Frühstücksraum zurzeit auf 15 Minuten begrenzt. Für seelischen Beistand bleibt da nur wenig Zeit – mehr als ein kurzes Gespräch ist momentan nicht drin.
Was bleibt, ist die Arbeit auf der Straße – oder auch unter der Brücke. Und natürlich der Gottesdienst für alle Gläubigen in der Liebfrauenkirche.
Doch auch hier geht es zurzeit nicht ohne Einschränkungen: Um die Sicherheitsabstände zu wahren, dürfen höchstens 80 Besucher an der heiligen Messe teilnehmen. Mit Voranmeldung und unter Beachtung der 3G-Regel.

 

Markus Appelmann, Moderator: Und jetzt ist er uns zugeschaltet – Bruder Paulus, der Kapuzinermönch und Vorstand der Franziskustreff Stiftung in Frankfurt. Leider heute nicht – wie es eigentlich Tradition ist – im Studio. Dennoch guten Abend.
Bruder Paulus: Guten Abend.
Markus Appelmann: Jetzt, wo eigentlich mehr Menschen Unterstützung bräuchten, dürfen nicht mehr so viele Menschen in den Franziskustreff – wir haben es eben gehört. Wie schwierig ist es, die Menschen zu erreichen, die ihre Hilfe benötigen?
Bruder Paulus: Das ist zum einen natürlich nicht so schwierig, weil der Franziskustreff sehr bekannt ist und auch die anderen Einrichtungen der Hilfe für wohnungslose Menschen in Frankfurt. Die Leute wissen schon, wo das ist. Andererseits sind auch obdachlose Menschen jetzt gewarnt – sie möchten nicht in Massen irgendwo auftauchen. Sie schauen, wo ist Ordnung, wo kann ich sicher sein und das ist eine besondere Herausforderung in dieser Zeit.
Markus Appelmann: Das große Thema in diesen Tagen: Die Impfungen. Wie sieht da die Lage bei den Obdachlosen aus?
Bruder Paulus: Wir haben hier in Frankfurt am Main eine wirklich gute Organisation der Obdachlosenhilfe. Die St. Elisabeth-Straßenambulanz ist unser medizinischer Mitplayer. Und dort ist besonders darauf geachtet worden, dass die obdachlosen Menschen auch wirklich geimpft werden, dass sie geboostert werden, aber auch an anderen Stellen der Wohnungslosenhilfe ist das besonders im Fokus. Und das ist ja gar nicht so einfach, manche Leute haben gar keinen Personalausweis und da muss man dann auch schon nochmal genau schauen. Aber da ist eine sehr große Bereitschaft.
Markus Appelmann: Die vierte Corona-Welle geht zurück, aber die neue Corona-Variante Omikron wird uns eine fünfte Welle bescheren – da sind sich die Wissenschaftler sicher. Was sagen Sie den Menschen, die sagen, wo ist denn Gott in diesen Zeiten?
Bruder Paulus: Ich antworte, wie alle glaubenden Menschen: Gott ist im Leid, Gott ist in dieser Welle und wir sollten unsere Ohren mal aufmachen. Und ich möchte jetzt nicht gerade sagen, dass das eine Strafe Gottes ist, aber ich muss manchmal an meine alten Brüder von früher denken, die dann durchaus so getickt haben. Heute sage ich eher: Ergreifen wir doch die Chance, die jetzt da ist. Ja Weihnachten kann nicht so groß gefeiert werden wir früher, aber ich finde sowieso, dass man Weihnachten nicht nach Rückwärts feiern soll, sondern dass man Weihnachten nach vorne feiern soll – mit neuen Möglichkeiten: Mehr zu telefonieren, mehr sich zu sagen, wie man sich wirklich einander nahe ist, auch wenn man sich gerade nicht besuchen kann: Ich habe festgestellt, dass Menschen viel zu wenig sich einander sagen: Ich danke dir, dass es dich gibt, ich liebe dich wirklich.
Markus Appelmann: Weihnachten ist das Fest der Feste. Das Problem nur: die Erwartungshaltung ist riesig. Familie, Geschenke – gar nicht so einfach alles unter einen Gut zu bekommen. Wie kann in diesen ungewöhnlichen Zeiten ein besinnliches Weihnachtfest gelingen?
Bruder Paulus: Das werde ich tatsächlich manchmal wirklich gefragt. Und ich sage dann kurz und knapp: Wir sollen Weihnachten nicht nach Rückwärts feiern, sondern nach vorne. Und den Impuls, den gibt mir das Kind in der Krippe. Dieses Neugeborene ist ja eine Verheißung, dass es neues Leben gibt, mitten in der Dunkelheit, darum sagen wir ja „Weih-Nacht“. Die Nacht wird geweiht. Mitten in unseren Fragen und Sorgen werden die Engel klingeln. Und manchmal ist der Engel schon der Nachbar nebenan, bei dem man tatsächlich mal klingeln darf und sagen darf: Frohe Weihnachten. Dass man wirklich mal im Fotoalbum blättert und dankbar wird für das Vergangene. Dass man sich mal hinsetzt und Briefe schreibt. Dass man mal kramt in dem was im Bücherschrank steht und da gab es sicher mal ein Buch, dass Sie besonders inspiriert hat. Das zu Hand zu nehmen, den Enkelkindern zu zeigen, den Kindern davon zu erzählen. Damit deutlich wird, das ist der goldene Boden auf dem Grund meiner Mama, meines Papas, meiner Großeltern. Mehr wieder ins Gespräch kommen über das, was einen wirklich bewegt. Das macht Weihnachten schön.
Markus Appelmann: Zum Abschluss eine ganz persönliche Frage: Was wünschen Sie sich für das Weihnachtsfest?
Bruder Paulus: Also ich habe eigentlich meinen größten Wunsch schon erfüllt bekommen. Dass wir nämlich als brüderliche Gemeinschaft ganz neu zueinander gefunden haben. Ich fühle mich gerade so verbunden mit den Brüdern im Kloster, wie schon lange nicht mehr. Vielleicht auch wegen Corona, wegen eines neuen Bruders, der gekommen ist. Und ich fühle mich sehr verbunden mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern jetzt hier in der Franziskustreff-Stiftung. Was da in der Hauswirtschaft geleistet wird, in der Öffentlichkeitsarbeit, in der Beratung von Spenderinnen und Spendern, von den Ehrenamtlichen. Das alles sind tägliche Weihnachtsgeschenke, die mein Herz einfach erfreuen, weil ich sehe, da geht eine Frucht auf – ein Samen geht auf, dass wir einen Baum gepflanzt haben, wo viel wohnungslose Menschen sagen. Da kann ich echt aufatmen, für mich ist da fast jeden Tag Weihnachten.
Markus Appelmann: Für Sie bedeutet Weihnachten nicht das Fest der Stille, da Sie enorm viel zu tun haben. Und dennoch wünsche ich Ihnen ein besinnliches Weihnachtsfest. Danke, Bruder Paulus
Bruder Paulus: Herzlichen Dank und ich wünsche Ihnen ein sinnvolles Weihnachtsfest.